„Parthenon-Fries“

Nahezu vergessen schlummert ein bedeutendes archäologisches Dokument im alten Hauptgebäude der Universität, dem Jügelhaus. In seinem 1914 zur Gründung der Universität fertiggestellten Erweiterungsbau sollte im obersten Stockwerk das Auditorium Maximum errichtet werden. Dieser Plan wurde jedoch zugunsten eines Oberlichtsaals für die Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts verworfen, die dort Aufstellung finden sollte. Kernstücke dieser Sammlung waren Abgüsse von Teilen des Parthenon-Frieses. Diese sind in der rechteckigen Laterne, die den Saal bekrönt, unterhalb des umlaufenden Fensterbandes in die Wände eingelassen.

 

Die Abgüsse zeigen Ausschnitte aus den Feierlichkeiten anlässlich der Panathenäen, dem Hauptfest der Athener, das alle vier Jahre zu Ehren der Göttin Athena stattfand. Allerdings ist nicht ein bestimmter Festzug zu sehen, sondern eine Art Zusammenfassung aller wichtigen Kulthandlungen. Männer jeglichen Alters in Begleitung von Pferden paradieren vorbei. Einige sind schon aufgesessen, andere stehen neben oder hinter den Tieren. Die Pferde werden in unterschiedlichsten Haltungen abgebildet: einige stehen ruhig mit gesenktem Haupt, andere bäumen sich auf, eines berührt sogar mit keinem seiner vier Hufe noch den Boden. Auch die Männer sind bei vielfältigen Tätigkeiten zu beobachten. Einige scheinen über ein Pferd zu disputieren, ein Mann gibt dem ihm folgenden Tross Anweisungen, ein anderer bindet sich die Sandalen. Sie tragen Chiton, Brustpanzer, Chlamys, Fellmützen, Stiefel, einige sind nackt. So entstehen vielfältige Kompositionen, aus nur einer, bisweilen aber auch aus bis zu drei Figuren und begleitenden Pferden. Die Abgüsse bieten damit einen repräsentativen Ausschnitt, der die prächtige Gestaltung des Parthenon-Frieses erahnen lässt. Das originale Friesband misst beinahe 160 m in der Länge.

Die archäologische Abgusssammlung geht auf die Stiftung von Johann Friedrich Städel (1728-1816) zurück. Städel, ein Frankfurter Kaufmannssohn und Bankier, war Kunstsammler, der bis zu seinem Tod beinahe 500 Gemälde sein Eigen nennen konnte. Auch eine Vielzahl von Druckgraphiken und Zeichnungen gehörten zu seiner Sammlung. 1793 verfügte er die Stiftung des Städelschens Kunstinstituts und vermachte ihr nicht nur seine Sammlung, sondern auch Haus und Vermögen. Er verlangte sicherzustellen, dass die Kunstsammlung öffentlich zugänglich ist und dass angehende Künstler durch Unterricht und Stipendien Unterstützung erhalten. Die Administratoren der Stiftung beschlossen daher die Einrichtung einer Zeichenschule. Zu diesem Zweck wurden Abgüsse antiker Skulpturen angeschafft, um den Lernenden das Studium ‚am Objekt‘ zu ermöglichen.

 

Unter anderem sind 1816 Abgüsse der von Lord Elgin nach London verbrachten Parthenonskulpturen erworben worden, 1819 kamen mehrere Tafeln des nördlichen Parthenon-Frieses hinzu. 1833 sind außerdem Abgüsse des westlichen Parthenon-Frieses aus Paris angekauft worden. Letztere besitzen heute einen unschätzbaren dokumentarischen Wert, da sie Ende des 18. Jahrhunderts am Parthenon selbst abgenommen worden sind, dessen originales westliches Friesband mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit verwittert ist.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Städelsche Kunstinstitut mehr und mehr in ein reines Gemäldemuseum verwandelt. Die Gipsabgusssammlung ging schließlich in den Besitz der Stadt Frankfurt über, doch schon um 1910 ist beschlossen worden, sie dem Archäologischen Institut zu übereignen. Insgesamt 77 Objekte der ehemaligen Städelschen Abgusssammlung bildeten den Grundstock, der bis 1929 auf 497 Stücke anwuchs.

1933 ist jedoch aus Platzmangel ein Großteil der Abgüsse außerhalb des Jügelhauses magaziniert worden. Lediglich die Abgüsse des Parthenon-Frieses und einige andere Objekte verblieben - zum Teil als Dekoration – in situ. Die Friesabgüsse sind die einzigen Sammlungsteile, die bis heute erhalten sind, denn 1944 sind die ausgelagerten Objekte während eines Bombardements komplett vernichtet worden.

Eine 1994 durchgeführte baudenkmalpflegerische Untersuchung diagnostizierte einen allgemein schlechten Erhaltungszustand. Risse, Löcher, unsachgemäße Ausbesserungen, eine massive Oberflächenverschmutzung, aber vor allem mehrere Schichten Dispersionsfarbe haben die Abgüsse zu einem bedenklich schlechten Zustand herabkommen lassen. Zahlreiche Anstriche haben viele Details zugeschlämmt und somit unkenntlich gemacht. Inzwischen ist jedoch der Plan gefasst worden, die Friesplatten zu sichern, um sie den universitären Sammlungen und damit auch der Lehre wieder zugänglich zu machen.

Ferdinand Sander