Christian Daniel Rauch, Goethe-Büste

Neben Portraitbüsten von Wilhelm Merton oder Ernst H. Kantorowicz befindet sich auch eine Marmorbüste von Johann Wolfgang von Goethe im Eigentum der Universität. Das Konterfeit des Dichterfürsten begegnet uns in Form einer Portrait-Herme. Ohne einen Ansatz von Schultern oder Armen schließt sein Brustkorb nach unten und zu den Seiten geradlinig ab. Es ist dies eine Darstellungsform, die auf antiken Vorbildern basiert, in denen Hermes Kopf auf einem angedeuteten Oberkörper sitzt, der sogleich in einen Pfeiler übergeht. Eine Plinthe, auf der die Goethe-Büste geruht haben muss, ist verloren. Ebenso ist auch das Podest nicht erhalten, auf dem sie vormals aufgestellt war.

 

Das Portrait Goethes geht auf ein Tonmodell Christian Daniel Rauchs zurück. Dieser gilt als wohl bekanntester Schüler des nur wenige Jahre älteren Johann Gottfried Schadow, dem maßgeblichen Vertreter des sogenannten ‚Berliner Klassizismus‘. Das Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen, aber insbesondere die Quadriga auf dem Brandenburger Tor, dürften die berühmtesten Werke Schadows sein. Rauch fertigte nicht weniger bekannte Stücke. So stammt der Sarkophag der Königin Luise von Preußen und vor allem das monumentale Reiterstandbild Friedrichs des Großen in Berlin ‚Unter den Linden‘ aus seiner Hand.

Das marmorne Bildnis zeigt uns Goethe mit vom Betrachter nach links abgewandtem Kopf in antikisierender, idealisierender Nacktheit. Zugleich machen seine Gesichtszüge das Alter jedoch ablesbar. Die Haut am Hals hat deutlich ihre Spannkraft verloren. Die Tränensäcke treten merklich hervor, so wie auch ausgeprägte Falten, der hohe Haaransatz und ein leicht hängender Mund Goethes Antlitz charakterisieren. So scheinen Idealität und Naturalismus zunächst ineinander verschränkt. Vergleicht man Rauchs Goethe-Büste aber mit einem gezeichneten Goethe-Bildnis Schadows, wird deutlich, wie klassisch und zeitlos Rauchs Büste trotz naturalistischer Tendenzen tatsächlich anmutet. Schadow stellte Goethe nämlich als historisch gebundene Person dar, indem er ihn in der Uniform eines Geheimrats abbildete. Rauchs Goethe-Bildnis bewertete Schadow bezeichnenderweise als nicht gut gelungen und bemerkt: „Sie ist sogar schief und macht ein wenig Grimasse.“ Bei Goethe selbst stieß Rauchs Arbeit hingegen auf Wohlwollen. Er notiert: „Rauch hat einen Abguß meiner Büste hierher gesendet und man kann sehr damit zufrieden seyn.“

 

Das Modell für das Goethe-Bildnis entstand 1820 bei einem Besuch Rauchs beim Dichter. Auf Goethes Wunsch fertigte Rauch in dieser Sitzung ein Modell seines Gesichts ab. Das Portrait sollte für ein Goethe-Denkmal in Frankfurt am Main Verwendung finden, zu dessen Herstellung es aber niemals kam. Uneinigkeit herrschte über den Modus der Ausführung. Dennoch entstand mit dieser Büste das wohl am weitesten verbreitete Werk Rauchs. Unzählige Repliken kursierten auf dem Markt. Jedoch sind nur zwei Ausführungen dokumentiert, an denen Rauch noch selbst Hand anlegte.

Die Frankfurter Büste ist eine höchst qualitätvolle, zeitgenössische Kopie und stammt möglicherweise aus der ‚Gipsformerei Großberlin‘ der Gebrüder Micheli. Diese vertrieben neben Gipsabgüssen auch Marmorrepliken von Rauchs Goethebüste. Indiz für diese Provenienz ist zum einen die Hermenform der Büste. Rauchs Original wies einen ovalen beziehungsweise leicht eckigen Büstenabschluss auf. Zum anderen deckt sich die Signatur auf der Rückseite der Büste „CH. Rauch fec. 21. August 1820“, mit jenen aus der besagten Gipsformerei. Rauch signierte die autographen Büsten mit „C.R. FEC: 21 AUG 1820“ beziehungsweise „C. Rauch F. 1820“. Der Zusatz „GEBR. MICHELI BERLIN“ mit der Produkte der Gipsformerei gekennzeichnet worden sind, ist nicht auf der Frankfurter Büste zu erkennen. Möglicherweise war diese auf der fehlenden Plinthe angebracht. Vielleicht ist der Hinweis aber auch entfernt worden, um einen ‚echten‘ Rauch zu suggerieren. Es existieren andere Kopien aus derselben Werkstatt, bei denen ebenfalls versucht wurde die verräterische Inschrift unkenntlich zu machen.

Dass es sich um eine Kopie handelt, ist aber auch aus einem anderen Grund als sicher anzunehmen. In einem Schreiben des Kuratoriums der Universität an den Rektor heißt es am 9. August 1949 lapidar, dass eine Goethe-Büste eingetroffen sei; und zwar „eine Kopie nach dem bekannten Kopf von Ch. Rauch“.

Christian Daniel Rauch wurde 1777 in Bad Arolsen geboren und starb 1857 in Dresden. Nach seiner Arbeit unter Friedrich Wilhelm II. setzte er seine Tätigkeit am Hof von Königin Luise von Preußen fort. Er löste Johann Gottfried Schadow in seiner Rolle als führender Berliner Bildhauer ab.

Ferdinand Sander