Rudolf Alexander Agricola, Karl Reinhardt Büste

Die dunkelrote Fassade des Hauses in der Schumannstrasse 11, der massive Turm und das rustikale Mauerwerk wirken beinahe wehrhaft vor den sonst recht schlichten Bau gestellt. Ein reich verzierter Torbogen im Stile des Historismus durchbricht den freundlich hellen Putz, öffnet sich breit für Besucher.

 

 

Karl Reinhardt (1886-1958), der berühmte Altphilologie und Professor in Frankfurt von 1924 bis 1951, wohnte hier in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universität. Für seine Forschung, die ganz neue Perspektiven auf bereits viel gedeutete, klassische Werke warf, wurde Reinhardt 1952 mit dem Orden „Pour le mérite für Wissenschaften und Künste“ ausgezeichnet. Reinhardts Auftreten faszinierte und irritierte. Er wirkte verschlossen, machte am Rednerpult eine unsichere Figur. In manchen Momente aber vergaß er die Lehrkanzel. Dann erschien, in der Darstellung einer Szene des Aristophanes oder einer Geste des Sokrates, plötzlich der Schauspieler Reinhardt. Hinter seiner Distanziertheit lag eine seltene, viel geschätzte Liebenswürdigkeit. Reinhardts Wohnung wurde bald kulturelles Zentrum für Freunde, Schüler und Kollegen. Immer samstags wurde gemeinsam musiziert, wurden Klassiker gelesen, selbstgefertigte Possen oder Theaterstücke aufgeführt. Es herrschte ein für die 30er Jahre außergewöhnlich zwangloser, unakademischer, geselliger Umgang von Ordinarien, Privatdozenten, Assistenten und Studenten.

Neben Universitätsmitgliedern gehörten auch Künstler zu diesem Kreis. Gelehrte und Künstler teilten ihre Begeisterung für die klassische Antike, führten einen bereichernden Austausch. Der junge Bildhauer Rudolf Agricola, der bei Gerhard Marcks und Richard Scheibe gelernt hatte, wurde von Reinhardt und anderen Akademikern gefördert, begleitete schließlich auch den Archäologen Schuchhardt auf einer Forschungsreise nach Griechenland. Mehrfach stellte Agricola Reinhardt dar, dessen Interpretationen die ursprüngliche Vitalität der Antike spüren ließen. Reinhardt blickte nicht mit der Bildungsfeierlichkeit einer humanistischen Verehrung auf Werke und Autoren. Nicht in der Vorbildlichkeit ihrer Helden, sondern in deren Menschlichkeit ließ er Plato, Sophokles und Homer gegenwärtig werden. Eine überlebensgroße Büste, die Agricola nach Reinhardts Tod schuf, wurde der Universität anlässlich einer Gedenkfeier zum 80. Geburtstag des Gelehrten gestiftet.

Michaela Filla