George Rickey, „Four Rectangles Oblique IV“

Mit ihrer Höhe von fast sechs Metern ist die Skulptur „Four Rectangles Oblique IV“ von George Rickey auf dem Campus Riedberg kaum zu übersehen. Zumindest ist sie den meisten schon mal aufgefallen. Wie oft jedoch bleibt man stehen um die Bewegungen der mobilen Plastik zu beobachten? Ist es nicht seltsam, dass sich vier schwer anmutende Rechtecke aus Stahl scheinbar schwerelos mit jedem Windhauch bewegen? Sind es vielleicht doch Motoren, die die Drehungen und Pendelbewegungen der Flügel verursachen? Die offensichtliche Zufälligkeit der Bewegungen macht diese Annahme unwahrscheinlich.Wie also funktioniert Rickeys Skulptur?

 

Es ist tatsächlich der Wind, der die Rechtecke in Bewegung versetzt. Aufgehängt oder auf Kugellager an verschiedene Stellen einer gabelähnlichen Rahmenkonstruktion montiert, die sich aus einem vertikal aufgerichteten Vierkantstab entwickelt, reagieren sie auf jeden Luftzug. Je nach Windstärke kreisen oder pendeln sie im Gleichschritt oder Gegensinn um die eigene Achse und ergeben ständig eine andere, neue Figur.

Bemerkenswert ist, dass es sich um unterschiedliche Bewegungsformen handelt. Die Drehungen der äußeren Flügel verlaufen in konischen Bahnen – beschreiben also einen Kegel – während die inneren Flügel einer diagonalen Bahn folgen und dadurch die Form eines Zylinders suggerieren. 

Für Rickey hat vor allem die konische Bewegung eine besondere Bedeutung: „Wir sind Bewegungen in einer Ebene gewohnt (fallende Gegenstände, Drehung des Rades usw.) […] es ist unumgänglich, dass in einer Kunst die mit Bewegung arbeitet, komplexere Bewegungen erforscht werden, als wir gewohnt sind.“ Die komplizierte Bewegung interessiert den Künstler, weil sie nicht im Einklang mit unseren Erfahrungen steht, weil sie einen Taumel erzeugt.

Rickeys Skulptur irritiert nicht nur durch ungewöhnliche Bewegungen, sondern auch durch eine scheinbare Außerkraftsetzung der Schwerkraft.   

Der Eindruck einer massiven Stahlkonstruktion täuscht, denn die Rechtecke der mobilen Skulpturen Rickeys bestehen in der Regel aus Kastenrahmen, in die unterschiedliche Bleigewichte in dünnen Schichten eingelegt sind. Dadurch, dass der Schwerpunkt durch die Gewichte an den Rand der Platten verlagert wird, stellt sich im Verlauf der Bewegung ein labiles Gleichgewicht ein, welches durch den nächsten Windstoß wieder umgeworfen wird. Die Hohlräume sind mit Styroporplatten ausgefüllt um das Rauschen des Windes zu unterdrücken und durch Lautlosigkeit den Eindruck von Schwerelosigkeit zu unterstreichen. Für den Betrachter sind diese „Füllungen“ allerdings nicht sichtbar, da die Rahmen von angeschweißten bzw. angeschraubten Stahlplatten verdeckt werden. Diese wiederum bringen ein weiteres Naturelement ins Spiel: Ihre geschliffene und polierte Oberfläche reflektiert das Sonnenlicht und bricht es in bunten Farben.

 

Das Faszinierende an Rickeys Skulptur ist der Widerspruch von scheinbar schweren Stahlplatten und deren schwereloser Bewegung im Wind. Licht und Wind machen aus der beweglichen Skulptur ein Naturschauspiel, das zur kontemplativen Betrachtung einlädt. Anders als bei blitzschnellen Pseudobewegungen in Film und Werbung wird hierdurch die Erfahrung von Bewegung in Raum und Zeit ermöglicht. Dem Betrachter wird bewusst, dass Bewegung nicht an sich existiert. Sie ist nicht von der Materie losgelöst, sondern nimmt im Zusammenhang mit den Formen Gestalt an und löst sich wieder auf.  Schließlich kann die auf den Gegenstand gerichtete Kontemplation auch zur Selbstreflexion führen. Dem Beschauer wird möglicherweise klar, dass sich auch unser momentanes Bewusstsein und unsere unmittelbaren Anschauungen im ständigen Wandel befinden.  

George Rickey, 1907 in South Bend, Indiana geboren, in Schottland aufgewachsen und 2002 in Saint Paul, Minnesota gestorben, war Ingenieur und Künstler. Er gehört zu den großen Pionieren der modernen amerikanischen Bildhauerei und nahm mehrfach an der Documenta teil. Als Student hörte er bei Naum Gabo, dessen untraditionelle Auffassung, von der Skulptur als einem konstruktiven, durchsichtigen und dynamisierten Gebilde im Raum, ihn stark beeinflusste. Alexander Calders Mobiles hingegen inspirierten Rickey dazu, die Natur, Wind und Bewegung auf spielerische Weise in sein Werk einzubeziehen. David Smith, der die Idee der flachen Skulptur und des ausbalancierten Spiels mit geometrischen Grundformen aus Edelstahl prägte, brachte Rickey das Schweißen bei. Keiner seiner Lehrer untersuchte die Idee der kinetischen Skulptur jedoch mit solch radikaler Konsequenz wie Rickey. Seine Arbeiten lassen sowohl wissenschaftlich-technisches Denken als auch spielerischen Erfindungsgeist erkennen.

Four Rectangles Oblique wurde 1984 beim Künstler in Auftrag gegeben und durch einen Sonderbaufonds zur Gestaltung öffentlicher Plätze, „Kunst am Bau“, finanziert.

Am 6. Mai 2013 wurde das Kunstwerk vor dem Juridicum in Bockenheim abgebaut. Nach der Restaurierung fand es auf dem Campus Riedberg seinen neuen Standort.

Michaela Filla