Habilitationsprojekt: Der Dienst Jesu und die Ethik im Johannesevangelium. Die Fußwaschungserzählung (Joh 13,1-20) in narratologischer und ethischer Perspektive

Forschungsprojekt zur Habilitation von Dr. Anni Hentschel

Die Fußwaschungserzählung in Joh 13,1-20 findet sich im Kontext des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern, leitet den zweiten Hauptteil des Johannesevangeliums ein und steht zugleich am Beginn der Abschiedsreden. Die Frage nach der historischen Herkunft und der theologischen Bedeutung dieser mit symbolischen Hinweisen angereicherten Erzählung wurde in der Auslegungsgeschichte dieses Textes breit diskutiert (vgl. John C. Thomas, Footwasching in John 13 and the Johannine Communitiy, JNST Sup 61, Sheffield 1993 und Christoph Niemand, Die Fußwaschungserzählung des Johannesevangeliums. Untersuchungen zu ihrer Entstehung und Überlieferung im Urchristentum, Studia Anselmiana 114; Rom 1993).

Doch bereits im Johannesevangelium selbst werden zwei unterschiedliche Interpretationen der Handlung Jesu gegeben, welche ihr eine soteriologisch-christologische sowie eine ethische Bedeutung zumessen (13,6-10.12-17). Die redaktionsgeschichtliche Fragestellung führte diese verschiedenen Interpretationen in der Regel auf unterschiedliche Bearbeitungsstufen zurück und schrieb die paränetische Interpretation der kirchlichen Redaktion zu, während der Evangelist selbst die christologische Bedeutung der Szene herausgestellt habe. Dadurch wird jedoch die spezifische Verbindung von christologisch-soteriologischer und ethischer Interpretation der Handlung Jesu in diesem Text gerade vernachlässigt. Neuere Auslegungen, die stärker literaturwissenschaftlich-synchrone Methoden verwenden, nehmen diesen Aspekt deutlicher wahr. Beispielsweise betrachtet Hartwig Thyen in seinem neuen Kommentar die Fußwaschungserzählung als eine rein fiktionale und symbolische Darstellung, die auf Lk 22,27 basiere (Hartwig Thyen, Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 2005, 592). Damit stellt sich die Frage nach der Zusammengehörigkeit der beiden Deutungen in Joh 13 im Kontext des Johannesevangeliums.

Joh 13,1-20 soll zum Ausgangspunkt einer neuen Untersuchung der johanneischen Ethik werden. Dabei geht es weniger darum zu erforschen, welche Werte und Normen für ein gutes Leben durch das Johannesevangelium vermittelt werden, ist dies doch eine Frage, die angesichts der weitgehend fehlenden paränetischen Ermahnungen im Evangelium schnell zu Aporien führt (vgl. z.B. Jan G. van der Watt, Ethics and Ethos in the Gospel according to John, ZNW 97 (2006), 147-176, 147f.). Es soll vielmehr untersucht werden, welche ethischen Implikationen die im Evangelium verwendeten Erzähltechniken sowie das dadurch konstruierte Wirklichkeitsverständnis haben. Dabei soll ein besonderer Fokus gerade auf der Verbindung von Christologie und Ethik liegen, die in Joh 13 explizit zum Ausdruck kommt. Im Hinblick auf die erzählte Welt ist des weiteren v.a. die Zeitstruktur im Johannesevangelium zu beachten, die durch das Ereignis der Erhöhung organisiert wird (2,22; 12,16; vgl. auch 13,7; 14,26; 20,9). (Vgl. Jörg Frey, Zur johanneischen Deutung des Todes Jesu, in: Theologische Beiträge 32 (2001), 346-362; Jörg Frey, Die johanneische Eschatologie II: Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998.) Die spezifische Art der Wirklichkeitswahrnehmung und –deutung durch das Johannesevangelium eröffnet den Lesenden neue Möglichkeitsräume des Denkens und Handelns, welche von ethischer Relevanz sind. Dies entspricht dem Ansatz Paul Ricoeurs, der betont, dass die Rezeption von Narrationen zu einer neuen Strukturierung von Erleben und Handeln führen kann und Narrativität somit als Grundbegriff einer Handlungstheorie gelten kann (Paul Ricouer, Zeit und Erzählung, Bd. 1, München 1988.). Diesem Zusammenhang ist im Johannesevangelium nachzugehen. Methodisch wird dabei v.a. auf die Narratologie von Mieke Bal zurückgegriffen, die mit der Kategorie der Fokalisierung eine analytische Möglichkeit bietet, unterschiedliche Perspektiven und Bewertungen in einem Text sichtbar und somit ihren Einfluss auf die Rezeption der Leserinnen und Leser nachvollziehbar zu machen (vgl. Mieke Bal, Narratology. Introduction to the theory of Narrative, Toronto 1999; Mieke Bal, Kulturanalyse, Frankfurt am Main 2002).