Rizinusöl wirkt über einen G-Protein-gekoppelten Rezeptor

Wirkmechanismus eines der ältesten Arzneimittel der Menschheit aufgeklärt

Veröffentlicht am: Mittwoch, 23. Mai 2012, 13:17 Uhr (019)

 

Rizinusöl ist als effektives Abführmittel bekannt, wurde aber bereits in der Antike auch zur Förderung der Wehentätigkeit eingesetzt. Erst jetzt ist es Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung und der Goethe-Universität gelungen, die entscheidenden Details des Wirkmechanismus zu entschlüsseln. Verantwortlich ist ein Rezeptor mit dem Namen EP3 auf den Muskelzellen des Darmes und der Gebärmutter. Dieser wird durch einen Bestandteil des Öls aktiviert.

Das aus den Samen des Wunderbaums Ricinus communis gewonnene Öl gehört zu den ältesten Arzneimitteln der Menschheit. Als Abführmittel wurde es bereits vor 3500 Jahren in alten ägyptischen Papyrusschriften erwähnt. Auch in der antiken griechischen und römischen Medizin wurde Rizinusöl eingesetzt. Seit vielen Jahrhunderten findet es zusätzlich Verwendung in der Geburtshilfe: Es ist in den heute noch zum Einsatz kommenden „Wehencocktails“ enthalten. Trotz seines weitverbreiteten Gebrauchs in der Schul- und Volksmedizin war bisher unklar, wie Rizinusöl seine abführenden und wehenfördernden Effekte ausübt.

Wissenschaftler um Stefan Offermanns und Sorin Tunaru vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim sowie Rolf M. Nüsing vom Institut für Klinische Pharmakologie der Goethe-Universität haben nun das Geheimnis gelüftet: „Es war schon viele Jahre bekannt, dass ein bestimmter Bestandteil, nämlich die im Darm aus dem Öl herausgelöste Rizinolsäure, für die Wirkung verantwortlich ist. Allerdings nahm man bis jetzt an, dass dieses seine Wirkung über eine lokale Reizung der Darmschleimhaut ausübt. Wir konnten nun zeigen, dass es sich um eine echte pharmakologische Wirkung handelt“, sagte Tunaru, der das Forschungsprojekt leitete.

Tunaru hatte zunächst in einem Experiment mit der Rizinolsäure an verschiedenen Zellkulturen Effekte festgestellt, die charakteristisch für G-Protein-gekoppelte Rezeptoren sind. Diese große Gruppe von Rezeptoren ist wesentlich an der Signalvermittlung in Zellen beteiligt. Daraufhin machten sich die Bad Nauheimer Forscher auf die Detailsuche. Hunderte Rezeptoren wurden systematisch ausgeschaltet und anschließend die Reaktion der Zellen auf Rizinolsäure getestet. Am Ende gelang es, den für die Effekte der Rizinolsäure entscheidenden Rezeptor mit dem Namen EP3, der normalerweise durch das Gewebshormon Prostaglandin E2aktiviert wird, zu identifizieren.

„Den schlagenden Beweis lieferten uns dann Experimente mit Mäusen, in denen der Rezeptor EP3zuvor durch einen genetischen Eingriff gezielt ausgeschaltet worden war“, erklärt Tunaru. „Anders als ihre genetisch nicht veränderten Artgenossen zeigten die Mäuse, denen der Rezeptor EP3fehlte, nach der Gabe von Rizinusöl oder auch nur der Rizinolsäure keine vermehrte Darmentleerung.“ Bei trächtigen Tieren wiederum sei keine verstärkte Wehentätigkeit festgestellt worden, was darauf schließen lasse, dass in beiden Fällen der Rezeptor EP3verantwortlich sei.

Rizinolsäure wird demnach nach ihrer Freisetzung aus dem Rizinusöl zunächst vom Körper über die Darmschleimhaut aufgenommen, wirkt dann auf EP3–Rezeptoren der Muskelzellen im Darm und in der Gebärmutter und regt so die Darm- und Wehentätigkeit an. Nach Auffassung von Offermanns könnte die Aufklärung des Wirkmechanismus zu einer Neubewertung des klinischen Nutzens von Rizinolsäure führen.

Zudem besteht die Hoffnung, für heute bereits genutzte synthetische Wirkstoffe neue Anwendungsgebiete zu erschließen: Denkbar ist, dass man aus heute bereits eingesetzten wehenfördernden Substanzen, die den EP3–Rezeptor aktivieren, milde Medikamente zur Darmreinigung oder Förderung der Darmaktivität entwickelt.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft: www.mpg.de/5795474/rezeptor_rizinuspflanze

Zum Artikel: www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1201627109