Subtile Mechanismen

Eine neue Forschungsstelle untersucht Methoden von Rassismus und Diskriminierung in der „NS-Pädagogik“

Veröffentlicht am: Freitag, 08. Juni 2012, 11:13 Uhr (029)


Rassistische Indoktrination in der NS-Zeit brauchte keine Tarnung, um zu wirken. Sie war mitunter an Direktheit nicht zu überbieten. „Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes, als deutsch denken, deutsch handeln (...)“, formulierte Adolf Hitler bei einer Rede vor Kreisleitern im Dezember 1938 in Reichenberg ein Ziel seiner menschenverachtenden Politik: „Und sie werden nicht mehr frei sein ihr ganzes Leben – und sie sind glücklich dabei.“ Mit solchen Zeitdokumenten arbeitet die neue Forschungsstelle zur „NS-Pädagogik“ der Goethe-Universität. Doch es sind nicht nur Quellen dieser Art, die den Studierenden vermitteln sollen, wie die Nationalsozialisten Erziehungswissenschaftler, Lehrer und Schüler beeinflussten. Denn die Zwangsindoktrination mit plumpen Mitteln reicht nicht aus, um die NS-Ideologie und ihre enorme Breitenwirkung zu erklären. „Viele haben immer noch ein falsches Bild von dieser Zeit“, sagt Professor Benjamin Ortmeyer, der gemeinsam mit dem Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik das Forschungsvorhaben initiiert hat: „Das war keine reine Prügel- oder Hauruckpädagogik, sondern es gab sehr subtile Mechanismen, oft auf dem neusten Stand der Technik.“

So arbeiteten gut gemachte Propagandafilme nicht mit dem Holzhammer, sondern mit geschickter Manipulation – etwa bei der Vermittlung rassistischer und antisemitischer Botschaften. Eine Hauptaufgabe der neuen Forschungsstelle ist es deshalb, pädagogische Zeitschriften der NS-Zeit zu analysieren und zugänglich zu machen. Dafür recherchieren Studierende in Bibliotheken, Archiven und Antiquariaten. Ziel ist es außerdem, an Frankfurter Erziehungswissenschaftler wie Berthold Simonsohn oder Hans Weil zu erinnern, die unter dem NS-Regime gelitten haben und verfolgt wurden.

Ortmeyer und Brumlik geht es jedoch um weit mehr als Vergangenheitsbewältigung. Sie möchten künftigen Pädagogen erklären, wie die Mechanismen von Diskriminierung funktionieren – heute wie damals. „Es geht um die Frage, wie man Gruppen domestiziert oder Untertanengeist und autoritäre Strukturen schafft“, erläutert Ortmeyer. Darüber müsse jeder Lehrer Bescheid wissen: „Das Schimpfwort ‚Scheiß Jude‘ oder ‚Zigeuner‘ können Sie heute fast auf jedem Schulhof hören.“ Ortmeyer und Brumlik waren im vergangenen Jahr selbst Opfer rassistischer und antisemitischer rechter Propaganda geworden. Sie wurden auf Neonazi-Webseiten diffamiert, weil Ortmeyer in seiner Habilitation unter anderem die umstrittene Rolle des Reformpädagogen Peter Petersen in der NS-Zeit aufgearbeitet hatte.

Für die Erziehungswissenschaftler zeigen diese Tiraden umso mehr, wie aktuell die Arbeit der neuen Forschungsstelle ist. Das auf drei Jahre angelegte Projekt, das mit dem Fritz-Bauer-Institut und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung kooperiert, wird vom Uni-Präsidium unterstützt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Es baut auf ein Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung, das in einer sozialempirischen Studie das Wissen von mehr als 300 Studierenden über die NS-Zeit „testete“. Das Ergebnis überraschte nicht nur die Forscher, sondern auch die Studierenden selbst: Es zeigten sich große Wissenslücken – etwa darüber, dass Juden aus ganz Europa in die Vernichtungslager geschickt worden waren. „Auch die Kenntnisse über die Verbrechen in den von Deutschland besetzten Ländern fehlten“, sagt Ortmeyer.

„Ich wusste beispielsweise nicht, in welche Länder die Nazis einmarschiert waren“, sagt selbstkritisch Adrian Oeser (24), der in Frankfurt Politikwissenschaften und Pädagogik studiert. Dabei war die NS-Zeit in seiner Schulzeit alles andere als ein schwarzes Loch der Erkenntnis, wie sich der Darmstädter erinnert: „Ich war auf einer linken Schule mit tollen Lehrern, aber im Unterricht ging es wohl mehr um die Konsequenzen, die aus den Gräueltaten zu ziehen sind, als um detaillierte Fakten.“

Ähnliche Erfahrungen hat Maika Baxa (26) gemacht, die Erziehungswissenschaften studiert. In der Schule habe sie sich „viel und intensiv“ mit der NS-Zeit beschäftigt, aber Aspekte wie Roma oder Eugenik seien gar nicht vorgekommen. Die Seminare im Rahmen der neuen Forschungsstelle hat sie deshalb als Bereicherung empfunden. Wissenslücken hat sie geschlossen, indem sie über NS-Verbrechen in Europa, speziell in Norwegen, geforscht hat.

Aber es waren nicht nur die Fakten, die bei Maika Baxa zu einem tieferen Verständnis der NS-Zeit und ihren ausgrenzenden und rassistischen Mechanismen geführt haben: „Ich fand besonders gut, dass es auch Gespräche mit Zeitzeugen gab.“

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3-2012 des UniReport erschienen.