Archäologisch-historische Untersuchungen zur Besiedlung zwischen Rhein, Main und Modau vom 1. – 5. Jahrhundert n. Chr.

Thomas Maurer M.A.

Das untersuchte Gebiet liegt östlich des Rheins zwischen Main- und Modaumündung und bildet – je nach Sichtweise – das südöstliche Vorfeld der obergermanischen Metropole Mogontiacum/Mainz bzw. das Umfeld des in der mittleren Kaiserzeit bestehenden Militär- und Siedlungsplatzes Groß-Gerau „Auf Esch“. Es handelt sich um den weitgehend flachen nordwestlichen Bereich des hessischen Teils der Oberrheinebene, gegliedert lediglich durch die Geländestufe zwischen Rheinaue und Niederterrasse, Altläufe des Neckars und Mains sowie einige Flugsanddünen. Das Arbeitsgebiet hat Anteil an drei Naturräumen (Nördliche Oberrheinniederung, Hessische Rheinebene, Untermainebene) und wird der Einfachheit halber als „Nördliches Hessisches Ried“ bezeichnet (1).

Die archäologische Erforschung der Römerzeit konzentrierte sich im Ried bisher auf das Areal „Auf Esch“ südlich Groß-Geraus, wo sich ab den 70er Jahren des 1. Jhs. n. Chr. ein bedeutender römischer Militär- bzw. Siedlungsplatz und dann im 4./5. Jh. eine alamannische Siedlung befand (2). Das (ländliche) Umfeld dieses als „Zentralort“ zu bezeichnenden Platzes ist bisher von der provinzialrömischen siedlungsarchäologischen Forschung noch kaum gewürdigt worden (3).

Lediglich für den nördlichsten Teil des Arbeitsgebietes liegt eine allerdings gut 70 Jahre alte Zusammenschau vor (4). Aus der gleichen Zeit stammt der immer noch den Forschungsstand widerspiegelnde Aufsatz zum römischen Straßennetz in Starkenburg von Karl Schumacher im Limeswerk (5). Fundstellenkartierungen neuerer Zeit beruhen auf den Eintragungen in den Fundchroniken bzw. auf der Durchsicht der Ortsakten des LfD Hessen (6). Die römischen Fundmünzen der Region wurden von Helmut Schubert im Corpus FMRD zusammengestellt (7). In jüngster Vergangenheit bekam die Forschung durch die Entdeckung römischer Militärlager bei Nauheim (8) und Trebur-Geinsheim (9) sowie umfangreiche Aus­grabungen im Vicusareal „Auf Esch“ (10) neue Impulse.

Seit 1998 wird am Frankfurter Seminar die Erforschung der ländlichen Umgebung des vicus mittels systematischer Begehung römischer Fundplätze und geophysikalischer Prospektion vorangetrieben (11). Aus diesem von der Kom­mission für Archäologische Landesforschung in Hessen e.V. (KAL) finanziell unterstützten Projekt „Archäologie von Kleinräumen. Der Raum Groß-Gerau – Trebur – Geinsheim in römischer Zeit“ ist auch die hier vorgestellte Dissertation hervorgegangen.

Das zentrale Gliederungskriterium der Arbeit ist der „Fundplatz“, worunter ganz allgemein eine geographisch ge­schlossene Ansammlung römischer Funde verstanden wird. Insgesamt konnten im Nördlichen Hessischen Ried 156 römische Fundplätze herausgearbeitet werden, von denen die weitaus meisten bisher lediglich durch Oberflächenfunde bekannt sind. Nur an wenigen Stellen fanden Grabungen bzw. Baugrubenuntersuchungen statt; diese sind jedoch meist schlecht dokumentiert. In den Fundplatzkatalog haben sämtliche greifbare römische Funde des Arbeitsgebietes Eingang gefunden (12).

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Abb. 1: Riedlandschaft, im Hintergrund der Taunus.


Abb. 2: Virodacthis-Stein
(CIL XIII 11944), als Spolie
im Treburer Kirchturm
vermauert.


Abb. 3: Terra Sigillata-Ge­fäß, gefunden in den 30er Jahren im Landgraben bei Wallerstädten.

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Abb. 4: Feldbegehung
des Uni-Teams im Ried.


Abb. 5: Der Landgraben
zwischen Groß-Gerau und Trebur, möglicherwei­se Relikt einer römischen
Wasserstraße.

Bei der Materialaufnahme wurde auf die Bestände des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, der lokalen Museen, des Magazins der Bodendenkmalpflege sowie einiger teilweise sehr umfangreicher Privatsammlungen zurückgegriffen. Er­gän­zend konnten bereits einige Funde aus der jüngsten Surveytätigkeit des Seminars eingearbeitet werden.

Im folgenden seien die Ergebnisse der Dissertation kurz skizziert:

Mit dem Vorrücken des römischen Militärs an den Rhein gerät ein in den Jahrzehnten zuvor offenbar siedlungsarmes Hessisches Ried in den Bannkreis der mittelmeerischen Macht. Inwieweit unsere Gegend in augusteischer Zeit von der Ar­mee genutzt wurde (Weideland?), lässt sich beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht entscheiden.

Momentan sieht es so aus, als dass sich in den vor kurzem entdeckten rheinnahen römischen Lagern bei Trebur-Geins­heim gegenüber Oppenheim/Nierstein die erste direkte Präsenz römischer Truppen im Ried abzeichnet. Nach Ausweis des Fundmaterials ist hier wohl in tiberischer und später in flavischer Zeit mit der Anwesenheit von Militär zu rech­nen.

Ein weiterer Fundplatz in der Nähe Astheims dürfte nach den Ergebnissen der Bearbeitung ebenfalls in tiberische Zeit ge­hören; sein Charakter bleibt aber unklar.

Die von augusteisch-tiberischer bis flavischer Zeit im Ried nachweisbaren Elbgermanen („Mainsueben“) – bisher durch Gräberfelder bei Groß-Gerau, Nauheim, Rüsselsheim und Goddelau bekannt (13) – sind jetzt an weiteren Plätzen fassbar, dazu gesellen sich einige Funde rhein-weser-germanischer Keramik. Das Material ist aber immer noch zu spärlich, um Aussagen über Siedlungswesen und –dichte der germanischen Riedbewohner treffen zu können.

In claudisch-neronischer Zeit bestand unweit des späteren Kastells „Auf Esch“ ein Militärstützpunkt, dessen Entdeckung den Geländeprospektionen des Frankfurter Seminars verdankt wird. Nach den Funden zu urteilen, ging dieser Platz dem vespasianischen Lager „Auf Esch“ unmittelbar zeitlich voraus und war möglicherweise selbst direkter Nachfolger der frühen Geinsheimer Lager.

So ist nun eine mehr oder minder kontinuierliche römische Truppenpräsenz im Ried bereits seit tiberischer Zeit wahr­scheinlich. Wie man sich das Verhältnis dieser Besatzung zu den gleichzeitig in der Gegend siedelnden Germanen vorzustellen hat, bedarf noch der Klärung.

Ab den 70er Jahren des 1. Jhs. liegt für mehrere Jahrzehnte römisches Militär erneut in Geinsheim (?) und im Kastell „Auf Esch“, um das sich in der Folge eine Zivilsiedlung (vicus) bildet, die bis ins 3. Jh. bestehen bleibt. Sie ist – zumindest nach dem heutigen Kenntnisstand – die einzige geschlossene Siedlung im nördlichen Ried und bildet den Kreuzungspunkt der wichtigsten römischen Straßen/Wege, von denen lediglich die „Rheintalstraße“ Mainz-Kastel – Groß-Gerau – Gernsheim näher bekannt ist (14).

Die mittlere Kaiserzeit ist geprägt durch die Existenz zahlreicher Fundplätze, die sich am gewundenen Lauf des Altneckars bzw. im Norden an den Altmainarmen orientieren. In der Regel liegen die Siedlungsstellen am Rand der Flußniederungen auf der hochflutlehmbedeckten Niederterrasse. Hinter diesen Fundplätzen dürften sich überwiegend römische Einzelhöfe (villae rusticae) verbergen – in einigen Fällen vielleicht auch Straßenstationen –, wenn auch mangels Grabungen und aussagekräftiger Luftbilder eine eindeutige Ansprache nur selten möglich ist.

Die Bereiche abseits der Altläufe bleiben weitgehend fundleer. Als Erklärung bietet sich – neben der nie ganz aus­zu­schließenden Forschungslücke – eine Lokalisierung der römerzeitlichen Feldflur auf den dortigen Parabraunerden an (15).

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Abb. 6: Terra Sigillata­Scherbe mit Weinranken­dekor, gefunden bei Be­gehung im Ried.


Abb. 7: Winterliche Impres­sion aus der Rheinaue mit
sog. Kopfweiden.

Zumindest der Altneckar dürfte damals für Schiffe geringen Tiefgangs befahrbar gewesen sein. Für die postulierte Funktion des Landgrabens (zwischen „Auf Esch“ und Trebur) als römischer Kanal (16) konnten weitere Indizien gewonnen werden. Zum ersten Mal stehen diesbezüglich auch auf naturwissenschaftlichem Wege gewonnene Daten zur Verfügung.

In der spätrömischen Zeit überrascht die Dichte der Besiedlung, die sich weiterhin an den Altläufen orientiert. Die Bearbeitung hat gezeigt, dass in der Regel die spätrömischen Siedlungen an den Stellen vorzufinden sind, die bereits in der mittleren Kaiserzeit belegt waren. Nur an wenigen Plätzen – die bedeutendsten liegen bei Wallerstädten, Trebur und Astheim – ist erst im 4./5. Jahrhundert gesiedelt worden.

Besonders der Treburer Fundplatz „Tannböhl“ hat ein sehr reichhaltiges (Lese-)Fundmaterial geliefert, welches Drehscheibenware des gesamten 4. Jahrhunderts in großer Menge, eine beeindruckende Münzreihe und einige Kleinfunde, darunter Zwiebelknopffibeln enthält. Indizien sprechen dafür, dass dieser Platz in der Zeit des Barbareneinfalls 406/407 sein Ende gefunden haben könnte.

Ist an dieser Stelle immerhin noch etwas „alamannische“ Keramik gefunden worden, so fehlt sie an anderen spätrömischen Siedlungsplätzen voll­kommen (bzw. wurde von der Lokalforschung übersehen), sieht man einmal von Groß-Gerau „Auf Esch“ ab. Der Charakter der meisten Fundplätze dieser Zeit bleibt aus oben schon genannten Gründen unklar. Eindeutige Befunde sind lediglich bei einigen Körpergräbern (Trebur, Groß-Gerau) so­wie bei dem im Rahmen der Begehungen auf geophysikalischem Wege entdeckten burgus mit Schiffslände bei Astheim (17) gegeben.

Alles in allem bildet die Reichhaltigkeit der spätrömischen Funde im Ried einen Indikator für weiter- bzw. wiederbestehendes Interesse Roms an den rechtsrheinischen ehemaligen Provinzgebieten im 4. und frühen 5. Jahrhundert.

Die Erarbeitung der Dissertation wurde durch ein dreijähriges Doktorandenstipendium im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Archäologische Analytik“ ermöglicht. In einer Folgestudie des Verfassers sollen die Ergebnisse der ebenfalls in diesem Kolleg angesiedelten naturwissenschaftlichen Dissertationen von M.Sc. Geol. Christiane Singer (18) und Dipl.-Geogr. Uwe Kannengiesser (19) miteinbezogen und eine GIS-unterstützte Re­kon­struk­tion des römischen Siedlungs- und Vegetationsbildes im Sinne der „Landschaftsarchäologie“ (20) versucht werden.


Auflösung der Fußnoten

(1): O. Klausing, Die Naturräume Hessens. Schriftenreihe der hessischen Landesanstalt für Umwelt 67 (Wiesbaden 1988) 11 ff.

(2): W. Jährling, Groß-Gerau, „Auf Esch“. Römisches Kastell, vicus und Gräberfelder. Führungsblatt zu Kastell und Lagerdorf. Ausgrabungen in den römischen Gräberfeldern 1978-1984. Arch. Denkmäler in Hessen 57 (Wiesbaden 1987). – E. Schallmayer, Groß-Gerau GG. Römische Zivilsiedlung und Steindenkmäler. In: D. Baatz/F.-R. Herrmann (Hrsg.), Die Römer in Hessen² (Stuttgart 1989) 322 ff. – H.-M. v. Kaenel/C. Wenzel, Geophysikalische Prospektionen und Grabungen im Kastellvicus von Groß-Gerau. Denkmalpfl. u. Kulturgesch. H. 2/2000, 56 ff. – E. Schallmayer, Germanen in der Spätantike im Hessischen Ried mit Blick auf die Überlieferung bei Ammianus Marcellinus. Saalburg-Jahrb. 49, 1998, 139 ff.

(3): Eine Zusammenstellung der vorgeschichtlichen Funde des Kreises Groß-Gerau als Mainzer Dissertation durch K. Gebhard ist erst kürzlich erfolgt: Arch. Nachrbl. 8, H. 4, 2003, 340 ff.

(4): K. Nahrgang, Archäologische Fundkarte des Mainmündungsgebietes. Mainzer Zeitschr. 29, 1934, 28 ff.

(5): K. Schumacher, Die römischen Heerstraßen zwischen Main und Neckar. In: ORL A Strecke 6-9, 70 ff.

(6): So z. B. die bisher aussagekräftigste Karte bei P. Wagner, Die Holzbrücken bei Riedstadt-Goddelau, Kreis Groß-Gerau. Materialien zur Vor- und Frühgeschichte von Hessen 5 (Wiesbaden 1990) 83 Abb. 54. – Vgl. auch die Kartierung spätrömischer Fundplätze bei R. Ludwig, Kelten, Kastelle, Kurfürsten. Archäologie am unteren Neckar (Stuttgart 1997) 105.

(7): FMRD V 2,1 (Mainz 1989).

(8): M. Posselt/C. Wenzel, Spuren im Sand. Erste Ergebnisse der Untersuchung an römischen Lagern in Nauheim „Herrnwiese“. Hessen-Arch. 2001, 69 ff.

(9): N. Hanel, Neuentdeckte Römerlager bei Trebur-Geinsheim und Nauheim. Denkmalpfl. u. Kulturgesch. H. 2/1998, 58 ff. – N. Hanel/D.G. Wigg, Die neuentdeckten Militärlager bei Trebur-Geinsheim (Hessen) und die römische Okkupation des nördlichen hessischen Rieds. In: W. Groenman-van Waateringe et al. (Hrsg.), Roman Frontier Studies 1995. Proceedings of the 16th International Congress of Roman Frontier Studies (Oxford 1997) 41 ff.

(10): N. Hanel, Neue Ergebnisse zur römischen Besiedlung bei Groß-Gerau. Denkmalpfl. Hessen H. 2, 1992, 24 ff. – Vgl. auch H.-M. v. Kaenel/C. Wenzel (Anm. 2).

(11): H.-M. v. Kaenel/M. Helfert/Th. Maurer, Das nördliche Hessische Ried in römischer Zeit. Vorbericht über ein landschaftsarchäologisches Projekt. Ber. Komm. Arch. Landesforschung Hessen 6, 2000/2001, 153 ff.

(12): Ausgenommen sind die Grabungs- und Lesefunde des Kastell- bzw. Vicusgeländes Groß-Gerau „Auf Esch“.

(13): G. Lenz-Bernhard/H. Bernhard, Das Oberrheingebiet zwischen Caesars Gallischem Krieg und der flavischen Okkupation (58 v.-73 n. Chr.). Eine siedlungsgeschichtliche Studie. Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 89 (Speyer 1991) 275 ff.

(14): K. Schumacher (Anm. 5) 73 ff.

(15): Vgl. Hess. Landesamt für Bodenforschung (Hrsg.), Bodenkarte der nördlichen Oberrheinebene 1:50000. Bearbeiter: E. Weidner (Wiesbaden 1990).

(16): N. Hanel, Ein römischer Kanal zwischen dem Rhein und Groß-Gerau? Arch. Korrbl. 25, 1995, 107 ff.

(17): Der burgus war Ziel einer Lehrgrabung des Seminars f. Griech. u. Röm. Gesch. II im Spätsommer 2003: A. Heising, „Sensationsfund im Kar­tof­fel­acker“. Spätrömische Kleinfestung und frühmittelalterliche Gräber an der Schwarzbachmündung bei Trebur-Astheim. Hessen-Arch. 2003 (im Druck).

(18): „Pollenanalytische Untersuchungen zum Natur- und Siedlungsraum im nördlichen Hessischen Ried in den Jahrhunderten um Chr. Geburt“ (Ar­beits­titel). Betreuer: Prof. Dr. H. Thiemeyer/Dr. A.J. Kalis.

(19): „Bodenkundliche Untersuchungen zum Natur- und Siedlungsraum im nördlichen Hessischen Ried in römischer Zeit“ (Arbeitstitel). Betreuer: Prof. Dr. H. Thiemeyer.

(20): Zum Begriff vgl. J. Lüning, Landschaftsarchäologie in Deutschland, ein Programm. Arch. Nachrbl. 2, H. 3, 1997, 277 ff. – Chr.C.J. Schade, Landschaftsarchäologie, eine inhaltliche Begriffsbestimmung. In: Studien zur Siedlungsarchäologie 2 (Bonn 2000) 135 ff.