Spätrömischer Lände-Burgus und völkerwanderungszeitliche Befunde
Lehrgrabung 2003 in Trebur-Astheim, Kreis Groß-Gerau
„Sensationsfund im Kartoffelacker“ – So lautete Ende September 2003 eine Schlagzeile in der Bild-Zeitung, Regionalausgabe Frankfurt, als die Ergebnisse einer zweimonatigen Grabungskampagne in der Gemarkung Trebur-Astheim durch die Abteilung Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität vorgestellt wurden. Läßt man einmal die journalistische Zuspitzung beiseite, kann das Resultat der Lehrgrabung als durchaus bemerkenswert gelten, ist es doch in Astheim gelungen, nicht nur eine der jüngsten römerzeitlichen Anlagen auf hessischem Boden zu erfassen, sondern auch erstmals im Ried die Geschichte eines Platzes vom späten 4. bis zum 9. nachchristlichen Jahrhundert lückenlos zu verfolgen.
Die von der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen e.V. finanzierte Grabung des Jahres 2003 ist Bestandteil eines von Prof. Dr. H.-M. von Kaenel geleiteten, interdisziplinären, landschaftsarchäologischen Projektes an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe Universität, das -ausgehend von den Rettungsgrabungen im Kastellvicus Groß-Gerau Mitte der neunziger Jahre- die Entwicklung des Natur- und Siedlungsraumes „Nördliches Hessisches Ried“ vom Beginn der Römerzeit bis zum Mittelalter nachzeichnen soll. Im Rahmen dieses Projektes, an dem verschiedenste archäologischen Teildisziplinen und Naturwissenschaften wie Bodenkunde, Geophysik, Archäobotanik und Archäometrie partizipieren, wurde auch die Bedeutung des hier zu besprechenden Fundplatzes erkannt.
Die Fundstelle liegt auf einem von Hochflutlehm überdeckten, heute kaum mehr erkennbaren Hochgestadesporn innerhalb der Rhein-Niederterrasse, im Norden der Astheimer Gemarkung nahe der Schwarzbachmündung in den Rhein. Bodenkundlich ausgewertete Bohrprofile lassen Anzeichen erkennen, dass der heutige Schwarzbach an dieser Stelle in einer alten Rheinschlinge verläuft. Der Fundplatz dürfte in spätrömischer Zeit also direkt am Rheinufer gelegen haben.
Die Grabung des Jahres 2003 zielte nun zum einen darauf ab, in einem interdisziplinären Methodenverbund die geophysikalischen Daten zu verifizieren und den Geophysikern im Vergleich mit den ergrabenen Befunden die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Meßergebnisse genauer zu interpretieren. Zum anderen sollte die Untersuchung im Rahmen eines übergeordneten, denkmalpflegerischen Konzepts klären, ob und wie stark die archäologischen Denkmäler durch Erosion, Tiefpflügen, Absenken des Grundwasserspiegels und aggressive Dünger gefährdet sind, um langfristige Konzepte zu ihrem Schutz zu entwickeln. Dank der weitreichenden geophysikalischen Vorinformation konnte die Grabung dabei auf gezielte, punktuelle Sondagen und schmale Schnitte beschränkt werden.
Um unbefugten Sondengängern zuvorzukommen, wurde der Fundplatz vor der Grabung unter zur Hilfenahme von Metalldetektoren begangen und die Lesefunde per satellitengestütztem, referenziertem GPS einzeln eingemessen. Schon hier wurde deutlich, dass sich nicht nur die spätrömischen, sondern auch die wenigen alamannischen und fränkischen Funde ganz auf den spätrömischen Festungsbereich beschränkten. Auffällig war auch die im Verhältnis zur Gesamtmenge hohe Anzahl frühkaiserzeitlicher Funde, die sich vor allem südöstlich der späteren Befestigung konzentrierten. Über die gesamte Fläche streuten zudem Funde der frühen und mittleren Bandkeramik, darunter ein überraschend vielfältiges Spektrum an Silexmaterial wie Klingen, Kratzer, Abschlägen und Kernsteinresten.
Die Flächen der folgenden Grabung waren so angelegt, dass alle geophysikalisch detektierten Strukturen mindestens einmal geschnitten wurden. Die älteste, zeitlich sicher festzulegende Struktur war eine flache, unförmige Grube mit Funden um die Mitte des 1. Jhs. n.Chr., die im südöstlichsten Schnitt, knapp neben der Zentralbestattung des schon angesprochenen Grabhügels aufgedeckt wurde. Die von den geophysikalischen Meßmethoden nicht erfasste Struktur liegt genau im Zentrum der frühkaiserzeitlichen Lesefundstreuung. Neben winzigen Splittern südgallischer Terra Sigillata enthielt die Grube auch eine bronzene Scharnierfibel und mehrere Keramik-Reibschalenbruchstücke mit auffälliger Ziegelsplittmagerung, eine Ware, die zum überwiegenden Teil in jenen frühen Töpfereien von Mainz-Weisenau hergestellt worden sein dürfte, welche 69 n.Chr. bei den Wirren des Vierkaiserjahres untergingen. Der relativ unspezifische Befund könnte damit auf eine Okkupationsphase kurz vor der dauerhaften römischen Besetzung der Wetterau und des oberen Neckargebiets ab 73/74 n.Chr. sowie der Gründung des Kastells Groß-Gerau hinweisen. Vielleicht ist auch der durch die Geoelektrik erfasste, SW-NO verlaufende Graben in gleichen zeitlichen Zusammenhang zu sehen. Zwar enthielt der auf vier Metern geschnittene Graben mit ausgeprägtem Spitzprofil keine Funde, doch wird die Struktur von dem spätantiken Burgus eindeutig geschnitten, ist also zeitlich früher anzusetzen.
Bei den Befunden der spätrömischen Kleinfestung fiel sofort die schlechte Erhaltung ins Auge. An keiner der untersuchten Stellen war noch originales Mauerwerk vorhanden, vielmehr hatte man die Fundamente bis auf die Sohle ausgebrochen, um die Steine als Baumaterial an anderer Stelle in dem von Natur aus steinarmen Ried wiederzuverwenden. Nach den wenigen Funden aus den Ausbruchsgruben zu urteilen, geschah dies zu drei verschiedenen Zeiten: Im 8/9. Jhd., im 12/13. Jhd. und dann noch einmal -quasi als Nachlese, um selbst faustgroße Steine abzutransportieren- im 18.Jhd. Darüber hinaus ist seit der spätrömischen Zeit mindestens 0,8 Meter Boden aberodiert, so dass keinerlei römische Schichten oder Gruben der Benutzungsphase mehr erhalten waren.
Die Aufgabe solcher Posten, die meist an der Mündung von rechtsrheinischen Nebenflüssen lagen, war die Vorfeldsicherung und die Sperrung ebendieser Nebenflüsse. Vergleichbare Anlagen an Rhein und Neckar sind schon länger bekannt. Der Burgus von Trebur-Astheim schließt nun die Lücke zwischen den Kleinfestungen von Wiesbaden-Schierstein und vom Zullestein an der Weschnitzmündung.
Nach den militärischen Niederlagen der Alamannen gegen die Franken um 500 n.Chr. wurde der Bereich um Trebur-Astheim fränkisch, wie die zweite Gräberschicht mit rein fränkisch geprägten Bestattungen des 6. und 7.Jhs. belegt. Hier zeigen erste Ziegelreste und einzelne Mörtelspuren in den Grabfüllungen, dass der römische Steinbau spätestens im 7. Jh. allmählich zur Ruine verfiel. Massive Abbruchspuren finden sich aber erst in den Grabgruben der dritten Gräberschicht. Dies sind bereits beigabenlose Gräber, die vermutlich dem späten 8. und 9. Jh. angehören.
Diese erste Abbruchphase kann mit Funden aus den Ausbruchsgruben parallelisiert werden und könnte mit der nahen Königspfalz von Trebur in Zusammenhang stehen. Die Pfalz wird im Jahr 829 erstmals urkundlich erwähnt, dürfte aber geringfügig älter sein. Bekannt ist die Treburer Pfalz vor allem, weil von hier aus Kaiser Heinrich IV. im Jahr 1077 zu seinem Bußgang nach Canossa aufbrach.
Ein besonderer Höhepunkt der Grabung war die abschließende Untersuchung des südöstlich der römischen Festung liegenden Grabhügels samt Zentralbestattung. Von dem Grabhügel zeugte nur noch der kreisförmige Umfassungsgraben mit einem Innendurchmesser von 15 Metern.
Hier hat sich ein selbstbewusster fränkischer Patron auf eigenem Boden mit allen Insignien seiner gesellschaftlichen Position als einer der letzten noch unabhängigen Grundherren bestatten lassen. Auch die Wahl des Bestattungsplatzes in unmittelbarer Nähe der damals sicher noch imposanten römischen Ruine kann wohl als ein Ausdruck seines Rangs und seiner Herkunft verstanden werden.
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Abb. 6 und 7: Grabungsimpressionen |
Literatur:
- H.-M. von Kaenel, M. Helfert, Th. Maurer, Das nördliche hessische Ried in römischer Zeit. Vorbericht über ein landschaftsarchäologisches Projekt. Berichte der Kommission für Archäologische Landesforschung in Hessen 6, 2000/2001, 153-166.
- A. Heising, „Sensationsfund im Kartoffelacker“. Spätrömische Kleinfestung und frühmittelalterliche Gräber an der Schwarzbachmündung bei Trebur-Astheim. Hessen-Archäologie 2003 (2004) 119-123.