Panel 6: Genese des Korans

Panelleitung: Ömer Özsoy, Frankfurt/Omar Hamdan, Tübingen

Das Thema der Genese des Korantextes ist äußerst komplex und die Diskussion darüber, wie es zur Entstehung des in der heutigen Gestalt vorliegenden Korans kam, wird kontrovers geführt. Das Themengebiet umfasst dabei u.a. das kulturelle Umfeld und den Kontext der Offenbarung, Anlässe für diese, nicht-arabische religiöse Schrifttum der Spätantike, Muḥammad als Offenbarungsempfänger und -verkünder, die Chronologie der Suren, den Kanonisierungsprozess selbst und darin involvierte Personen.

Die „klassisch“ islamische Sichtweise nimmt an, dass der Koran auf das Wirken des Propheten Muḥammads zurückgeht, der die Offenbarungen Gottes an die Bewohner der arabischen Halbinsel zur Zeit des 7. Jahrhunderts n. Chr. weitergab und dass diese Aussprüche später niedergeschrieben, gesammelt und kanonisiert wurden. Viele nicht-muslimische Forscher sehen den Koran ebenfalls als ein Produkt des Wirkens Muḥammads (jedoch ohne den Offenbarungsaspekt) an. Dabei werden u.a. Beeinflussungsthesen (von jüdischer und christlicher Seite) auf Muḥammad stark diskutiert und durchziehen in unterschiedlicher Form die polemische und apologetische Auseinandersetzung nicht-muslimischer Forscher mit der Genese des Korans. Besonders im 20. und auch im beginnenden 21. Jahrhundert wurden neue Thesen formuliert. John Wansbrough, Patricia Crone und Michael Cook sprachen sich für eine Spätdatierung des Korans aus. Christoph Luxenberg nahm an, dass man aus dem Koran eine ursprünglich christliche „Urschrift“ rekonstruieren könne und Günter Lüling behauptete, dass dem Ur-Koran eine Sammlung christlicher Strophenlieder zugrunde liege. Die zeitgenössische Forschung hat durch die Betonung des spätantiken Kontextes des Korans (Angelika Neuwirth) und Projekte wie dem Berliner Corpus Coranicum neue Akzente gesetzt und die Diskussion um die Genese des Korantextes bereichert. Aber auch die neuere innerislamische Debatte über die Koranexegese legt unterschiedliche Schwerpunkte. Hier wird z. B. die Kontextbezogenheit der koranischen Offenbarung betont, die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kontextualität und Universalität des Korans neu gestellt oder die historische Diskussion um die Geschaffen- oder Ungeschaffensein des Korans wieder neu aufgegriffen. Für diese ganz unterschiedlichen Sichtweisen auf das hochkomplexe Thema Genese des Korans soll dieses Panel Raum bieten, um die Frage nach der Genese des Korans neu zu stellen und Erkenntnisse für diesen Bereich für die islamisch-theologischen Studien in Deutschland zu gewinnen.

Referenten

Necmettin Gökkir (Istanbul)
Mushaf-Printing in the Context of Ottoman-Europe Relations

Michael Marx (Potsdam)
Materielle Evidenz und ihr Beitrag zur Textgeschichte des Korans

Tobias Jocham (Potsdam)
Datierung der frühesten koranischen Textzeugen auf Pergament und Papyrus mit naturwissenschaftlichen Methoden

Hadiye Ünsal (Adana)
New Perspectives on „awwal mā nazal“

Tolou Khademalsharieh (Münster)
Ambiguität und/oder Mündlichkeit? Der frühe Verschriftlichungsprozess des Korans als Spiegel seiner frühen Textgenese

Jens Sauer (Potsdam)
Die Textgeschichte des Korans im Lichte des Kitāb Sībawaih: Der Beitrag von P. Edmund Beck OSB zur Koranforschung

Emmanouela Grypeou (Potsdam)
Das koranische Paradies vor dem Hintergrund von Jenseitsvorstellungen der Spätantike

Yousef Kouriyhe (Potsdam)
Allahu Akbar: Von Gottespreisung zum Kriegsaufruf

Ömer Özsoy (Frankfurt)
Titel Jesu im Koran als mutašābihāt: Eine Bemerkung zu Jesusrezeption des Korans

Tayyar Altıkulaç (Istanbul)
Arbeitsbericht zu frühen Koranhandschriften

Gerd-Rüdiger Puin (Saarbrücken)
Über Schreibarten und Lesarten in den frühen Koranhandschriften

Ismail Andreas Mohr (Berlin)
Response zu Puin und Altıkulaç