Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreisträgerin 2014

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Nukleinsäure-Alarm im Immunsystem

DNA-Sensoren bemerken fremde Nukleinsäuren und schlagen Alarm, sobald sie etwas Auffälliges gefunden haben.

Das Immunsystem der Säugetieren besitzt zwei Verteidigungssysteme: die angeborene und die adaptierte Immunabwehr. Die angeborene Immunabwehr verwendet Rezeptoren, die Krankheitserreger an spezifischen Mustern oder molekularen Signaturen erkennen. Die adaptierte Immunabwehr arbeitet unter anderem mit passenden Antikörpern, die Fremdes erkennen und beseitigen. Das angeborene Immunsystem reagiert blitzschnell, das adaptierte Immunsystem braucht Zeit, weil der passende Antikörper erst entwickelt und in Massen produziert werden muss.

Der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis geht 2014 an eine junge Medizinerin, die sich intensiv mit einer Gruppe von Rezeptoren für die Mustererkennung bei der angeborenen Immunabwehr beschäftigt hat - an Dr. Andrea Ablasser vom Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie der Universität Bonn. Ablasser untersucht DNA-Sensoren, die fremde Nukleinsäuren außerhalb des Zellkerns aufspüren – eine Taktik, die vor allem bei der Wahrnehmung von viralen Infektionen, aber auch bei gewissen bakteriellen Infektionen zum Tragen kommt.

Das angeborene Immunsystem informiert sich bei der Erkennung eines fremden Musters auch über die Gefahrenlage und den Kontext der Bedrohung. Dadurch werden Überreaktionen vermieden, die nicht nur Kraft kosten, sondern auch Autoimmunerkrankungen auslösen können. Gleichzeitig muss aber auch gewährleistet sein, dass die Angreifer angemessen bekämpft werden, sonst könnte die Bedrohung aus dem Ruder laufen. Typische Widersacher sind Viren, Bakterien oder Parasiten, wobei jeder dieser Widersacher mit anderen Mitteln bekämpft wird. Deshalb organisiert das angeborene Immunsystem eine auf die Gefahrenlage und den Kontext zugeschnittene Abwehrreaktion, an der auch das adaptierte Immunsystem beteiligt wird.

Zu den häufigsten Feinden zählen Viren. Sie kommen mit DNA oder RNA im Gepäck und weil sie außer diesen Nukleinsäuren fast nichts dabei haben, gibt es auch nicht viel, woran sie zu erkennen sind. Da Viren für ihre Vermehrung die Eiweiße ihrer Wirtszellen benutzen, kommt auch diese Maschinerie nicht als Hinweis auf ihre Fremdheit in Frage. „Virale Nukleinsäuren sind für das angeborene Immunsystem ein echtes Problem“, sagt Andrea Ablasser, “weil Nukleinsäuren überall gleich sind. Chemisch gesehen, besteht meistens kein Unterschied zwischen den Nukleinsäuren der Wirtszellen und den Nukleinsäuren der Viren. Dies gilt besonders für DNA-Viren“. Die viralen Sequenzen werden nur deshalb als fremd erkannt, weil sie an der falschen Stelle auftauchen - nämlich im Zyptoplasma. Dort werden sie von spezialisierten DNA-Sensoren entdeckt. Die 30 Jahre alte Medizinerin wurde erst vor drei Jahren promoviert, hat aber schon sechszehn Artikel in renommierten internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht – allein drei im vergangenen Jahr in Nature. Ihr Medizin-Studium hat Andrea Ablasser als eine der zehn Besten ihres Jahrgangs bundesweit absolviert. In zwei Wochen wird sie eine Professur an der Technischen Hochschule Lausanne antreten.

DNA im Zytoplasma ist für jede Zelle ein Alarmsignal, da sie dort normalerweise nicht vorkommt. In höheren Organismen - dazu zählt auch der Mensch - kommt DNA nur im Zellkern oder in bestimmten Zellorganellen vor. Freie, im Zytoplasma herumlungernde Nukleinsäuren signalisieren den Zellen die Anwesenheit von Viren oder Bakterien oder verweisen auf einen anderen Defekt. In allen Fällen muss die Zelle reagieren. Als Doktorandin hat Ablasser unter der Leitung von Veit Hornung mitgewirkt, einen neuartigen DNA-Sensor zu identifizieren. Dieser trägt den kryptischen Namen AIM2. Sobald AIM2 fremde DNA im Zytoplasma erkannt hat, entsteht in der Zelle eine Nanomaschine, die auch als Inflammasom bezeichnet wird. Diese Nanomaschine sorgt dafür, dass die auf die Gefahrenlage zugeschnittenen Botenstoffe produziert werden und eine für die Heilung notwendige Entzündungsreaktion in Gang kommt. Über AIM2 werden Pockenviren und Listerien abgewehrt.

Die Nachwuchspreisträgerin hat zudem einen Weg aufgezeigt, wie Epstein Barr-Viren in Schach gehalten werden. Diese Viren bleiben lebenslang im Körper. Sie sind bei fast jedem Erwachsenen zu finden, weil sie zumeist schon im Säuglingsalter zum Beispiel durch einen elterlichen Kuss übertragen werden können. Epstein Barr-Viren hinterlegen ihre doppelsträngige DNA vor allem in Immunzellen. Die Viren zwingen die Immunzellen dann dazu, bestimmte virale Gene in Botenribonukleinsäuren zu übersetzen und aus diesen Botenribonukleinsäuren Proteine zu machen. Neben diesen Kopiervorlagen für die Eiweißsynthese stellen die mit Epstein Barr-Viren infizierten Immunzellen über das Virusgenom auch kleine Ribonukleinsäuren für andere Aufgaben her. Einige dieser Ribonukleinsäuren werden von einem Nukleinsäure-Sensor namens RIG-I erkannt, wie Ablasser und ihre Kollegen zeigen konnten. Sobald RIG-I mit einer dieser Nukleinsäuren in Berührung kommt, wird die Zelle in einen Alarmzustand versetzt und leitet alles Nötige für die Virusabwehr ein.

Vor wenigen Wochen haben Ablasser und ihre Kollegen die Arbeitsweise eines weiteren DNA-Sensors aufgeklärt, der virale und bakterielle Nukleinsäuren erkennt. Für diesen Alarm leistet sich die Zelle ein mehrstufiges Meldesystem. Am Anfang steht ein Sensor, der cGAS heißt. Er bindet fremde DNA und bildet dann einen unkonventionellen Botenstoff. Dieser dockt an einem weiteren Rezeptor an, der dadurch aktiviert wird. Dieser Umstand führt schließlich dazu, dass die für die Immunabwehr relevanten Gene abgelesen werden. „Diese mehrgliedrige Signalkaskade ist ungewöhnlich für die Sensoren des angeborenen Immunsystem und wir haben uns natürlich gefragt, wozu das gut ist“, sagt Ablasser. „Jetzt kennen wir den Vorteil. Der Botenstoff wird an die Nachbarzellen weitergegeben und leistet dadurch molekulare Nachbarschaftshilfe.“ Denn: Der unkonventionelle Botenstoff organisierst nicht nur eine Abwehrreaktion in der infizierten Zelle, sondern trägt die Nachricht von der Gefahrenlage auch in die benachbarten Zellen. Dafür benutzt er spezialisierte Kanäle, über die alle Zellen miteinander in Verbindung stehen. Ablasser und ihre Kollegen haben nun gezeigt, dass der unkonventionelle Botenstoff über diese Kanäle in die angrenzenden Zellen wandert und sie in Alarmbereitschaft versetzt. Diese Zellen bereiten sich dann auf einen Angriff vor, ohne selbst mit der Bedrohung in Kontakt gekommen zu sein. „Das System funktioniert wie eine Rohrpost“ erklärt Ablasser. „Die infizierten Zellen verhindern dadurch, dass sich der Angreifer weiter ausbreitet“.

Die Arbeiten der Nachwuchspreisträgerin sind für die Medizin von einiger Bedeutung. Je besser Wissenschaftler verstehen, wie sich das angeborene Immunsystem über den Kontext einer Bedrohung informiert, desto besser können Autoimmunerkrankungen behandelt werden. Bei den Autoimmunerkrankungen werden keine Eindringlinge attackiert, sondern körpereigene Proteine. Das Immunsystem unterscheidet nicht korrekt zwischen fremd und selbst. Man weiß heute zum Beispiel, dass mindestens dreißig verschiedene Erkrankungen mit einem falsch arbeitenden Inflammasom zu tun haben. Zu diesen Erkrankungen gehören unter anderem Atherosklerose, Alzheimer, Rheuma, Diabetes. Ablassers Arbeiten tragen auch dazu bei, bessere Impfstoffe für die Immuntherapie zu entwickeln, etwa gegen Krebserkrankungen.

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