Lunchpaper am Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften

Vortrag von Prof. Dr. Christian Wiese

Veröffentlicht am: Mittwoch, 04. Juni 2014, 12:15 Uhr (2014-06-02)

"Revolte wider die Weltflucht: Hans Jonas’ Auseinandersetzung mit Martin Heidegger und dem modernen Existenzialismus"

Zeit: Mittwoch, 04. Juni 2014, 12.15 Uhr 
Ort: Campus Westend, Raum IG 1.414

Der Philosoph Hans Jonas, eine der herausragenden Gestalten des religionsphilosophischen und politischen Denkens des 20. Jahrhunderts, war in der Weimarer Republik Martin Heideggers Student und Doktorand und – nach der Shoah – einer seiner heftigsten Kritiker. Der Vortrag analysiert Jonas’ komplexe Beziehung zu Heidegger seit den 1920er Jahren und interpretiert seine fortdauernde Auseinandersetzung mit der Philosophie seines Lehrers als den Subtext der unterschiedlichen Facetten seines eigenen philosophischen Denkens. Jonas’ Werk, einschließlich seiner Deutung der antiken Gnosis, seiner Philosophie des Organischen, seiner Ethik der Verantwortung und seiner ethisch-theologischen Spekulationen wurden als Antwort auf das fatale nihilistische Element gedeutet, das er in Heideggers Denken erkannte und das ihm als Ursache seines politischen Versagens in der Zeit des Nationalsozialismus erschien. Indem der Vortrag Jonas’ vernichtende Kritik an Heidegger zur jüdischen Dimension seiner eigenen Biographie und seines Denkens in Beziehung setzt, verweist er auf einen Grundzug der Jonas’schen Biographie: Die Erinnerung an die Shoah als das grundlegende historische Ereignis des 20. Jahrhunderts, so Jonas, war eine erste grausame Kulmination derselben nihilistischen Gleichgültigkeit gegenüber dem Wert des Lebens, die auch der destruktiven, fatalistischen Neigung der gegenwärtigen Weltgesellschaft zugrunde liegt, die Einsicht in die Gefahr einer irreversiblen Zerstörung der Grundlagen natürlichen Lebens auf dem Planeten Erde zu verdrängen – gegen diese Tendenz richtet sich die „Revolte gegen die Weltflucht“ als Grundzug von Jonas’ ethischem Denken.