BIWO - Bild und Wort: Erziehungswissenschaftliche Videographie - Kurs- und Interaktionsforschung

Laufzeit: 2003-2012

Leitung: Prof. Dr. Jochen Kade (Univ. Frankfurt), Prof. Dr. Sigrid Nolda (TU Dortmund)

Mitarbeiter:
 Dr. Jörg DinkelakerDr. Matthias Herrle, Dipl.-Päd. Tim Stanik, Jürgen Gahlmann

Förderung: 
Drittmittelprojekt
   
Projektbeschreibung: 
Im Projekt BIWO werden Kurse der Erwachsenenbildung/Weiterbildung anhand von Videoaufnahmen untersucht. In bisherigen Analysen pädagogischer Interaktion wird meist das gesprochene Wort in den Mittelpunkt gestellt und Videomaterial - sofern vorhanden - nur als Ergänzung hinzugezogen. Die besondere Dynamik der Strukturbildung von lehr-lernbezogenen Interaktionssystemen lässt sich aber - so die These des Projekts - nur adäquat erfassen, wenn man deren auditive wie auch visuelle Manifestation in den Blick nimmt. Verbale und nonverbale Aspekte von Interaktion bilden je eigene Sphären der Sinnkonstitution, die aufeinander bezogen sind und sich ineinander verschränken.

Die Analyse des in der Zeit ablaufenden Bildes erhält im Projekt BIWO deswegen den Status eines eigenständigen empirischen Zugangs, anhand dessen beispielsweise Gesten undMimiken, synchrones und asynchrones Verhalten von Teilnehmenden sowie Gruppenbildungsprozesse in den Blick kommen. Zudem kann das Bild etwa zur Überprüfung und Differenzierung von Lesarten, die auf der Grundlage des Gesprochenen generiert wurden, verwandt werden und umgekehrt. Durch die Berücksichtigung der Bildebene wird ein neuer theoretischer Bezugsrahmen zur Analyse von Bildungsveranstaltungen eröffnet: Unterricht und Kurse werden als mehrdimensionaler, diskontinuierlich verlaufender, nicht vollständig kontrollierbarer polykontexturaler (individueller und sozialer) Konstitutionsprozess von Wissen rekonstruierbar.

Diese Herangehensweise wirft eine Vielzahl methodischer, methodologischer und theoretischer Fragen auf, die experimentierend in der Verbindung von universitärer Lehre und Forschung verfolgt werden. Um Kursinteraktion als Kommunikation unter Anwesenden dem forschenden Blick (und Ohr) zugänglich zu machen, werden lehr-lernbezogene soziale Situationen mit zwei Kameras aufgenommen. Eine Kamera ist auf den Kursleitenden gerichtet, die andere Kamera auf die Teilnehmenden. Im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen erarbeiten Studierende und Projektmitarbeiter anhand dieser Aufnahmen kursspezifisches, kurstheoretisches und methodologisches bzw. methodisches Wissen. Während in Seminaren zur "Kursforschung" der Akzent auf der Rekonstruktion der sich in der Zeit etablierenden Interaktionsstrukturen liegt, wird in Seminaren des Typs "Didaktisches Labor" das Kursleiterhandeln in den Mittelpunkt gestellt.
Neben der gemeinsamen Arbeit an den digitalen Videographien im Präsenzteil des Seminars, wird ein zweiter, medialer Teil des Projekts über eine Lernplattform gestützt. Die Ergebnisse der Präsenzveranstaltungen werden über Protokolle dokumentiert. Ebenso werden Beobachtungsprotokolle und vergleichende Analysen von den Studierenden eingestellt, um daran in der folgenden Präsenzveranstaltung anzuschließen. Die Plattform ermöglicht einerseits die Zusammenarbeit der Beteiligten über die Präsenzzeit hinaus und trägt andererseits zur Verzahnung der an unterschiedlichen Universitäten stattfindenden lokalen Präsenzveranstaltungen bei. Die Plattform bietet drittens die Möglichkeit, auf Ergebnisse von Veranstaltungen vorangegangener Semester zurückzugreifen.

Über die kontinuierliche Reflexion der in diesen Erarbeitungsprozessen angewandten Verfahren und des erzeugten Wissens werden methodische, methodologische und kurstheoretische Erkenntnisse erzeugt. Da von Semester zu Semester mehr Fälle erschlossen werden, erweitern sich kontinuierlich die Vergleichshorizonte, was zu einer weiteren Differenzierung der empirischen Befunde führt.

Ziel des Projektes ist die Generierung von Grundlagenwissen zum Lehren und Lernen Erwachsener und zu Methodologie und Methode videogestützter Bildungsforschung. Zugleich dient das Projekt der Ausbildung von Forschungs- und Handlungskompetenz bei den Studierenden. Darüber hinaus soll ein Internetportal entstehen, welches Forschungs- und Professionswissen zum Lernen Erwachsener in Form eines Archivs digitalisierter Bild-, Ton- und Textdokumente zugänglich macht.

Veröffentlichungen:

Monographien: Dinkelaker, J./Herrle, M. (2009): Erziehungswissenschaftliche Videographie. Eine Einführung. Wiesbaden.

Herrle, M. (2007): Selektive Kontextvariation. Die Rekonstruktion von Interaktionen in Kursen der Erwachsenenbildung auf der Basis audiovisueller Daten. Frankfurt/M.

Herrle, M. (2013): Ermöglichung pädagogischer Interaktionen. Disponibilitätsmanagement in Veranstaltungen der Erwachsenen-/Weiterbildung. Wiesbaden.

Kade, J./Nolda, S./Dinkelaker, J./Herrle, M. (2014): Videographische Kursforschung. Empirie des Lehrens und Lernens Erwachsener. Stuttgart. (im Druck)

Beiträge in Handbüchern, Zeitschriften und Sammelbänden: Dinkelaker, J. (2009): Pädagogisches Handeln und Pädagogische Kommunikation. Analyse des Verhältnisses zweier Operationsweisen. In: Berdelmann, K./Fuhr, T. (Hrsg.): Operative Pädagogik. Grundlegung, Anschlüsse, Diskussion. Paderborn, S. 182-202.

Dinkelaker, J. (2010a): Koordination von Körpern. Eine vernachlässigte Dimension pädagogischer Professionalität. In: Hof, C./Ludwig, J./Zeuner, C. (Hrsg): Professionalität zwischen Praxis, Politik und Disziplin. Baltmannsweiler, S. 186-202.

Dinkelaker, J. (2010b): Simultane Sequentialität. In: Corsten, M./Krug, M./ Moritz, C. (Hrsg.): Videographie praktizieren. Wiesbaden, S. 91-117.

Dinkelaker, J. (2010c): Aufmerksamkeitsbewegungen. Zur Prozessierung der Teilnahme an Kursen der Erwachsenenbildung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 13, H. 3, S. 377-392.

Dinkelaker, J. (2012a): Kollaboratives Aufmerksamkeitsmanagement. Zur Gestaltung der Koordination von Selektivität in Veranstaltungen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In: Hof, C./Ludwig, J./Schäffer, B. (Hrsg.): Steuerung - Regulation - Gestaltung. Baltmannsweiler, S. 131-145.

Dinkelaker, J. (2012b): Lernen von Anderen. Praktiken und Dynamiken der Verschränkung von Vermittlung und Aneignung in Veranstaltungen der Erwachsenenbildung. In: Hof, C./Felden, H. v./Schmidt-Lauf, S. (Hrsg.): Erwachsenenbildung und Lernen. Hohengehren (im Druck).

Dinkelaker, J./Herrle, M. (2007): Rekonstruktion von Kursanfängen auf der Grundlage von mehrperspektivischen Videoaufzeichnungen. In: Wiesner, G./Zeuner, C./Forneck, H. J. (Hrsg.): Empirische Forschung und Theoriebildung in der Erwachsenenbildung. Baltmannsweiler, S. 114-129.

Dinkelaker, J./Herrle, M. (2010): Einfinden in Rhythmen - Rhythmen des Einfindens. Zum kursförmigen Erlernen von Bewegungsabläufen. In: Egger, B./Hackl, B. (Hrsg.): Sinnliche Bildung? Pädagogische Prozesse zwischen vorprädikativer Situierung und reflexivem Anspruch. Wiesbaden, S. 195-216.

Herrle, M. (2012): Interaktionsprozesse unter Erwachsenen. Zur Mikroethnographie pädagogischen Handelns. In: Report. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 35 (3), S. 15-29.

Herrle, M. (2013a): Classroom Management jenseits des Schulunterrichts. Mikroethnographische Analysen zur Ablaufsteuerung in Veranstaltungen der Erwachsenen-/Weiterbildung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 16 (3), S. 599-627.

Herrle, M. (2013b): Mikroethnographische Interaktionsforschung. In: Seichter, S./Friebertshäuser, B. (Hrsg.):Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Eine praxisorientierte Einführung.Weinheim, S. 119-152.

Herrle, M. (2014): Availability Stances in Classroom Openings – Doing Attendance, Attention and Addressability. In: Reh, S./Berdelmann, K./Dinkelaker, J. (Hrsg.): Aufmerksamkeit. Zur Geschichte, Theorie und Empirie eines pädagogischen Phänomens. Wiesbaden, (im Druck).

Herrle, M./Dinkelaker, J. (2012): Videoanalyse. In: Schäffer, B./Dörner, O. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung. Opladen, S. 307-320.

Herrle, M./Nolda, S. (2010): Die Zeit des (Nicht-)Anfangens. Zum Prozessieren von Erreichbarkeit und Vermittlungsbereitschaft in der Etablierungsphase pädagogischer Interaktion. In: Zeitschrift für Pädagogik 56 (3), S. 340-354.

Herrle, M./Dinkelaker, J./Kade, J. (2009): Einüben, Üben, Ausüben. Körperbildung in Kursen der Erwachsenenbildung. In: Behnisch, M./Winkler, M. (Hrsg.): Soziale Arbeit und Naturwissenschaft. Einflüsse, Diskurse, Perspektiven. München, S. 134-152.

Herrle, M./Kade, J./Nolda, S. (2010): Erziehungswissenschaftliche Videographie. In: Friebertshäuser, B./Langer, A./Prengel, A. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Neuauflage. Weinheim, S. 599-619.

Kade, J./Nolda, S. (2007a): Kursforschung - ein neues Paradigma der Erforschung des Lernens im Erwachsenenalter. Bericht über ein Projekt. In: Forneck, H. J./Wiesner, G./Zeuner, C. (Hrsg.): Empirische Forschung und Theoriebildung in der Erwachsenenbildung. Baltmannsweiler, S.103-113.

Kade, J./Nolda, S. (2007b): Das Bild als Kommentar und Irritation. Zur Analyse von Kursen der Erwachsenenbildung/Weiterbildung auf der Basis von Videodokumentationen. In: Friebertshäuser, Barbara/Felden, Heide von/Schäffer: Burkhard (Hrsg.): Bild und Text. Methoden und Methodologienvisueller Sozialforschung in der Erziehungswissenschaft. Opladen, 159-178.

Nolda, S. (2006): Pädagogische Raumaneignung. Zur Pädagogik von Räumen und ihrer Aneignung - Beispiele aus der Erwachsenenbildung. In: Zeitschrift für qualitative Bildung- und Beratungs- und Sozialforschung 7, H.2, S. 313-334.

Nolda, S. (2007): Videobasierte Kursforschung. Mögliche Erträge von interpretativen Videoanalysen für die Erforschung des organisierten Lernens Erwachsener. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 10, H.4, S. 478-492.

Nolda, S. (2011): Ansätze bildwissenschaftlicher Erwachsenenbildungsforschung: Anwendungsgebiete und Methoden: In: REPORT, H.1, S.13-22.