Forschungsschwerpunkte

Neophänomenologie und Neophänomenologische Soziologie (des Sports)

Phänomenologie ist seit Langem ein anerkannter philosophischer Ansatz innerhalb der Soziologie wie auch der Sportwissenschaft. Die „Neue Phänomenologie“ des Kieler Philosophen Hermann Schmitz (1928-2021) zählt jedoch zu den kaum genutzten phänomenologischen Theorien und Methoden. Die am Arbeitsbereich entwickelte „Neophänomenologische Soziologie“ (NPS) und die daran anschließende „neophänomenologisch-soziologische Sportforschung“ stellen daher ein originäres und innovatives Theorie- und Forschungsprogramm dar.

So hebt sich die Neophänomenologie des Sports von den vorhandenen phänomenologischen Sportstudien, die sich primär auf die Arbeiten von Edmund Husserl, Martin Heidegger und Maurice Merleau-Ponty stützen, dadurch ab, dass sie das affektive Betroffensein statt Intentionalität, Leiblichkeit statt Sinnlichkeit, (transhumane) leibliche Kommunikation statt Zwischenleiblichkeit, Atmosphären statt Emotionen und Situationen statt die Lebenswelt als theoretische Konzepte nutzt. Die neophänomenologisch-soziologische Sportforschung thematisiert darüber hinaus die Dualität von Leib und Körper sowie im Sinne eines „methodologischen Situationismus“ (Gugutzer 2017) die Einbettung von Leib, leiblicher Kommunikation und Atmosphären in gemeinsame Situationen des Sports. Mit diesem theoretisch-konzeptionellen Zuschnitt gelingt es der neophänomenologischen Sportforschung, die Welt des Sports „mit anderen Augen“ (Helmuth Plessner) zu sehen als die traditionelle phänomenologische (und erst recht als die nicht-phänomenologische) Sportforschung, weil sie andere Sportphänomene in den Blick bekommt, die sie methodisch gegenstandsangemessen zu analysieren imstande ist.

Die neophänomenologisch-soziologischen Forschungsschwerpunkte im Überblick:

  • Leibliche Erfahrungen im Sport
  • (Transhumane) Leibliche Kommunikation im Sport
  • Kollektive Atmosphären im Sport
  • (Existenzielle) Gefühle im Sport
  • Sport als Situation

Soziologie des Sports

Die gesellschaftliche Bedeutung des Sports ist in den vergangenen drei Jahrzehnten in einem Ausmaß gestiegen, das es rechtfertigt, spätmoderne Gesellschaften als „Sportgesellschaften“ (Bette 2010) zu bezeichnen. Von der gesundheitlichen Bedeutung, die der sportlichen Bewegung zugeschrieben wird, über die sozialintegrative Funktion von Sportvereinen und informellen Sportgemeinschaften bis zur massenmedialen Dauerpräsenz des Sports und der nationalen Vergemeinschaftungsfunktion von Sportgroßveranstaltungen ist der Sport zu einem gesellschaftlichen Dauerthema geworden. Die Soziologie des Sports reflektiert dieses Verhältnis von Sport und Gesellschaft, indem sie die historisch-kulturelle Entwicklung, die strukturellen Spezifika sowie die individuellen Aneignungs- und Ausgestaltungsprozesse von Sport und Bewegung untersucht (Weis/Gugutzer 2008).

Die Forschungsarbeiten an unserer Abteilung beschäftigen sich mit dem Strukturwandel des Sports vor dem Hintergrund soziologischer Zeitdiagnosen wie zum Beispiel der Theorie reflexiver Modernisierung oder der Individualisierungstheorie. Entsprechend interpretieren wir etwa die Legitimationskrise des Spitzensports aufgrund seiner Dopingproblematik als typisches Phänomen der „zweiten Moderne“ oder den Trendsport als paradigmatische Form jugendlicher Selbstthematisierung. Den gestiegenen gesellschaftlichen Stellenwert des Sports untersuchen wir darüber hinaus mediensoziologisch. Dabei profilieren wir den Spielfilm als – von der Sportsoziologie lange vernachlässigten – empirischen Untersuchungsgegenstand und analysieren Sporthelden als massenmedial konstruierte Sozialfiguren. Als ein Teilsystem der Gesellschaft steht der Sport in Relation zu anderen Teilsystemen wie etwa – auf den ersten Blick vielleicht überraschend – der Religion. In unseren Forschungsarbeiten zeigen wir die vielfältigen Verschränkungen von Sport und Religion, insbesondere die ersatzreligiöse Funktion des Sports. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt an der Abteilung ist das Verhältnis von Sport und psychischer Gesundheit aus soziologischer Sicht. Im Besonderen sind es die Sportsucht und Essstörungen im Leistungssport, die im Mittelpunkt unserer Arbeiten stehen.


Die sportsoziologischen Forschungsschwerpunkte im Überblick:

  • Doping im Leistungssport
  • Trendsport
  • Sport im Film
  • Sport und Religion
  • Sportsucht
  • Essstörungen im und durch Sport
  • Atmosphären des Sports
  • Digitalisierung in Sport und Tanz    
 

Soziologie des Körpers

In den Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften ist seit geraumer Zeit ein body turn (Gugutzer 2006) zu beobachten. Gefragt wird nach der Geschichte von Körpern, deren vielfältigen Weisen des individuellen, kulturellen und sozialen Gewordenseins, nach deren Inszenierungen und medialen Repräsentationen, Diskursivierungen sowie Techniken und Praktiken der Herstellung des Körpers. In vielen Forschungen wurde en détail gezeigt: Menschliche Körper sind auf je spezifische Weise – strukturell, kulturell, technisch, medial, interaktiv etc. – sozial konstruiert. Die Soziologie des Körpers untersucht diese gesellschaftlichen Formungen und Gestaltungen des Körpers. Zugleich ist sie aber auch mehr als eine Bindestrich-Soziologie, die das konstruktivistische Paradigma an einem neuen Gegenstand durchbuchstabiert. Der Fokus auf Körper interessiert, da Vergesellschaftung, Sozialität und Subjektivierung fundamental geprägt sind durch die Körperlichkeit und Leiblichkeit von Individuen, in denen sich Natur und Kultur untrennbar ineinander verweben. Die Körper sozialer Akteure leisten einen wesentlichen Beitrag zur Konstruktion des Sozialen, der menschliche Körper ist daher nicht nur Produkt, sondern ebenso Produzent von Gesellschaft (Gugutzer 2012).

Die Forschungen an der Abteilung teilen diese Prämissen und arbeiten sie in theoretischen und empirischen Studien weiter aus. Dabei werden mit Referenz auf die Neue Phänomenologie zum einen die leiblichen Dimensionen des Sozialen in den Mittelpunkt gerückt, wobei hier unter anderem Fragen der Identitätsbildung und Vergeschlechtlichung, der kommunikativen Verkörperung im Tanz oder der religiösen Wirklichkeitskonstruktion im Mittelpunkt stehen. Zum anderen wird die körpersoziologische Perspektive mit einer gesellschaftsdiagnostischen Sichtweise verknüpft, um auf diese Weise Transformationen des Sozialen zu untersuchen. Theoretische Bezugspunkte bilden allen voran diskurs- und gouvnermentalitätstheoretische Ansätze, um damit aktuelle gesellschaftliche Phänomene wie Körper- und Gesundheitstechnologien zu verstehen und zu erklären. Darüber hinaus behandeln wir in unseren Forschungsarbeiten in zeitdiagnostischer Hinsicht besonders den gegenwärtigen Körperkult und in sozialtheoretischer Absicht die leiblich-körperlichen Dimensionen von Raum und Atmosphären.


Die körpersoziologischen Forschungsschwerpunkte im Überblick:

  • Körper, Geschlecht und Sexualität
  • Körperkult und Religion
  • Körpertechnologien und Gesundheit
  • Tanz und Bewegungskultur
  • Leibliche Dimensionen des Sozialen
  • Raum und Atmosphären