Klein(st)Kinder mit ihren Müttern in Haft. Eine ethnographische Studie zu Entwicklungsbedingungen im (offenen und geschlossenen) Strafvollzug“ (abgeschlossene Pilotstudie)

Laufzeit: Juli bis Oktober 2009

Leitung: Prof. Dr. Helga Kelle, Prof. Dr. Helga Cremer-Schäfer, Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt


Bearbeitung: 
Dr. Marion Ott


Förderung
durch einen Förderverein für Mutter-Kind-Einrichtungen des Strafvollzugs

Projektbeschreibung:
Das ethnographische Forschungsprojekt untersucht die institutionelle Organisation sowie die situierten Interaktionen im Alltag von Mutter-Kind-Einrichtungen des (offenen und geschlossenen) Strafvollzugs. Es zielt darauf, die Lebens- und Entwicklungsbedingungen der Kinder im Alltag nachzuvollziehen und systematisch zu beschreiben, wie die Zuständigkeiten für die Kinder zwischen Müttern, Erzieherinnen, Sozialarbeiter_innen und Vollzugspersonal organisiert werden. Praxis- und Institutionenanalytisch setzt die Studie daran an, dass diese Einrichtungen als Strafvollzugs-und Jugendhilfeeinrichtungen eine doppelte Organisationsform kennzeichnet (Schmitz-Rößner 2008: 115; Siebenmorgen 1988). Es wird herausgearbeitet, welche Konfliktpotenziale in der doppelten Organisationsform angelegt sind und wie diese im Alltag von den Beteiligten bearbeitet werden.

Da die Mutter-Kind-Einrichtungen als Jugendhilfeleistung für die Sozialisation der Kinder und zugleich als Strafvollzugseinrichtung für die Resozialisierung der Mütter zuständig sind, entsteht ein „Zielkonflikt“ (Maelicke 1984) der Einrichtungen. Des Weiteren überschneiden sich Regeln und Kontrollen der unterschiedlichen institutionellen Ordnungen von Haftanstalt und Erziehungshilfeeinrichtung im Alltag vielfältig. So gerät nicht nur die Frau als Gefangene, sondern unter Referenz auf das Kindeswohl auch ihre Mutterschaft sowie das Erziehungsverhältnis immer wieder unter Beobachtungen und Kontrollen der Haftanstalt. Konflikte entstehen auch, weil den Müttern einerseits das Recht und die Pflicht obliegt, ihre Erziehungsaufgaben zu übernehmen, andererseits sind sie dabei – insbesondere im geschlossenen Vollzug – vielfach durch die Haftbedingungen eingeschränkt. Die entsprechend entstehenden Kompensationsleistungen werden von den Erzieherinnen der Einrichtung verrichtet (z.B. organisieren von Einkäufen und Ausflügen, Aufsicht bei anstaltsinternen Terminen oder Arztbesuchen der Kinder). Infolgedessen sind die strukturell angelegten Konflikte auf der persönlichen Ebene zwischen Müttern und Erzieherinnen zu bearbeiten. Da über das Wohlergehen des Kindes teilweise sehr unterschiedliche Vorstellungen bestehen, werden unter den institutionellen Bedingungen die ‚richtige‘ Erziehung und die ‚gute‘ Mutterschaft ein permanent zu verhandelnder Gegenstand. Um die mütterliche Erziehung und das Erziehungsverhältnis entsteht ein komplexes Beobachtungs-, Kontroll- und Reglementierungsarrangement, das auch die wechselseitige Beobachtung unter den Müttern (und Kindern) umfasst.

Literatur:

Maelicke, Hannelore (1984): Zielkonflikte im Mutter-Kind-Heim. In: Maelicke, Hannelore; Maelicke, Bernd (Hg.): Zur Lebenssituation von Müttern und Kindern in Gefängnissen. Frankfurt: Institut für Sozialarbeit und Sozial- pädagogik, S. 23-45.

Schmitz-Rößner, Brigitte (2008): Das Mutter-Kind-Heim in der Justizvollzugsanstalt für Frauen, Frankfurt am Main III. In: Dünkel, Frieder; Drenkhahn, Kirstin; Morgenstern, Christine (Hg.): Humanisierung des Strafvollzugs – Konzepte und Praxismodelle. Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg, S. 115-124.

Siebenmorgen, Elisabeth (1988): Mutter-Kind-Einrichtungen und Jugendhilfe: Mutter-Kind-Abteilungen in Justizvollzugsanstalten für Frauen und ihre Zuordnung zur Jugendhilfe. In: Birtsch, Vera; Rosenkranz, Joachim (Hg.): Mütter und Kinder im Gefängnis. Orientierungen und Ergebnisse zum Frauenstrafvollzug und zu Mutter-Kind-Einrichtungen im Strafvollzug. Weinheim: Juventa, S. 153-159.

Projektpublikationen:

Marion Ott (2015): Begleitung, Betreuung und/oder Überwachung. Praktiken der Beobachtung und Bearbeitung von Mutterschaft in stationären Mutter-Kind-Einrichtungen der Jugendhilfe und des Strafvollzugs. In: Günther, Marga; Rose, Lotte; Seehaus, Rhea (Hg.): Vater, Mutter, Kind? - Geschlechterpraxen in der Elternschaft. Opladen: Budrich, S. 259-280.

Marion Ott (2014): Mütter mit Klein(st)kindern in Haft. Vorstellung einer ethnographischen Studie.In: Halbhuber-Gassner, Lydia/Pravda, Gisela (Hg.): Frauengesundheit im Gefängnis. Freiburg: Lambertus, S. 57-70.

Marion Ott (2011): Klein(st)kinder mit ihren Müttern in Haft. Eine ethnographische Studie zu Entwicklungsbedingungen im (offenen und geschlossenen) Strafvollzug. Forschungsbericht – überarbeitete Fassung des Erstberichts von 12/2009. Online verfügbar unter: http://www.pedocs.de/volltexte/2012/5768 oder http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0111-opus-57680 (letzter Zugriff: 20.02.2017).