Laufende Forschungsprojekte

Abgeschlossene Forschungsprojekte

LISFör - Literalität und Interaktion in der Sprachförderung

Laufzeit: 2010-2014

Projektleitung: 
Prof. Dr. Ulrich Mehlem 

Projektmitarbeit: Magdalena Spaude und Maria Mochalova

In Zusammenarbeit mit: Prof. Dr. Birgit Lütje-Klose, Dr. Beate Lingnau, Prof. Dr. Ingwer Paul – Universität Bielefeld sowie Prof. Dr. Julia Settinnieri - Universität Paderborn


Projektbeschreibung: 
Das Projekt LISFör begleitete eine im Rahmen des Projekts MitSprache der Stadt Bielefeld zur durchgängigen Sprachförderung in der Grundschule in den beiden ersten Klassen geförderte Gruppe von 57 mehrsprachigen Kindern sowie eine gleich starke nicht geförderte Gruppe von Kinder mit Deutsch als Zweitsprache über vier Schuljahre und dokumentierte deren Entwicklung in den Bereichen Sprache, Rechtschreibung und Lesen mit unterschiedlichen quantitativen und qualitativen Fragestellungen.

Im quantitativen Teilprojekt wurde die Entwicklung des Sprachstandes und der orthographischen Fähigkeiten an fünf Messzeitpunkten erhoben: in der Mitte und am Ende des ersten sowie am Ende des zweiten, dritten und vierten Schuljahres. Die Kontrollgruppe von 57 Schülern wurde nach der ersten Erhebung aus einer Gruppe von ca. 150 Kindern gebildet, wobei auf Parallelität zu Kindern aus dem Pilotprojekt in Bezug auf Alter, Geschlecht, Sprachstand und Erstsprache  geachtet wurde. In der zweiten und dritten Erhebung wurden dann die Leistungen der beiden Gruppen unter zwei Fragestellungen untersucht: (1) Gibt es einen Unterschied zwischen der geförderten und der nicht geförderten Gruppe hinsichtlich des Sprachstands und der Orthographie? (2) Welchen Einfluss hat der Sprachstand auf die orthographische Kompetenz? Zu den Erhebungsinstrumenten des quantitativen Teilprojekts gehörte der Sprachstandstest SET 5-10 (Petermann 2010), HAVAS 5 (vgl. Reich/Roth 2004), auch unter Einbeziehung der Herkunftssprachen Türkisch, Kurdisch, Russisch und Polnisch. In der zweiten Erhebungsphase wurde außerdem eine eigene Bildergeschichte zur Ermittlung morphologischer Kompetenzen (Nominalflexion) verwendet. Die orthographische Kompetenz wurde jeweils am Ende der Klasse 1 und 2 mithilfe der Hamburger Schreibprobe (May 2002) erhoben. Ergänzt wurde dieser Test von einer Schreibaufgabe (HAVAS 5 schriftlich), wiederum unter Einbeziehung der Herkunftssprachen.

Beim qualitativen Teilprojekt stand die Qualität der Sprachförderinteraktionen im Mittelpunkt. Hierfür wurde aus dem Sample der Pilotgruppe eine Teilgruppe von zehn Kindern gebildet, die in zwei unterschiedlichen Formen der Schuleingangsstufe, einer jahrgangsübergreifenden und einer Jahrgangsklasse, unterrichtet wurden. Zu denselben drei Erhebungszeitpunkten wie im quantitativen Projekt wurden jeweils fünf Sprachfördereinheiten, fünf Stunden Deutsch- und drei Stunden Mathematikunterricht videografiert. Dem qualitativen Teilprojekt lagen Fragen nach den begünstigenden Faktoren einer aktiven Unterrichtsinteraktion, der Wirkung additiver und integrativer Förderangebote und dem Zusammenhang von Unterrichtsbeteiligung, Lernarrangements und Schreibpraktiken der FallschülerInnen zugrunde.

Erste Ergebnisse: Im quantitativen Teilprojekt wurden bisher der SET 5-10 und die HSP ausgewertet. Die Ergebnisse stehen daher noch unter Vorbehalt. Beim Sprachstand ergibt sich ein signifikanter Zuwachs in beiden Gruppen (t-Test für verbundene Stichproben: t(101)=-16.2, p<.001), der von einem durchschnittlichen T-Wert unterhalb des Normbereichs (T-Wert = 34) in Mitte Klasse 1 zu einem Ergebnis beider Gruppen im Normbereich (T-Wert = 45) Ende Klasse 2 führt. Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (Treatment (T) = 48, Kontroll (K) = 54) sind zu keinem Messzeitpunkt signifikant (Mitte 1. Klasse: MT =33,9, MK =34,2, t(112)=-,35, p=.73; Ende 2. Klasse: MT =44,0,; MK=46,0, t(100)=-.94, p=.35).. Bei den fünf Teiltests des SET 5-10 zeigen sich in beiden Gruppen die schwächsten Werte im Wortschatz (a) (T-WertT=30,4, T-WertK=32,2), in der Satzbildung (b) (T-WertT =35,3, T-WertK=36,4) und im Nachspielen von Handlungssequenzen (c) (T-WertT =36,2, T-WertK =37,7). Dagegen liegt die Kategorienbildung (d) (T-WertT =39,5, T-WertK=40,3) nur noch knapp unter und die Pluralbildung (e) (T-WertT=42,7, T-WertK=45,7) schon deutlich im Normbereich. Wiederum sind die Unterschiede zwischen beiden Gruppen in keinem Teiltest signifikant (t-Tests für unabhängige Stichproben (a) t(100)=-1.10, p=.27; (b): t(100)=-.52, p=.60; (c) t(100)=-.71, p=.48; (d) t(100)=-.39, p=.70; (e) t(100)=-1.29, p=.20).

Bei der Hamburger Schreibprobe liegen beide Gruppen bei den Graphemtreffern am Ende der Klasse 1 mit einem T-Wert von 44 im Normbereich. Ein Jahr später erreicht die Kontrollgruppe einen T-Wert von 45 und die Treatmentgruppe einen von 43. Auch hier ergeben sich keine signifikanten Unterschiede (t(102)=.01, p=.99; t(100)=-1.1, p=.30). Bei der zweiten Forschungsfrage ergeben sich signifikante Zusammenhänge zwischen Sprachstand und Schriftspracherwerb sowohl synchron am Ende des zweiten Schuljahrs (r=.57, p<.001) als auch diachron zwischen erstem (Sprachstand) und drittem Erhebungszeitpunkt (Orthographie) (r=.44, p<.001) (Kucharz et al. 2014, Spaude/Settinieri 2014). Die bisher vorliegenden Ergebnisse deuten also darauf hin, dass die zusätzliche Sprachförderung der Pilotschulen in der Schuleingangsphase zu keinen signifikanten Unterschieden in den ausgewählten Indikatoren des Sprachstands und der Rechtschreibkompetenz gegenüber der Vergleichsgruppe führt.

Im qualitativen Teilprojekt wurden bisher erst ca. 10 Unterrichts- bzw. Sprachfördereinheiten ausgewertet. Hierbei stand zunächst die Entwicklung von Kategorien im Vordergrund, die zur Beschreibung interaktionsförderlicher Aktivitäten der Lehrerinnen, der Sprachförderkräfte und der Peers sowie für die Schreibpraktiken der Kinder benötigt werden. (Lingnau/Mehlem 2012, Mehlem/Lingnau 2012). In einer Teilstudie wurden außerdem die Sprach- und Schriftspracherwerbsprozesse dreier Schülerinnen genauer untersucht, bei denen trotz der Förderung im Rahmen von Mitsprache im zweiten Schuljahr ein Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs eingeleitet wurde. Hierzu wurden auch besondere Videosequenzen unter Beteiligung dieser Kinder ausgewertet und nach Abschluss des zweiten Schuljahres ein Experteninterview mit der Klassenlehrerin durchgeführt. (Lütje-Klose/Mehlem 2014, Mehlem/Spaude/Lütje-Klose i. Dr.)

Fortführung im dritten und vierten Schuljahr: Auch nach Ende der speziellen Förderung im Rahmen des Sprachförderprojekts MitSprache wurden die Erhebungen im dritten und vierten Schuljahr weitergeführt.  Ab dem dritten Schuljahr wurde der Sprachstand mittels eines C-Tests (vgl. Grotjahn 2002), die Leseleistung mittels ELFE 1-6 (Lenhard/Schneider 2006) und die Rechtschreibleistung unverändert mittels der HSP erhoben. Als abhängige Variablen wurden ebenfalls die Zeugnisnoten vom Ende der dritten und vierten Klasse erhoben sowie die Übergangsempfehlungen. Aus diesen weiterführenden Erhebungen wird Aufschluss darüber erwartet, ob bei den geförderten Kindern langfristige Effekte auftreten bzw. in welchem Maße der Sprachstand zu Beginn der Schullaufbahn die weitere Entwicklung in der Grundschule vorhersagt.

Literatur aus dem Projektkontext:

  • Kucharz, D., Kammermeyer, G., Beckerle, C., Mackowiak, K., Koch, K., Jüttner, A.-K., Kloster, S., Hardy, I., Saalbach, H., Mehlem, U., Lütje-Klose, B. & Spaude, M. (2014): Wirksamkeit von Sprachförderung. In B. Kopp, S. Martschinke, M. Munser-Kiefer, M. Haider, E.-M. Kirschhock, G. Ranger & G. Renner (Hrsg.), Individuelle Förderung und Lernen in der Gemeinschaft. Jahrbuch Grundschulforschung (Bd. 17). (S. 51-66). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
  • Lingnau, Beate/Mehlem, Ulrich (2012b): „Ah da kommt ein ÄH.“ - Vermittlung basaler Schreibkompetenzen in der Zweitsprache Deutsch im Unterricht der Schuleingangsstufe, in: Ahrenholz / Knapp (Hrsg.): Sprachstand erheben - Spracherwerb erforschen. Stuttgart: Fillibach bei Klett, 131-154.
  • Lütje-Klose, Birgit/Mehlem, Ulrich (2015): Die Inklusion mehrsprachiger Kinder in der Grundschule, in: Huf, C./Katzenbach, D./Schnell, I. (Hrsg.): Inklusive Bildung – Herausforderungen für Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik und pädagogische Psychologie. Stuttgart: W. Kohlhammer, S. 180-206
  • Lütje-Klose, Birgit/Mehlem, Ulrich (2015): Inklusive Sprachförderung als professionelle Entwicklungsaufgabe, in: Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.), 2015: Inklusion im Förderschwerpunkt Sprache. Stuttgart: W. Kohlhammer, S. 105-123
  • Mehlem, Ulrich/Lingnau, Beate (2012): Interaktive Entstehung von Wortschreibungen mehrsprachiger Kinder im ersten Schuljahr. In W. Grießhaber & Z. Kalkavan (Hrsg.), Orthographie- und Schriftspracherwerb bei mehrsprachigen Kindern (S. 143–161). Freiburg im Breisgau: Fillibach.
  • Mehlem, Ulrich/Lütje-Klose, Birgit/ Spaude, Magdalena (2015): Praktiken des Diagnostizierens und Förderns mehrsprachiger Kinder in der Schuleingangsphase – Ergebnisse aus dem Bielefelder Projekt LISFÖR. In: Urban, Michael/ Schulz, Marc/ Meser, Kapriel/ Thoms, Sören (Hg.): Inklusion und Übergang. Perspektiven der Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Schulen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 271-302.
  • Mehlem, Ulrich/Spaude, Magdalena/Mochalova, Maria (2013): Schreiben in der Herkunftssprache bei russischen und polnischen Schülern in Deutschland - graphematischer Transfer und Exploration phonologischer Differenz. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) Heft 83, S. 173-195
  • Settinieri, Julia; Spaude, Magdalena (2014): Verbkontexte als Sprachstandsindikatoren. In: Beate Lütke, Inger Petersen (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache - erwerben, lernen und lehren. Beiträge aus dem 9. Workshop „Kinder mit Migrationshintergrund". Stuttgart: Fillibach bei Klett, S. 157-176.
  • Spaude, Magdalena (2015): Sprachkompetenz als Prädiktor für den Rechtschreiberwerb mehrsprachiger Kinder in der Schuleingangsphase. Frankfurt (Diss.)

Weitere Literatur:

  • Grotjahn, Rüdiger (2002): Konstruktion und Einsatz von C-Tests. Ein Leitfaden für die Praxis. In: Grotjahn, R. (Hrsg.): Der C-Test. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen. Band 4. Bochum: AKS, 211-225.
  • Lenhard, W / Wolfgang Schneider (2006): ELFE 1-6. Ein Leseverständnistest für Erst- bis Sechstklässler. Göttingen: Hogrefe 
  • May, P. (2010): Hamburger Schreib-Probe HSP 1-9. Stuttgart: vpm.
  • Petermann, F., Fröhlich, L., Metz, D. (2010): SET 5-10. Sprachstandserhebung für Kinder im Alter zwischen 5 und 10 Jahren. Göttingen: Hogrefe.
  • Reich, H. H. /Roth, H.-J. (2004): Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands Fünfjähriger - HAVAS 5. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg.