Nadja Erb

Unabhängig, politisch engagiert, links-liberal: Auch nach Insolvenz und Neustrukturierung ist die Frankfurter Rundschau ihrer Ausrichtung treu geblieben. Dafür sorgt im Team der Politikredaktion auch Nadja Erb, die schon während ihres Studiums an der Goethe-Universität als freie Autorin für das traditionsreiche Frankfurter Blatt gearbeitet hat.

Nadja Erb, die vor ihrer Heirat Henselin hieß, kam 1977 im brandenburgischen Schwedt an der Oder zur Welt. 1992 zog die Familie aus beruflichen Gründen nach Nordrhein-Westfalen. In Düren machte Nadja Henselin ihr Abitur. Von 1997 bis 2004 studierte sie Slawistik und Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität. Ihren Magisterabschluss machte sie mit Note „sehr gut“. Ihre Russisch- und Tschechischkenntnisse verbesserte sie während eines Auslandssemesters in St. Petersburg und eines Sprachaufenthalts in Prag. Gemeinsam mit anderen Frankfurter Slawistik-Studierenden brachte sie die Fachschaftszeitung „Slavum“ heraus.

Schon früh fühlte sie sich zum Journalismus hingezogen und kam durch zahlreiche Praktika immer wieder in Kontakt mit dem „echten“ Berufsleben. Hospitanzen beim Deutschlandradio, bei der Deutschen Presseagentur (dpa), bei ZDF, HR und SWR sowie eine langjährige und ausdauernde freie Mitarbeit bei der Frankfurter Rundschau führten schließlich über ein Volontariat bei der Rundschau zur Redakteursstelle. Die Umstrukturierung des Blattes ging auch an ihr nicht spurlos vorüber: In den Jahren 2011 bis 2014 wechselte sie vorübergehend in die DuMont Digitale Redaktion, wo sie auch für die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung zuständig war. 2013 kehrte sie dann in die Politikredaktion der Rundschau zurück. Dort kümmert sie sich darum, Themen zu entwickeln bzw. die Texte von anderen zu organisieren, zu gestalten und ins Blatt zu bringen. Ihr Interessensschwerpunkt ist Osteuropa.

Im vergangenen Jahr war Nadja Erb an der Uni gleich zweimal als Moderatorin aktiv: Sie leitete eine Diskussionsveranstaltung der Juso-Hochschulgruppe zum Ukraine-Konflikt – und sie moderierte den Neuberufenenempfang der Präsidentin.

Warum haben Sie sich für Frankfurt als Studienort entschieden?
Das war so eine Mischung aus persönlichen und inhaltlichen Gründen. Ich wollte Slawistik studieren, und das eigentlich in Ostdeutschland, wo ich geboren bin. Dort wurden aber Sprachkenntnisse vorausgesetzt, die ich nicht hatte. Ich habe in NRW Abitur gemacht und hatte sechs Jahre keinen Russischunterricht. Dass es letztendlich dann Frankfurt geworden ist, lag auch daran, dass meine Schwester damals hier gewohnt hat und ich die Stadt dadurch schon kannte, auch die Uni.

Welches Ereignis Ihrer Studienzeit ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Das ganze erste Semester. Ich habe 1997 angefangen, im Herbst. Das war ein Streiksemester, es gab deutschlandweit Proteste gegen drohende Studiengebühren und für bessere Studienbedingungen. Ich erinnere mich gut daran, wie wir Plakate gemalt haben und nach Bonn gefahren sind, um dort bei Eiseskälte zu demonstrieren. Das war auch deshalb spannend, weil der Fachbereich, zu dem die Slawistik gehörte, der Fachbereich mit den Orchideenfächern war: lauter kleine Institute, die über das Unigelände verstreut waren. Und nun lernte man auf einmal Phonetiker kennen oder Orientalistikstudenten und andere Fächer, von denen man noch nie was gehört hatte.

Die Protestbewegung als große Orientierungsveranstaltung.
Daraus sind aber dann auch bleibende Verbindungen entstanden. Wir haben viele Veranstaltungen miteinander gemacht, zum Beispiel Filmabende, Partys, eine Zeitschrift. All das hat sich aus dieser Bewegung heraus entwickelt.

Sie haben Slawistik und VWL studiert. War Journalistin von Beginn an Ihr Wunschberuf?
Ja. Ich habe während der Abizeit ein Schülerpraktikum gemacht beim Deutschlandfunk in Köln. Die Redakteurin, die sich um mich gekümmert hat, meinte, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Du studierst Journalistik, dann kommst Du leichter an Praktika oder Arbeitsplätze, hast aber kein Spezialgebiet. Oder Du studierst einfach das, worauf Du Lust hast, und versuchst dann eben über Praktika den Quereinstieg. So habe ich es gemacht. Ich habe mich schon immer für Sprachen interessiert und auch für Literatur, vor allem für osteuropäische.

Sie sind Politikredakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Wie hat die Uni Sie auf diesen Beruf vorbereitet?
Ich habe VWL im Nebenfach auch deswegen studiert, weil ich die großen wirtschaftspolitischen Zusammenhänge verstehen wollte. Und da ich mich im Beruf auch stark um Osteuropa kümmere, sind meine Sprachkenntnisse aus dem Studium von Vorteil. Ansonsten denke ich, die Uni bereitet einen auf jeden Beruf gut vor, weil sie dazu zwingt, mit verschiedenen Menschen in Kontakt zu kommen, sich mit ihnen auszutauschen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, sich anzueignen, zusammenzufassen. Im Idealfall regt sie auch zum kritischen Denken an. Das sind Dinge, die heute zu meiner täglichen Arbeit gehören.

Sie haben viele Praktika beim Rundfunk gemacht. Warum arbeiten Sie bei einer Zeitung? Und haben Zeitungen überhaupt noch eine Zukunft?
Ich bin zur Zeitung gegangen, weil ich das Gefühl hatte, dort am umfassendsten informieren zu können. Guter Journalismus hat auf jeden Fall eine Zukunft. Welche Kanäle er nutzt – digital oder gedruckt – finde ich letztlich zweitrangig.

Zu Ihrer Zeit gab es den Campus Westend noch nicht. Wo trafen Sie sich mit Ihren Kommilitonen?
Ich habe in einer Studenten-WG gewohnt und hatte Mitbewohnerinnen, die Germanistik studiert haben. Deshalb war ich oft im Café Anna Blume. Das war das Café der Germanisten neben dem Kramer-Bau in der Gräfstraße. Oder wir haben einfach draußen auf der Wiese vor der Mensa gesessen oder sind in die Cafés in Bockenheim gegangen – die Volkswirtschaft, das Albatros, das Café Crumble, das damals noch Café Klemm hieß. Und natürlich das KOZ, ganz wichtig.

Bedauern Sie den Rückzug der Uni aus Bockenheim?
Für Bockenheim ist das schon ein großer Einschnitt. Aber aus so einem Umbruch kann ja auch Neues entstehen. Ich hoffe, dass mit dem Kulturcampus und dem Einbinden von vielen Kultureinrichtungen und Initiativen ein neuer Treffpunkt für alle und ein kultureller Magnet entsteht.

Wie haben Sie die Sprengung des AfE-Turms erlebt?
Ich bin mit meiner Familie rausgegangen auf die Gräfstraße und habe das von dort verfolgt. Ich habe zwar nicht im Turm studiert, aber er war jedem Studenten in Frankfurt ein Begriff.

War das für Sie eher traurig oder eher interessant?
Naja, so ein kleines nostalgisches Seufzen habe ich schon abgegeben. Aber spannend war es natürlich auch.

Was war ihr wichtigster akademischer Erfolg?
Ich war am Ende schon stolz auf meine Magisterarbeit. Das Thema waren Anti-Utopien in der russischen und tschechischen Literatur. Ich habe mich sehr gefreut, dass mich meine Professorin Frau Langer fragte, ob ich eine Assistenz bei ihr antreten möchte. Stolz war ich auch darauf, dass ich mich in der VWL durchgebissen habe. Das im Nebenfach zu studieren, war sehr schwierig. Der Kontrast war extrem: In der Slawistik waren 25 Seminarteilnehmer schon viel, und dann kam man in Mikroökonomie I, wo die 600 Sitzplätze nicht ausreichten.

Und wäre eine wissenschaftliche Karriere für Sie nicht in Frage gekommen?
Für mich stand ja schon fest, dass ich Journalistin werden wollte.

Sie haben kürzlich den Neuberufenenempfang an der Uni moderiert. Haben Sie sonst noch Berührungspunkte zur Goethe-Universität? Wenn ja, welche?
Ich habe viele Freunde und Bekannte, die auch hier studiert haben oder heute an der Uni arbeiten. Außerdem besuche ich ab und zu Veranstaltungen an der Goethe-Universität. Die Uni ist ein wichtiger Teil der Stadt, in der ich lebe, und gehört für mich zum Alltag.

Wie gefällt Ihnen der neue Campus Westend?
Für die Studenten ist es schön, dass jetzt alles an einem Platz ist und nicht mehr so weitläufig verteilt wie in Bockenheim. Was von außen betrachtet noch ein bisschen fehlt, sind Orte des autonomen Studentenlebens, Einrichtungen wie das KOZ oder das Anna Blume oder das Institut für Vergleichende Irrelevanz. Der Campus müsste mehr mit studentischem Leben gefüllt werden.

Würden Sie Ihren Kindern ein Studium in Frankfurt empfehlen? Zu welchem Fach würden Sie ihnen raten?
Oh, das kann ich überhaupt nicht sagen. Ich finde, der Wunsch nach einem Studium muss von den Kindern selbst kommen. Frankfurt als Uni hat natürlich den Vorteil, dass es viele Fächer gibt, dass man sehr viel kombinieren, über den Tellerrand gucken kann. Aber das müssen die beiden dann schon selber entscheiden. Auf jeden Fall würde ich nicht von Frankfurt abraten. Aber ich kann auch verstehen, wenn Kinder erwachsen werden, dass es sie dann erst mal aus der Heimatstadt herauszieht.

Haben Sie einen Wahlspruch oder ein Arbeitsmotto?
Nein. Ich sage nicht jeden Morgen „Tschacka“.

(Stand: 12.04.2016)