Brigitte Hawelka, Quartiersmeisterin

Wo arbeiten Sie und wie sind Sie dazu gekommen?

Ich bin angestellt beim Arbeitsförderungszentrum im Lande Bremen GmbH (afz), das ist der Träger für die Stelle die hier eingerichtet wurde. Ich werde finanziert von der Stadt Bremerhaven und mit Geldern des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). Handlungsschwerpunkte der Stelle als Quartiersmeisterin sindesArbeit, Wirtschaft, Wohnen, soziale Teilhabe und Image­verbesserung des Quartiers auf den Weg zu bringen, aber natürlich als Querschnittsthema auch Öffentlichkeitsarbeit. Hauptaufgaben eines Quartiersmanagers sind die Vernetzung und Schnitt­stelle zu sein zwischen Zivilgesellschaft, Vereinen, Verwaltung und Politik.

Während meiner vorigen Tätigkeit bei der Bremer Heimstiftung habe ich an der Hochschule Bremerhaven als Kulturanthropologin zwei Seminare als Wahlfach im Studiengang Cruise Tourism Management angeboten. In einem der Semester wurde ein Praxisprojekt zum Thema Goethequartier angeboten: wir haben einen Altstadt­rundgang gemacht mit dem Stadtplanungsamt und der Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG Lehe) und ich war gleich sehr angetan von diesem Quartier. Bei dem Rundgang wurde mir erzählt, dass in Kürze die Stelle einer Quartiersmeisterin ausgeschrieben wird. Da habe ich mich beworben und es hat sofort geklappt.

Was macht das Arbeitsfeld als Quartiersmeisterin aus und worin bestehen die Besonderheiten dieser Tätigkeit im Stadtteil Lehe?

Das Goethequartier in Bremerhaven ist das Quartier mit der größten Kinderarmut, hier leben über 40% Zuwanderer und es ist der am dichtesten besiedelte Ortsteil Bremerhavens, einer von sieben Ortsteilen im Stadtteil Lehe – der mit den meisten Problemen im Stadtgebiet und leider auch Schlusslicht in ganz Deutschland, wenn es um das Thema Schulden, Armut oder Langzeitarbeits­losigkeit geht. Außerdem haben wir hier, wie in anderen Städten auch, mit Leerständen Probleme. Und so haben wir hier ständig mit schlechten Nachrichten zu kämpfen in den Medien, immer nach dem Motto „wenn man hier wohnt, ist man unten angekommen“.

Zu meinen vordringlichsten Aufgaben gehört an allererster Stelle: präsent sein! Allein die Tatsache, dass es jetzt hier die Quartiersmeister-Stelle gibt, hat schon ganz viel verändert. Es kommen viele Anrufe – sei es von Investoren, von Interessenten, die sich selbständig machen wollen, von Anwohnern, die sich über Müll beklagen, von Menschen, die Projektideen haben, also die mitarbeiten wollen, die einen Job suchen. Meine Aufgabe ist es, zu vernetzen und die verschiedenen Akteure zusammenzubringen.

Es ging in meinen ersten anderthalb, zwei Jahren darum, den Sozialraum zu erkunden und zu überlegen, welche Akteure es hier vor Ort gibt und wie ich Vertrauen aufbauen kann. Das ist ein Prozess, in dem ich mich eigentlich immer noch befinde. Vertrauens­bildung ist eine wichtige Aufgabe, denn bei einigen Personen besteht aus verschiedensten Gründen Misstrauen gegenüber offiziellen Institutionen – und diese repräsentiere ich ja ein Stück weit. Und es ist mitunter schwierig genau diese Menschen dazu zu bringen, dass sie partizipieren können: man muss Möglichkeiten schaffen, man braucht Sprachmittler, man braucht Multiplikatoren aus den eigenen Reihen, so eine Art „Alltagscoach“, der vermitteln kann. In Kürze kommt ein neuer Mitarbeiter, der türkisch und kurdisch spricht, und der mich bei der Arbeit mit Zuwandererfamilien unterstützt.

Es geht in meiner Tätigkeit aber auch um Projektentwicklung, darum Arbeitskreise zu gründen und an verschiedenen Arbeitskreisen in der Stadt Bremerhaven selber teilzunehmen sowie an der Stadtteilkonferenz. Meine Arbeit muss ich natürlich transparent machen und mit Bürgerbeteiligung neue Projekte entwickeln, die den Bedürfnissen der hier lebenden Menschen entsprechen. Begriffe wie Partizipation sind ganz wichtig. Gleichzeitig steht das Entwickeln von Infrastruktur im Quartier im Fokus, so dass sich z.B. Existenzgründer ansiedeln.

Ich habe einen Steuerungskreis, habe Mittelgeber und eine Steuerungsgruppe. Regelmäßig werden alle Verwaltungsleitungen von Bremerhaven in die Quartiersmeisterei eingeladen und ich informiere zweimal im Jahr über meine Tätigkeiten. Die Gesprächspartner kommen aus allen Bereichen, also z.B. aus Kulturbildung, Arbeit, Wirtschaft und sitzen an einem Tisch mit mir. Dann gibt es noch den Stadtrat und das Referat für Wirtschaft, die die Prüfungen vornehmen. Diesen Parteien muss ich präsentieren, was ich im letzten Jahr gemacht habe und was ich weiter plane zu tun. Wir müssen alles dokumentieren für die anstehenden Prüfungen. D.h. wir müssen jedes Gespräch das wir führen, jede Kontaktaufnahme, jede Veranstaltung aufnehmen, da wir diese Nachweise dann bei der Europäischen Union sowie bei Prüfungen vorgelegen müssen.

Welche Projekte stehen für Sie als Quartiersmeisterin aktuell an?

Es entsteht gerade ein Kreativhaus und ein Studenten-WG-Haus – es kommen neue Investoren ins Quartier, deswegen ist das Thema Image und Sichtbarkeit ein wichtiger Punkt. Außerdem haben wir auch eine ganze Reihe von Projekten auf den Weg gebracht, wir hatten zum Beispiel gerade ein großes Straßen­picknick, einmal quer durchs Quartier. Und allein diese Woche stehen für mich jeden Tag Termine mit verschiedenen Kooperationspartnern wie Initiativen, Stadtämtern, Bildungs­einrichtungen oder auch der ansässigen Moschee an, um mit diesen die Umsetzung weiterer geplanter Projekte wie zum Beispiel Repair-Werkstatt, Jugendhaus oder urbane Gärten zu besprechen. Ich finanziere im Moment auch Kultur­veranstaltungen, obwohl es nicht zu meinen Handlungs­schwer­punkten gehört. Hier ist gerade haus­haltslose Zeit und die Töpfe sind relativ leer, von daher sehe ich mich in der Verpflichtung zum Beispiel ein Straßenfest auch mit zu unterstützen.

Es geht darum, etwas Nachhaltiges zu schaffen. Meine Stelle ist zunächst bis 2018 finanziert, wird dann noch einmal nach einer Prüfung der Europäischen Union zwei Jahre verlängert. Ob es dann eine weitere Verlängerung gibt, ist im Moment unklar. Deswegen versuche ich immer, das Thema Nachhaltigkeit bei meiner Arbeit im Blick zu haben.

Welche Kompetenzen werden Ihrer Meinung nach durch das Kulturanthropologiestudium vermittelt, die auch im beruflichen Leben hilfreich sein können?

Als zur Verfügung stehende Methoden sind da natürlich auf der einen Seite Wissenschaft und Theorie. Sich mit Problemstellungen auf theoretischer Ebene auseinanderzusetzen und Fragen über Textrezeption und -produktion sowie das eigene Vorgehen zu reflektieren, vermittelt grundlegende analytische Fähigkeiten. Die Kulturanthropologie ist zudem ein sehr praxisorientiertes Studium, nicht nur durch ihre Methoden, sondern durch die Feldforschungen, in denen man das akademische Umfeld verlässt um sich Phänomene in ihrer unmittelbaren, praktischen Entstehung anzusehen. Dies schärft den Blick auf das, was im Alltagsleben stattfindet.

Durch die gelebte Verbindung von Theorie und Praxis innerhalb des kulturanthropologischen Studiums habe ich viel gelernt. Auch die thematische Vielfalt während meines Studiums, wie z.B. das Beschäftigen mit Stadtteilentwicklung, Migration oder den Spezifika des Standorts Frankfurt, sind in meiner jetzigen Tätigkeit auf jeden Fall hilfreich.

Für mich war es eine unglaubliche Bereicherung dieses Fach zu studieren und es hat mir einen Riesenspaß gemacht. Und wenn ich keine Stelle gefunden hätte, dann habe ich wenigstens etwas studiert, was wirklich Sinn macht, weil man sensibilisiert wird für seine Umgebung.

Welchen Herausforderungen in Ihrer Tätigkeit begegnen Sie, die über im Studium vermittelbare Fähigkeiten hinausgehen?

Da ist auf jeden Fall das Umgehen mit offiziellen Stellen und mit Verwaltungsabläufen zu nennen. Zu meiner Tätigkeit gehört es zu wissen, dass Vorgänge und Projekte an bestimmten Stellen erst beantragt werden müssen, z.B. bei Bauordnungs­behörden oder dem Stadtplanungsamt. Alles das lerne ich natürlich „on the job“ und nicht im Studium. Das sind Verwaltungsabläufe und dafür braucht man viel Geduld. Hierbei geht es darum, immer wieder Prioritäten setzen zu lernen – das ist etwas, in das man hineinwachsen muss.

Ich bin Bindeglied zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung, Politik und stehe, wenn man so will, als Schnittstelle zwischen diesen verschiedenen Akteuren. Das ist eine große Herausforderung. Man wird Teil von Befindlichkeiten und gewachsenen Strukturen, in die man neu hineinkommt. Damit sensibel umzugehen ist eine Herausforderung. Es geht darum, handlungsfähig zu bleiben und auf der sachlichen Ebene zu argumentieren.

Ein weiterer Lernprozess ergibt sich aus der Grenzziehung zwischen privat und beruflich. Man muss darauf achten in seiner Kraft zu bleiben und darf nicht vergessen, dass man auch Privatperson ist.

Möchten Sie noch etwas anfügen, das noch nicht gesagt wurde?

Ich glaube was mich nährt in dieser Arbeit – bei allen Aufgaben, die mir vorgegeben sind – ist die Begegnung mit den Menschen. Und das ist auch, was mir am Studium so gut gefallen hat, die Geschichten im Alltag. Denn wir sind alle Menschen und so geht es immer auch um das Zusammenleben. Bei all dem ist nicht zu vergessen, dass das Goethequartier ein lebenswertes Quartier ist und es nicht nur mit dem Thema Armut verbunden werden sollte. Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen, damit die Menschen partizipieren können und man respektvoll miteinander umgeht.

Das Interview führte, verschriftlichte und editierte Marlen Heislitz, B.A.