Trude Simonsohn und Irmgard Heydorn-Saal

Trude Simonsohn

„Die, die es am meisten nötig hatten, haben mich ja gar nicht eingeladen.“

Mehrmals entkam die 1921 geborene Trude Simonsohn nur knapp dem Tod durch die Nationalsozialisten. Trotz ihrer furchtbaren Erlebnisse in Gestapo-Haft, im Ghetto Theresienstadt und im KZ Auschwitz, zog sie gemeinsam mit ihrem Mann, Berthold Simonsohn (1912–1978), 1951 nach Deutschland, um unter anderem beim Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde zunächst in Hamburg und dann in Frankfurt am Main zu helfen. Seit Ende der 1970er Jahre berichtet sie als Zeitzeugin an Schulen und Universitäten in ganz Deutschland über ihre Erlebnisse in der NS-Zeit und über den für viele heute unvorstellbaren Holocaust. Im Oktober 2016 ernannte die Stadt Frankfurt Trude Simonsohn für ihr Engagement im Kampf gegen Unrecht und Vergessen und für ihre Tätigkeit als Zeitzeugin zur Ehrenbürgerin – sie ist die erste Frau, die mit diesem Titel geehrt wurde.

Geboren in Olmütz, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts größten, teils deutsch-, teils tschechischsprachigen Stadt in Mähren, wuchs Trude Simonsohn (geb. Gutmann) als Einzelkind in einem liberalen Elternhaus auf. Von ihrer glücklichen Kindheit und Jugend sind Erinnerungen an Sommerurlaube in Italien, Fotos im Tennisdress und beim Skifahren geblieben – ein beinahe unglaubliches Glück für Holocaust-Überlebende, wie sie selbst in ihren, gemeinsam mit Elisabeth Abendroth verfassten Memoiren, Noch ein Glück schreibt.

Trude Simonsohns glückliche Jugend endete zunächst im September 1938 mit dem Münchner Abkommen, das dem NS-Regime die Annexion des Sudetenlandes gestattete, endgültig im März 1939 mit dem Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei. Sofort nach dem Einmarsch der deutschen Truppen verließ sie die Schule schweren Herzens. Nachdem ihr Vater schon im September 1939 in das KZ Buchenwald und ihre Mutter nach Theresienstadt (und im September 1944 nach Auschwitz) verschleppt worden waren, geriet Trude Simonsohn aufgrund einer – falschen – Denunziation als Kommunistin 1942 selbst in Gestapo-Haft, ohne zu wissen, was ihr vorgeworfen wurde. Tatsächlich hatte Trude Simonsohn sich lange Jahre im Makkabi Hazair engagiert, einer zionistisch-sozialistischen Jugendbewegung; unter deutscher Besatzung war dies illegal. Die Haftbedingungen, die sie in ihren Erinnerungen beschreibt, waren zermürbend. Insbesondere die Zeit in Einzelhaft hätte sie psychisch und emotional fast gebrochen. Ein kleines Glück im Unglück war es, dass der deutsche Polizeipräsident von Olmütz erwirkte, dass sie nicht als politische Gefangene nach Ravensbrück, sondern als Jüdin nach Theresienstadt deportiert wurde. Das Ghetto in Theresienstadt bot zumindest eine geringe Chance, zu überleben.

In Theresienstadt wurde sie von der jüdischen Lagerverwaltung wegen ihrer in der Jugendbewegung erworbenen Kenntnisse im erzieherischen und medizinischen Bereich als Betreuerin einer Mädchengruppe eingesetzt. In Theresienstadt lernte Trude Simonsohn auch ihren späteren Mann Berthold Simonsohn kennen, den sie noch im Lager nach jüdischem Ritual heiratete.

Am 19. Oktober 1944 meldete Trude Simonsohn sich freiwillig für die Deportation nach Auschwitz, nachdem der Name ihres Mannes auf einer der Deportationslisten erschienen war. An das KZ Auschwitz selbst erinnert sie sich nur noch in Bruchstücken – etwa an das stundenlange Appellstehen, die Rasur und Dr. Mengele, der die Deportierten selektierte und so über Leben und Tod entschied. Unter starken körperlichen und psychischen Schmerzen kann auch die Seele ohnmächtig werden, schreibt Trude Simonsohn, wobei es ein Segen für sie sei, diesen Schmerz nicht erinnern zu müssen.

Nachdem die Wehrmacht am 8. Mai 1945 kapituliert hatte, trafen sich Trude und Berthold Simonsohn tatsächlich in Theresienstadt wieder, wie sie es sich bei ihrer Ankunft in Auschwitz versprochen hatten, kurz bevor man sie dort auseinandergerissen hatte. Nach ihrer gemeinsamen Arbeit bei der Auflösung des Lagers Theresienstadt und für das Sozialministerium in Pragzogen sie 1948 nach Davos in die Schweiz, wo das Paar zunächst beim Aufbau eines Sanatoriums für an Tuberkulose erkrankte Überlebende half. Einige Zeit später betätigte Trude Simonsohn sich auch bei der jüdischen Trägerorganisation „Hilfe und Aufbau“ und betreute Kinder, die die Lager überlebt hatten.

Nach ihrer standesamtlichen Heirat in Zürich im April 1949, wurden sie 1950 vom Leiter der jüdischen Gemeinde Hamburg gebeten, dort beim Aufbau der Gemeindestrukturen und in der Sozialarbeit zu helfen. Obwohl die Entscheidung, ausgerechnet nach Deutschland zu gehen, Trude Simonsohn nicht leicht gefallen ist, zog das Ehepaar schließlich nach Hamburg, wo im Juni 1951 ihr Sohn Michael zur Welt kam. Auf die Frage, wie sie in Deutschland habe Fuß fassen können, entgegnet Trude Simonsohn, dass sie beinahe ausschließlich mit Widerstandskämpfern, wie etwa Irmgard und Heinz-Joachim Heydorn, später Pädagogikprofessor an der Goethe-Universität, sowie Überlebenden verkehrt habe. Auch wenn sie nicht von einer Kollektivschuld sprechen möchte, betont sie, wie furchtbar es sei, dass genau diese wenigen Widerstandskämpfer in Deutschland nach dem Krieg als Hochverräter beschimpft wurden und ihre Kinder diese Schmähung noch heute ertragen müssen.

1955 zog das Ehepaar Simonsohn nach Frankfurt am Main, wo Berthold Simonsohn – nachdem er die jüdischen Wohlfahrtsorganisationen wieder aufgebaut hatte – 1962 auf eine Professur für Sozialpädagogik und Jugendrecht an die Goethe-Universität berufen wurde und Trude Simonsohn sich zuerst bei der WIZO (Women‘s International Zionist Organisation), später auch im Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, deren Gemeinderatsvorsitzende sie von 1989 bis 2001 war, engagierte. In Frankfurt, so schreibt sie, habe sie zum ersten Mal seit Kriegsende wieder das Gefühl gehabt, zuhause zu sein. Für ihr Engagement und ihre Arbeit als Zeitzeugin erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main (1993), die Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen (1996), den Ignatz-Bubis-Preis für Verständigung (2010) sowie den Erasmus-Kittler-Preis (2013). Die Goethe-Universität Frankfurt ehrte ihre Verdienste um die Erinnerungsarbeit durch die Benennung eines Saals nach ihr und ihrer Freundin Irmgard Heydorn, des „Trude Simonsohn und Irmgard Heydorn-Saals“ im Casino-Gebäude auf dem Campus Westend. Beide Frauen verband nicht nur eine lange und tiefe Freundschaft, sondern auch der Kampf gegen das Vergessen.

Fragt man Trude Simonsohn, ob es ihr anfangs schwergefallen sei, vor Schülern und in Hörsälen von ihren Erlebnissen zu berichten, so antwortet sie mit einem Zitat ihres Mannes „Nur wenn wir uns damit konfrontieren, was wir erlebt haben, können wir lernen, damit zu leben“. Ferner habe die Aufforderung, darüber zu sprechen, für sie nach dem Tod ihres Mannes eine neue Bedeutung bekommen. Auch wenn es oft schwer sei, das Leid mit jedem Erzählen noch einmal zu durchleben, so hält sie es doch für unverzichtbar, den folgenden Generationen von ihren Erlebnissen zu berichten. Wenn Schüler ihr entgegnen, dass sie sich all dies nicht vorstellen könnten, antwortet sie, dass sie es selbst nicht könnte, wenn sie es nicht erlebt hätte. „Unsere Seele“, sagt Trude Simonsohn, „ist für so etwas nicht ausgelegt“.

Dieses Portrait basiert auf Trude Simonsohns autobiographischer Schrift „Noch ein Glück“ sowie einem Interview, das im Juli 2017 mit Trude Simonsohn geführt wurde.

© Frankfurt Humanities Research Centre


Literatur und Links:


Irmgard Heydorn

„Das Unverständnis Menschen gegenüber, die sich lieber gegen das eigene Land stellten statt einer verbrecherischen Regierung zu dienen, ist immer noch ungeheuer stark.“

Im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime riskierte die am 24. März 1916 als Irmgard Hose in Hamburg geborene Irmgard Heydorn (1916 – 2017) nahezu täglich ihr Leben. Dass sie sich nach dem Abitur dem Kampf gegen Hitler angeschlossen hatte, war keine Selbstverständlichkeit; schon auf das Verteilen von kritischen Flugblättern oder die Verbreitung von Parolen gegen den ‚Führer‘ bzw. die NSDAP stand die Todesstrafe. „Man konnte ‚Nein‘ sagen zu den Nazis“, lautete später eine ihrer vielzitierten Aussagen, für die ihr eigenes Handeln der beste Beleg war. Doch der außerordentliche Mut, den sie, ebenso wie ihr späterer Mann Heinz-Joachim Heydorn (1916 – 1974), gegenüber dem Unrechtsregime bewiesen hat, wurde ihr lange nicht gedankt. Noch viele Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 mussten sich viele, die in Deutschland Widerstand geleistet und „Nein“ gesagt hatten, als ‚Nestbeschmutzer‘ oder ‚Vaterlandsverräter‘ schmähen lassen. Umso bedeutsamer war die, wenn auch späte, Ehrung Irmgard Heydorns für ihren Einsatz im Widerstand gegen den Nationalsozialismus durch die Verleihung der Johanna-Kirchner-Medaille der Stadt Frankfurt 1991 sowie die Wilhelm-Leuschner-Medaille 2007, der höchsten Auszeichnung des Landes Hessen. Die Goethe-Universität würdigt ihr Andenken und ihr Engagement für Freiheit und Demokratie seit 2019 durch die Benennung eines Saals nach ihr und ihrer Freundin Trude Simonsohn, des „Trude Simonsohn und Irmgard Heydorn-Saals“ im Casino-Gebäude auf dem Campus Westend. Beide Frauen verband eine lange und tiefe Freundschaft – sowie der gemeinsame Kampf gegen das Vergessen.

Als sehr junge Frau musste Irmgard Heydorn mit ansehen, wie die NSDAP und ihre faschistische Ideologie die Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit radikal veränderten. Aufgewachsen in einem liberalen Elternhaus, besuchte sie eine Reformschule und wurde auch durch ihren sozialistisch-pazifistisch gesinnten Großvater früh in kritischem, freiem und selbstständigem Denken geschult. Sich eine eigene Meinung zu bilden, diese auszusprechen und zu Überzeugungen zu stehen, war für sie selbstverständlich. Vielleicht konnte sie deshalb mit gerade einmal 17 Jahren die Unterdrückung, die Abschaffung der Freiheit, die 1933 mit der Machtübergabe an die NSDAP einsetzte, früher und klarer erkennen als viele andere. In jedem Fall ließen ihr kritisch-reflektierendes Denken und Beobachten, ihre Erziehung und ihre Ideale ein stilles ‚Mitlaufen‘ nicht zu. Kategorisch lehnte sie die Ideologie der Nationalsozialisten sowie die Zerstörung von Freiheit und Demokratie ab.

Ihr Entschluss, sich dem Unrecht nicht zu fügen, hatte für sie weitreichende Konsequenzen. So verzichtete Irmgard Heydorn auf ihren Wunsch, Kinderärztin zu werden, da für die Erlaubnis, ein Medizinstudium zu beginnen, erst ein Jahr Reichsarbeitsdienst geleistet werden musste – womit sie das Regime unterstützt und ihre Überzeugungen verraten hätte. Stattdessen nahm sie nach dem Abitur eine Stelle in einer Hamburger Bank an, die ihr von einem Freund der Familie vermittelt wurde, da der jüdische Eigentümer der Bank vertrauenswürdige Angestellte zur Vorbereitung seiner Emigration brauchte. Dort kam Irmgard Heydorn über ihre Kollegin Käte Zink auch in Kontakt zur Widerstandsgruppe des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK), dem sie sich 1936 anschloss. Damit begann ihre Arbeit im Untergrund. Sie stempelte Antikriegsbotschaften, verteilte illegale Flugblätter und Antikriegsschriften, die zum Beispiel, getarnt in Umschlägen der Werke Immanuel Kants, in Zugabteilen liegengelassen wurden. Mit Kriegsbeginn 1939 verlagerte sich der Schwerpunkt des ISK vor allem auf Sabotagearbeit, die das nationalsozialistische Regime von innen schwächen sollte. Irmgard Heydorn verschlüsselte kriegswichtige Informationen, getarnt und codiert in Liebesbriefen, um sie ins alliierte Ausland zu senden. 1943 versteckte sie einen geflohen Gefangenen vor den Nazis, der jedoch entdeckt und hingerichtet wurde. Auch ihre Mutter half dem ISK und enttarnte sogar einen Spitzel der Nazis, der den ISK unterwandert und schon mehrere Mitglieder in akute Gefahr gebracht hatte.

Als der Krieg endlich vorbei war, engagierte Irmgard Heydorn sich weiter politisch. Dabei lernte sie auch ihren späteren Mann, Heinz-Joachim Heydorn kennen, der ebenso wie sie den Nazis die Gefolgschaft verweigert und Widerstand geleistet hatte. Heinz-Joachim Heydorn hatte in Hamburg Chinesisch, Englisch und Philosophie studiert und war 1933 der Bekennenden Kirche beigetreten, wo er von 1934 bis 1939 ebenfalls illegale politische Arbeit gegen die NSDAP geleistet hatte. Gleichzeitig schmuggelte er für den Widerstand Informationen ins Ausland und zurück und verfasste für die Mitglieder der SPD, die sich im Pariser Exil befanden, Texte für die Deutschland-Berichte der SoPaDe (wie sich Vorstand und Mitglieder des SPD im Exil nannten) sowie für Willi Münzenbergs deutsch-französische antifaschistische Zeitschrift „Die Zukunft“. Nach einem einjährigen Aufenthalt als Deutschlehrer in Wales war er nach seiner Rückkehr 1939 bei Kriegsbeginn als Soldat eingezogen worden. 1944 desertiert, wurde er dafür in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 1949 war Heinz-Joachim Heydorn Mitglied der Bundesversammlung, die Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten Deutschlands wählte. Irmgard und Heinz-Joachim Heydorn heirateten 1951 in Hamburg und zogen 1954 nach Darmstadt, wo Heinz-Joachim Heydorn zunächst als außerordentlicher Professor an das Pädagogische Institut in Darmstadt-Jugenheim berufen wurde. Nach seiner Berufung 1961 auf die Professur für Erziehungs- und Bildungswesen an der Hochschule für Erziehung Frankfurt am Main zog das Paar 1962 nach Frankfurt um. Die Hochschule für Erziehung wurde 1966 als „Abteilung für Erziehungswissenschaft“ (AfE) Teil der Goethe-Universität.

Gemeinsam engagierte sich das Ehepaar Heydorn ein Leben lang für Freiheit und Demokratie. Unter anderem waren beide ab 1946 beim Aufbau des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) beteiligt, der 1968 maßgeblich für die Organisation der studentischen Proteste verantwortlich sein sollte. 1961 führte ihre Mitgliedschaft im Fördererverein des SDS zum Ausschluss aus der SPD, die die Mitgliedschaft in beiden Organisationen für ‚unvereinbar‘ erklärte. Auch in vielen anderen Gruppierungen und Projekten setzte sich Irmgard Heydorn ein Leben lang ein, sei es bei Protesten gegen die Wiederaufrüstung und die Notstandsgesetze, bei den sog. Ostermärschen für Frieden oder bei Amnesty International, um nur wenige zu nennen.

Schon zu ihrer Hamburger Zeit in den 1950er Jahren lernten Irmgard und Heinz-Joachim Heydorn Trude und Berthold Simonsohn kennen. Die Ehepaare waren sich sofort sympathisch, und zudem verbanden sie die Erfahrungen im Nationalsozialismus – die Verfolgung bzw. der Widerstand – wie ein starkes Band, wie sich Trude Simonsohn in ihren Memoiren erinnert. Daraus entstand eine lebenslange Freundschaft, die nach dem Umzug beider Ehepaare nach Frankfurt am Main in den 1950er bzw. 1960er Jahren anhielt. Schließlich ist es wohl auch Trude Simonsohns Überzeugungsarbeit zu verdanken, dass Irmgard Heydorn begann, ihre Erfahrungen im Widerstand als Zeitzeugin Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden nahezubringen, wie dies Trude Simonsohn zuvor schon als Überlebende des Holocaust getan hatte. Beiden Frauen war es ein großes Anliegen, bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht nur ein Bewusstsein für die Gräueltaten des NS-Regimes, sondern auch für gegenwärtiges Unrecht zu schaffen – und sie zu ermutigen, sich zu engagieren und „Nein“ dazu zu sagen.

© Frankfurt Humanities Research Centre


Literatur und Links: