Identität und Fremdwahrnehmung der Landjuden im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Im 19. Jahrhundert spaltete sich das deutsche Judentum in verschiedene Gruppierungen, die man grob in drei große Strömungen aufteilen kann: das Reformjudentum, das positiv-historische Judentum und die jüdische Orthodoxie. Letztere verlor bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Mehrheitsstatus innerhalb des Judentums und musste sich als Minorität in der jüdischen Gesellschaft, aber auch innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft positionieren. Dafür mussten neue Identitätsparadigma entwickelt und an die Mitglieder der orthodoxen Gruppe vermittelt werden. Das Projekt geht der Frage nach, wie die Spaltung in verschiedene religiöse Strömungen innerhalb des Judentums von den Juden auf dem Land perzipiert wurde und welche Auswirkungen vor allem das Selbstbild und die Definition einer zeitgemäßen Identität der jüdischen (Stadt-)Orthodoxie auf die Landjuden hatte, die bis in die 1880er Jahre weiterhin die Mehrheit der deutschen Juden ausmachten. Die sogenannte „Milieufrömmigkeit“ der Landjuden soll daraufhin untersucht werden, ob man überhaupt von einer Veränderung im ländlichen Milieu sprechen kann, die mit jener in der Stadt vergleichbar ist. Anhand von Memoiren soll betrachtet werden, ob man sich als Teil der Orthodoxie in der Stadt und als Abgrenzung vom reformierten Judentum definierte, ob die orthodoxen Führungspersönlichkeiten auch im Landjudentum eine Rolle spielten und was die Demarkationslinien im ländlichen Raum waren.

Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie das Leben der Landjuden von der städtischen Elite wahrgenommen und dargestellt wurde. Dazu werden sowohl literarischen Zeugnisse als auch andere publizistische Medien, wie Zeitungen, ausgewertet. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob es zu einer Romantisierung des in Auflösung befindlichen Landjudentums kam oder die Situation auf dem Land eher als Beispiel für Rückständigkeit kritisiert wurde. Diese Untersuchung soll sowohl Beispiele aus der Orthodoxie als auch aus dem Reformjudentum beinhalten und damit auch aufzeigen, ob man hier von einer unterschiedlichen Perzeption sprechen kann.

 

Bisher liegen zwar durchaus einzelne Studien über das deutsche Landjudentum vor, aber ein expliziter Vergleich zwischen der städtischen Orthodoxie und dem orthodoxen Landjudentum fehlt. Das Projekt soll diese Forschungslücke füllen und zugleich das Bild des Landjudentums, vor allem im jüdischen Bürgertum, beleuchten. Damit soll das Projekt sowohl einen Beitrag zur Erforschung der jüdisch-deutschen Orthodoxie, des Landjudentums und der Identitätsforschung leisten.

Kontakt

Besucheradresse:

Seminar für Judaistik
Goethe-Universität Frankfurt  |  Campus Westend
Gebäude der Sprach- und Kulturwissenschaften
Rostocker Straße 2
D-60323 Frankfurt am Main

Räume 01.A115-118 und 01.A129-131

Tel.: +49 (0)69 798 22677
Fax: +49 (0)69 798 23351
jewishstudies@uni-frankfurt.de

Postanschrift:

Goethe-Universität Frankfurt am Main 
FB09-Seminar für Judaistik
SKW
60629 Frankfurt

Päckchen und Pakete:

Goethe-Universität Frankfurt am Main
FB09-Seminar für Judaistik
SKW
Rostocker Straße 2
60323 Frankfurt