Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preisträger*innen 2018

TNF – ein Dirigent des Immunsystems

Die wissenschaftlichen Leistungen der beiden Preisträger sind ein einzigartiges Beispiel für klinisch relevante Grundlagenforschung. Anthony Cerami und David Wallach haben entscheidend dazu beigetragen, die Wirkungen des Botenstoffs TNF zu entschlüsseln und seine Hemmung zu einem der wichtigsten Therapieprinzipien in der Medizin zu machen. Chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Rheumatoide Arthritis, Psoriasis und Morbus Crohn werden heute erfolgreich mit Antikörpern und Proteinen behandelt, die TNF neutralisieren.

TNF ist der Gefahrenmelder des Immunsystems und einer seiner wichtigsten Dirigenten. Die beiden diesjährigen Preisträger gehören zu den Pionieren der TNF-Forschung und haben das Feld über Jahrzehnte hinweg geprägt. Anthony Cerami hatte in den 1970er Jahren ein Protein identifiziert, das er zunächst Cachectin nannte, weil es bei Tieren mit einer Parasitenerkrankung zu einem pathologischen Gewichtsverlust führte, einer sogenannten Kachexie. Er arbeitete damals an der Rockfeller Universität in New York, an der er auch studiert und promoviert hatte. 1981 wurde ihm ein US-Patent zugesprochen, in dem er die Wirkung dieses Proteins beschrieb und in dem er darauf hinwies, dass eine Hemmung mittels Antikörper bei Erkrankungen wie Sepsis, Rheuma oder Kachexie nützlich sein könnte. 1985 zeigten Antony Cerami und Bruce Beutler dann, dass Cachectin und TNF identisch sind. TNF war damals als Mittel gegen Krebs im Gespräch. Seinen Namen hatte es von Lloyd Old erhalten, der im Sloan Kettering Cancer Center in New York arbeitete, das der Rockefeller Universität genau gegenüber liegt. Obwohl sich Cerami und Old mehrfach über die Proteine, an denen sie arbeiteten, ausgetauscht hatten, erkannten sie erst mit der Sequenzierung der Eiweiße und Gene, dass TNF und Cachectin identisch sind. Allerdings kam TNF nach dieser Entdeckung wegen seiner entzündungsfördernden Wirkung nicht mehr als Krebs-Medikament infrage. Die Enttäuschung derer, die an einer möglichen Krebstherapie gearbeitet hatten, bekam Cerami damals in Form persönlicher Anfeindungen deutlich zu spüren. Andererseits schien die Hemmung des TNFs ein vielversprechendes Therapieprinzip bei Entzündungen zu sein. In der Tat konnten Cerami und seine Kollegen 1987 zeigen, dass ein das TNF neutralisierender Antikörper im Tierversuch einen septischen Schock verhindert. Entwickelt wurden die Antikörper gegen TNF dann aber nicht gegen Sepsis oder Kachexie, wie Cerami dies ursprünglich vorgesehen hatte, sondern gegen Rheuma, Psoriasis, Morbus Crohn und vier weitere chronisch entzündlichen Erkrankungen.

In den 1990er Jahren beschäftigte sich Cerami mit der Frage, wie der Körper eine angelaufene Entzündung wieder stoppt, damit es nicht zu unerwünschten Kollateralschäden im betroffenen Gewebe kommt. Er und seine Kollegen entdeckten, dass eine Variante des Botenstoffs Erythropoetin (EPO) ein natürlicher Gegenspieler des TNFs ist und eine antientzündliche Wirkung besitzt. EPO war bis dahin nur als Protein bekannt, das von den Nieren freigesetzt wird und die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark induziert. Cerami konnte zeigen, dass EPO auch im Entzündungsgebiet entsteht und dort an einen Rezeptor bindet, der sich von dem für die Blutbildung relevanten Rezeptor im Knochenmark unterscheidet und der auch erst im Zuge der Entzündung exprimiert wird. Über die Bindung von EPO an diesen Rezeptor werden gefährdete Zellen vor dem programmierten Zelltod bewahrt und die zur Heilung erforderlichen Reparaturprozesse eingeleitet. Der Körper versucht damit, den Schaden durch das Trauma, die Infektion oder den zellulären Stress so gering wie möglich zu halten und so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurückzukehren. Allerdings kommt EPO nur bedingt für eine solche Therapie infrage, weil die Behandlung aufgrund der Stimulation der Blutbildung mit einem hohen Risiko für Blutgerinnsel und Thrombosen verbunden ist. Cerami und seine Kollegen haben daher nach dem Anteil des EPOs gesucht, der das Gewebe vor Entzündungen schützt, aber keine Blutgerinnsel und Thrombosen verursacht. Sie fanden ein elf Aminosäuren langes Peptid mit dieser Funktion, das gerade in der klinischen Prüfung ist.

Neben diesen Arbeiten zu TNF und EPO hat Anthony Cerami auch den Test zur Bestimmung des HbA1c-Werts entwickelt, der Auskunft über den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel der vergangenen Wochen gibt. Er gilt als wichtiger Messwert zur Kontrolle einer Diabetes-Behandlung. Die Bestimmung des HbA1c-Werts ist deshalb heute ein wesentlicher Baustein der Verlaufskontrolle bei Patienten mit Diabetes.

David Wallach ist auf ganz anderem Wege auf TNF gestoßen. Er war in den 1970er Jahren der Frage nachgegangen, ob der Körper molekulare Signalgeber besitzt, die die Zellen ganz gezielt und in regulierter Weise in den programmierten Tod schicken. Er stieß dabei auf ein Signal, dass er Cytotoxin nannte und von dem lange nicht klar war, ob es ein Zellgift ist, das die Zellen lediglich tötet oder ob es ein Botenstoff mit weitergehender Signalwirkung ist. Komplizierend kam hinzu, dass das Signal offensichtlich zwei Aktivitäten besaß, die ganz und gar nicht zusammenzupassen schienen. Wallachs Cytotoxin konnte den Zelltod induzieren, die Zellen aber auch resistent gegenüber dem Zelltod machen. Wallach erkannte, dass sich dieses Rätsel nur durch die sorgfältige biochemische Charakterisierung dieses Moleküls lösen ließ. Er reinigte das Protein und fand heraus, dass Cytotoxin und TNF identisch sind. Mit dieser Entdeckung wurden zwei bislang völlig unabhängige Forschungsfelder zusammengeführt.

Wallach konzentrierte sich anschließend darauf, ein Protein zu finden, dass die Wirkung von TNF – für viele Zellen immerhin ein Todeskuss – unterbindet. Wallachs Gedanke: Wenn Zellen etwas derart Radikales wie ihren Suizid einleiten, muss es für den Organismus auch die Möglichkeit geben, den Untergang zu verhindern. Wallach fand bei der Suche die beiden TNF-Rezeptoren, den 55 kDa schweren TNF-Rezeptor 1 und den 75 kDa schweren TNF-Rezeptor 2. Zellen können die nach außen gerichteten Bindungsregionen der TNF-Rezeptoren kappen. Diese löslichen Rezeptor-Domänen fangen dann das TNF vor der Zelle ab und verhindern, dass es an die verbliebenen intakten Rezeptoren auf der Oberfläche der Zellen bindet und seine Wirkung entfaltet. Wallachs Arbeiten haben damit gezeigt, dass nicht nur Antikörper gegen TNF als Therapie bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen in Frage kommen, sondern auch die löslichen Rezeptor-Domänen selbst. Das damit erkannte Therapieprinzip beruht auf einer kompetitiven Hemmung des TNFs. In der Tat ist ein Fusionsprotein aus Teilen des Rezeptors seit Jahren zur Behandlung chronisch entzündlicher Erkrankungen zugelassen.

Wallachs Name ist zudem eng mit den Entschlüsselungen der Signalwirkungen des TNFs verbunden, was nach der Identifikation der beiden Rezeptoren möglich war. Die Zellen können entweder in den programmierten Zelltod geschickt werden oder zum Start eines Rettungsprogramms veranlasst werden. Wallach hat wichtige Proteine des durch TNF vermittelten programmierten Zelltods identifiziert und kloniert, unter anderem das Protein FADD und die Protease Caspase-8. Heute heißt dieser von außen über TNF angestoßene, zelluläre Suizid extrinischer programmierter Zelltod. Seine Forschung war auch grundlegend für das Verständnis des vom Zellinnern ausgelösten Zelltods, – des sogenannten intrinischen programmierten Zelltods – der nicht über die TNF-Rezeptoren vermittelt wird, sondern über die Mitochondrien, wenn dies aufgrund angesammelter Schäden nötig sein sollte. Wallach hat mit seinen konzeptionell bedeutsamen Arbeiten das gesamte Feld der Signalverarbeitung entscheidend vorangebracht.

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