Poetik der Skizze. Verfahren und diskursive Verortungen einer Kurzprosaform vom Poetischen Realismus bis zur Frühen Moderne

Workshop am Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik am 28. und 29. September 2018

Unverkennbar reüssiert im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Skizze als literarische Form. Verantwortlich dafür ist unter anderem die stark gestiegene Zahl an Familienblättern und Rundschauzeitschriften. Denn diese bieten keineswegs nur als Fortsetzung angelegten Vorabdrucken von Erzählungen oder Romanen ein Medium.  Üblicherweise in Zeitschriften finden sich auch solche Texte, die in ihrer Singularität und Kürze vollständig sind, zugleich aber Effekte des Unausgearbeiteten zeitigen. Die Zunahme von Kurprosastücken, die peritextuell oder diskursiv als ,Skizze‘ markiert sind, ist dabei nicht nur eine literaturhistorische Tatsache, sondern bietet zugleich Anlass für Kulturkritik: Schon vom zeitgenössischen Diskurs bestenfalls als ,gern genossene Lesekost‘ gefasst, zumeist jedoch als literarisch ,ungeheuer überschätzt‘ abgewertet, werden die frühen Formen der Skizze, die sich bereits im Spätrealismus finden, bis heute literaturgeschichtlich häufig marginalisiert. Anders als ihre avantgardistischen Gegenstücke nach der Jahrhundertwende gelten entsprechende Vorformen allenfalls als Symptom eines gewandelten massenmedialen Publikationskontextes.

An dieser Stelle setzt der Workshop an. Wir gehen erstens davon aus, dass die für die frühe Phase dominante Abwertung der Skizze als lediglich populärem, dem Medium der Zeitschrift und dessen Anforderungen geschuldetem und damit literarisch wenig relevantem Verfahren das Spezifische der Skizze einseitig verdeckt. Folgerichtig behaupten wir (zweitens), dass der Fokus auf die beginnende Moderne als Blütephase der Skizze deren literaturgeschichtliche Relevanz zu stark verengt. Eine eingehende literatur- und kulturwissenschaftliche Sichtung und Untersuchung der Skizze und ihres literaturgeschichtlichen Ortes steht trotz ihrer Stellung als prägendem Formphänomen der Frühen Moderne aus. Auf diesem Hintergrund fragt der Workshop nach historisch sensitiven theoretischen Beschreibungsmodellen dieser peritextuell und/oder diskursiv als ,Skizze‘ bezeichneten Texte vom Spätrealismus bis in die Frühe Moderne, um im Anschluss daran konkrete Fallbeispiele in den Blick zu nehmen, die verdeutlichen, welche Funktionen der Skizze als Verfahren in der Literatur der Jahrzehnte um die Jahrhundertwende zukommen.

Der Workshop ist öffentlich. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

Der Workshop wird gefördert durch die FAZIT-Stiftung und den Fachbereich 10 der Goethe-Universität.


Veranstaltungsort

Goethe-Universität Frankfurt am Main
Campus Westend
IG-Gebäude
Raum 1.418


Konzept und Organisation

Dr. David-Christopher Assmann
Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik
Goethe-Universität Frankfurt

Dr. Stefan Tetzlaff
Institut für Germanistik
Universität Kassel


Programm

Freitag, 28. September

13:00–14:15 Uhr
Begrüßung und Einführung durch die Veranstalter: Verfahren und diskursive Verortungen der Skizze vom Poetischen Realismus bis zur Frühen Moderne
Maren Jäger (Berlin): Skizzen und Fragmente, Funken, Sämereien, Splitter, Miniaturen, Extracte … Die kleine Form im 19. Jahrhundert und ihre Namen

14:15–14:45 Uhr – Kaffeepause

14:45 Uhr–16:15 Uhr
Elisabetta Mengaldo (Padua): Bausteine zu einer Vorgeschichte der Skizze. Zur Rhetorik und Poetik von Entwurf und Notiz bei Novalis und Arnim
Leonie Süwolto (Paderborn): Literarisches Skizzieren als Körperpoetik: Theodor Storms ,Marthe und ihre Uhr‘ (1848)

16:15–16:45 Uhr – Kaffeepause

16:45–18:15 Uhr
Daniela Gretz (Köln): „Freilich, nur bruchstückartig ist, was er erzählt; aber er erzählt gut.“ Wilhelm Raabes ,Poetik der Skizze‘
David-Christopher Assmann (Turin/Frankfurt): Einseitiges Wiedererkennen. Hermann Conradis frühe Skizzen

19 Uhr – Gemeinsames Abendessen


Samstag, 29. September

9:30–11:00 Uhr
Matthias Agethen (Weimar): „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen“. Funktionsgeschichtliche Überlegungen zu literarischen Skizzierungen von Wirtschaft und Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts
Sabine Haupt (Fribourg): Ungeformte Zeugnisse des Lebens. Das (Traum-)protokoll als literarisches Experiment


11:00–11:30 Uhr – Kaffeepause

11:30–13:00 Uhr
Jörg Schuster (Oldenburg): Skizze und Imagination. Zu einer ästhetischen Praktik um 1900
Stefan Tetzlaff (Kassel): „Wie ich es sehe“. Zur bildlichen Logik der literarischen Skizze

13:00–14:00 Uhr
Abschlussdiskussion und Ergebnissicherung