Karl Mannheim

Der 1893 in Budapest geborene Sohn eines jüdischen Textilhändlers studierte Philosophie und Literaturwissenschaft und gehörte zu den kulturellen Reformern um den Philosophen und Literaturhistoriker Georg Lukács. Nach der Niederschlagung der kommunistischen Räterepublik in Ungarn emigrierte Mannheim 1919 nach Heidelberg, der Wirkungsstätte von Max und Alfred Weber.

Dort profilierte er sich als Mitbegründer der Wissenssoziologie. Sie machte das Verhältnis von Sein und Bewusstsein, von sozialer Formation und Weltanschauung zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Durch die Publikation des Essay-Bandes “Ideologie und Utopie“ wurde 1929 Mannheims wissenssoziologische Umfunktionierung marxistischer Ideologiekritik zum heiß diskutierten Thema unter Intellektuellen und der Autor über Nacht berühmt. Er erhielt einen Ruf an die Frankfurter Universität und wurde dort 1930 Ordinarius für Soziologie und Nationalökonomie in der Nachfolge von Franz Oppenheimer (1864-1943).

Zentrales Thema war für Mannheim zum einen die „Seinsverbundenheit“ und damit Relativität allen Denkens. Das war eine radikale Durchbrechung des Ideologiebegriffs, die dessen politischen Stellenwert und die Unterscheidung zwischen Wirklichkeitserkenntnis und Ideologie außer Kraft setzte. Zum andern sah Mannheim aber auch eine Chance, etwas von der Utopie einer Versöhnung konkurrierender Lebens- und Denkformen zu verwirklichen. Das solle möglich sein durch die Übernahme unterschiedlicher Standpunkte und eine Zusammenschau partikularer Sicht- und Existenzweisen. Die Fähigkeit, dieses umzuetzen, traute er nicht dem Proletariat oder dessen Vordenkern sondern einer „sozial freischwebenden Intelligenz“ zu.

Die drei Frankfurter Jahre waren der Höhepunkt von Mannheims Karriere. Zusammen mit Kollegen anderer Disziplinen bildete er eine „Arbeitsgemeinschaft Sozialgeschichte und Ideengeschichte“. Produktiv miteinander konkurrierend machten Mannheims Soziologisches Seminar und Max Horkheimers Institut für Sozialforschung damals Frankfurt zum Zentrum soziologischer Zeitdiagnose.

Im April 1933 gehörte Mannheim zu den ersten „zwangsbeurlaubten“ Professoren. Er emigrierte nach England. Angesichts des Siegeszugs totalitärer Regime trat er für einen Umbau der Gesellschaft in Richtung einer „geplanten Demokratie“ ein. So – meinte er – könne man der Verführungskraft von Faschismus und Kommunismus begegnen. 1947 starb er, erst 53 Jahre alt, im britischen Exil. Heute zählt er zu den Klassikern der frühen Soziologie, die weitaus mehr als Fachsoziologen waren.

(RW)

Karl Mannheim lebte von 1930 bis 1933 in der Westendstr. 103

Westendstraße 102,
60325 Frankfurt am Main
Innenstadt