Dr. Gisela Eckhardt

Ein leichtes Frankfurterisch spricht Gisela Eckhardt immer noch. Kein amerikanischer Akzent. Ihrer hessischen Geburtsstadt ist sie innig verbunden, obwohl sie seit bald 60 Jahren in den USA lebt. Nicht irgendwo, sondern im mondänen Malibu, Kalifornien. Dort forschte die promovierte Physikerin ab Ende der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Forschungslaboren der Industrie. Da war sie Anfang 30 und eine ambitionierte Wissenschaftlerin. Gisela Eckhardt ist eine Laser-Pionierin. Gemeinsam mit einem Kollegen erfand sie 1962 den Raman-Laser. Ein revolutionärer Schritt. Raman-Laser gehören heute zur Ausrüstung vieler Chemielabore. Nach wie vor beziehen sich monatlich etwa 40 wissenschaftliche Publikationen weltweit auf ihre Entdeckung. Und trotzdem ist Gisela Eckhardt nur in Expertenkreisen bekannt.

Als Physikerin in der von Männern dominierten Forschung hatte Eckhardt es schwer in den 50er und 60er Jahren. Eine aktive Vorkämpferin für Frauenrechte ist sie trotzdem nicht geworden. Sie pflegt einen großen Freundes- und Bekanntenkreis weltweit, liebt den wissenschaftlichen Diskurs. »Ich bin ein unabhängiger Geist. I can think outside of the box.« Schon als Kind spielt die Frankfurter Unternehmertochter lieber mit Jungs, war mehr Windsbraut als Zuckerpüppchen, trotz ihrer zierlichen Erscheinung. Eckhardt ist zäh und extrem sportlich. Dass sie eines Tages Physik studieren würde, stand für sie nie in Frage. Doch im Studium an der Goethe- Universität wurde ihr sehr schnell klar, dass sie es als Forscherin im Nachkriegsdeutschland nicht weit bringen würde.

Die Aussicht auf gut bezahlte Arbeit führte sie gemeinsam mit ihrem Mann in die USA. Physiker waren dort seinerzeit sehr umworben. Nach zwei Jahren in Princeton wechselte das Ehepaar an die Westküste. Eckhardt fand eine Stelle bei den Hughes Research Laboratories in Malibu. Dort machte sie ihre bahnbrechende Entdeckung und setzte deren Patentierung durch. Trotzdem blieb sie der Laserforschung nicht treu und wechselte die Abteilung. Auch auf dem Gebiet der Plasma- und Halbleiterphysik erwarb sie sich einen internationalen Ruf. 1982 verließ Gisela Eckhardt Hughes, da war sie 56 Jahre alt. Sie baute stattdessen ein florierendes Foto-Unternehmen auf. Wissenschaftliche Tagungen und Kongresse besucht sie jedoch bis heute. Im Herzen ist Gisela Eckhardt nach wie vor die experimentelle Physikerin aus Frankfurt.

Frau Dr. Eckhardt, Sie sind der Ansicht, dass Sie für Ihre bahnbrechende Entdeckung in der Laserforschung vor 55 Jahren den Physik-Nobelpreis erhalten sollten. Warum?

Alfred Nobel verfügte, diejenigen Wissenschaftler auszuzeichnen, deren Entdeckungen der Menschheit zugutekommen. Heute erhalten häufig Theoretiker den Nobelpreis, deren Erkenntnisse keinen praktischen Nutzen für die Menschen haben. Meine Erfindung des Raman-Lasers hingegen war eine absolute Sensation, weil man plötzlich eine unbegrenzte Zahl von Laserfrequenzen erzeugen konnte. Das wird seither vielfältig eingesetzt: in der Medizin etwa bei Augenoperationen, in der Biologie, der Nachrichtenübertragung oder in der Steuerung von chemischen Prozessen.

Sie gelten als Laser-Pionierin. Tatsächlich aber hatten Sie es als Physikerin schwer, sich durchzusetzen. War die Wissenschaft zu Ihrer Zeit noch nicht bereit für Frauen in der Physik?

Als ich zum Wintersemester 1947 mit dem Physikstudium in Frankfurt anfing, war ich die einzige Frau unter 40 Männern meines Jahrgangs. Meistens wurde ich nicht ernst genommen, auch später nicht, als ich bereits promoviert war und in US-Forschungslaboren arbeitete. Wissen Sie, ich bin ja nur 1,52 Meter groß gewesen und sah sehr mädchenhaft aus. Man legte mir eine Menge Steine in den Weg.

Wie entstand Ihr Entschluss, Physik studieren zu wollen?

Das wusste ich bereits mit 12 Jahren. Ich habe das Buch »Umsturz im Weltbild der Physik« von Ernst Zimmer gelesen und erkannte sofort: Wenn ich die Welt verstehen will, muss ich Physik studieren.

Einen der wenigen Studienplätze für Physik an der Goethe-Universität zu ergattern, war für eine Frau damals eigentlich so gut wie unmöglich. Wie haben Sie es dennoch geschafft?

Den Studienplatz habe ich meinem Physiklehrer Dr. Protz von der Wöhler-Schule zu verdanken. Er war Mitglied im Physikalischen Verein und setzte sich sehr für mich ein. Das erfuhr ich aber erst Jahre später. Ich habe sehr hart gearbeitet. Da ich zunächst auf der Schiller-Schule, einem Mädchengymnasium, war, hatte ich enorme Defizite in Mathematik und Physik, weil an der Mädchenschule einfach nicht die gleichen Inhalte gelehrt wurden wie an einem Jungengymnasium. Aber ich habe innerhalb von acht Monaten das Wesentliche aufgeholt.

Hatten Sie Unterstützung durch Ihre Familie?

Meine Mutter warnte mich vor dem Physikstudium. Sie hatte Bedenken, dass ich als einzige junge Frau unter Männern untergehen könnte und riet mir zu einem Medizinstudium. Aber das war für mich keine Alternative. Sie hat es dann akzeptiert.

Welche Hürden mussten Sie während des Studiums an der Goethe-Universität überwinden?

Mein damaliger Professor für Experimentelle Physik, Prof. Czerny, hat mich regelrecht schikaniert. Zum Beispiel: Nach fünf Semestern meldete ich mich für die Diplomarbeit an, aber er stellte mich zurück. Ich musste bis zum neunten Semester warten und war damit die Letzte von zehn Diplomanwärtern. Darauf bin ich heute noch wütend. Es war ein enormer Zeitverlust.

Sie haben sich früh gegen Kinder entschieden. Warum?

Ich war der Meinung, dass ich nicht beiden Aufgaben gleichzeitig gerecht werden konnte. Deshalb heiratete ich einen Mann, der auch Wissenschaftler war und ebenfalls keine Kinder wollte.

Ihnen war früh klar, dass Sie als Forscherin im Nachkriegsdeutschland keine Karriere machen würden und sind mit Ihrem Mann in die USA ausgewandert. Was lief dort besser?

Amerika war damals das Mekka der Physikforschung. Die Amerikaner suchten nach dem sogenannten Sputnik-Schock händeringend nach Physikern. Es war deshalb nicht besonders schwer, dort Arbeit zu finden. Wir sind dann 1958 mit unserem VW-Käfer per Frachtschiff in die USA gefahren.

Trotz Ihres großen wissenschaftlichen Erfolges sind Sie der Laserforschung nicht lange treu geblieben. Weshalb?

Man hat mir meinen Erfolg sehr geneidet. Dass mein Name mit auf dem Patent stand und nicht der eines Kollegen, hat dieser mir nie verziehen. Der Mann hat mich regelrecht bekämpft und sogar körperlich bedroht. Ich nahm daher das Angebot an, die Abteilung zu wechseln.

Mehrfach wurden Ihnen Professuren angeboten, die Sie nicht annahmen. Hat Sie das nie gereizt?

Nein. Dann hätte ich ja lehren müssen. Ich wollte aber ausschließlich forschen.

Der Blick zurück: Was verbindet Sie mit der Goethe-Universität?

Meine Jugend.

Als Teenager waren Sie eine Spitzenfechterin mit Chancen auf eine große sportliche Karriere. Was hielt Sie davon ab, Profisportlerin zu werden?

Das ging einfach nicht zusammen mit dem Studium. Bei mehreren Stunden Training jeden Tag, da hätte ich keine Zeit für das Physikstudium gehabt. Das wollte ich aber unbedingt.

Sie sind 91 Jahre alt und immer noch sehr sportlich. Wie halten Sie sich fit?

Fechten, Para-Sailing, Para-Gliding, segeln, fliegen, reiten, wandern, klettern, schwimmen … ich habe in meinem Leben alles ausprobiert. Sport gehört zu mir. Ich mache nach wie vor jeden Tag meine Gymnastikübungen: 40 Liegestütze und 200 crunches.

Was würden Sie heutigen jungen Frauen als Rat mit auf den Weg geben?

Ich würde auf jeden Fall empfehlen, ein MINT-Fach zu studieren. Damit finden sie interessante und gut bezahlte Arbeit.

Ihr Lebensmotto?

Don´t ever give up.

Die Fragen stellte Heike Jüngst