Dr. Tobias Adrian

Er ist einer der einflussreichsten deutschen Ökonomen und hat in den USA Karriere gemacht: Dr. Tobias Adrian – seit gut einem Jahr der Finanzmarktchef des Internationalen Währungsfonds IWF. Sein Job beim IWF ist es, Risiken im Weltfinanzsystem aufzuspüren. Die nötige Erfahrung hat er: Den Kollaps der Wall Street erlebte er aus nächster Nähe, damals als Volkswirt der Federal Reserve Bank von New York, des Ablegers der amerikanischen Notenbank in der Ostküsten-Metropole. Dort arbeitete er seit 2003 in verschiedenen Positionen, immer aber mit einem Fokus auf das Kapitalmarktgeschehen. Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, schätzt an ihm besonders seine analytischen Fähigkeiten. Seine Analysen seien international hoch angesehen, erläuterte sie bei seiner Ernennung, und er habe zahlreich über die Themen Asset Pricing and Capital Markets, Geldpolitik und Finanzmarktthemen publiziert.

Tobias Adrians Wurzeln liegen im Taunus. In Kronberg geboren, wuchs er in Bad Homburg auf und machte am dortigen Humboldt- Gymnasium sein Abitur. Die Kindheit und Jugend im Taunus habe ihn geprägt, sagt Adrian. Wandern, Radfahren und Skilaufen in den Bergen ist bis heute seine Leidenschaft. Das gibt ihm Raum, nachzudenken: Über gesellschaftliche und philosophische Themen, über Literatur. Dass er beruflich in der Finanzökonomie arbeitet, wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater begann seine Laufbahn als Banker. Später, als Rektor der Bethmannschule, einer Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung, lehrte Adrians Vater Wirtschaftspädagogik an der Goethe-Universität. Die Themen der Finanzwelt sind dem Sohn von Kindesbeinen an vertraut.

Tobias Adrian selbst studierte an der Dauphine- Universität in Paris, an der Goethe- Universität in Frankfurt, an der London School of Economics und promovierte schließlich am renommierten Massachusetts Institute of Technology, MIT in Boston. Danach startete er seine Karriere in den USA und fing bei der US-Notenbank in New York an. Mittlerweile ist Tobias Adrian auch Staatsbürger der USA. Zur Goethe-Universität pflegt er nach wie vor engen Kontakt. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats im Forschungszentrum SAFE am House of Finance.

Herr Dr. Adrian, Sie sind seit Anfang 2017 Chef-Finanz-Volkswirt des Internationalen Währungsfonds IWF und beraten Länder u.a. in der Geldpolitik. In welchem Zustand befindet sich die Welt?

Die gute Nachricht lautet, dass der globale Wirtschaftsaufschwung Anlass zur Hoffnung auf eine nachhaltige Erholung gibt, so dass eines Tages die Normalisierung der Geldpolitik möglich sein wird. Auch ist das globale Finanzsystem in seinem Kern stärker geworden. Und auf globaler Ebene tragen günstige Finanzkonditionen und lebhafte Märkte zur Förderung des Wachstums und zur Wiederherstellung der Bilanzen bei. Wir dürfen uns in diesem positiven Umfeld aber nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wenn wir nichts unternehmen, könnten die Anfälligkeiten, die gerade im Wachsen begriffen sind, die globale Erholung aus der Bahn werfen und das Wachstum in Zukunft gefährden.

Die Wirtschaftswelt hört immer ganz genau hin, wenn Fachleute des IWF Vorhersagen über die Entwicklungen der Weltwirtschaft veröffentlichen. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

Die Arbeit des IWF hat direkten Einfluss auf unsere 189 Mitgliedsländer. Meine Abteilung (die Abteilung Geldund Kapitalmärkte) ist spezialisiert auf Geldpolitik und Geldwirtschaft, Stresstests, Regulierung und Aufsicht über den Finanzsektor, Abwicklung von Banken und Bewertungen zur Finanzstabilität.

Es ist eine große Motivation für mich zu wissen, dass die Arbeit meiner Institution den Menschen in unseren Mitgliedsländern praktische Unterstützung gewährt. Unsere Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zu vielen politischen Entscheidungen und Regelwerken unserer Mitglieder.

Ihre Analysen sind international hoch angesehen, ob es sich um Geldpolitik oder Finanzmarktthemen handelt. Was fasziniert Sie an dieser Branche?

Das Finanzsystem ist das Kreislaufsystem der internationalen Wirtschaft. Es unterstützt den Fluss von Investitionen und Liquidität in der Welt, untermauert den Welthandel und ermöglicht wirtschaftliches Wachstum. Viele Studien haben gezeigt, dass Fortschritt in der Finanzentwicklung mit dem Fortschritt in der wirtschaftlichen Entwicklung verknüpft ist. Leider kann es in diesem Kreislaufsystem immer wieder zu einem plötzlichen Stillstand kommen. Der IWF ist wie ein Arzt. Er muss Vorbeugemaßnahmen verordnen, überwachen, regelmäßig umfassende Bewertungen vornehmen, angemessene Regulierung sicherstellen und nötigenfalls Krisenintervention betreiben. Ich bin fasziniert von der Aufgabe, das Weltwirtschaftssystem gesünder und belastbarer zu machen.

Gibt es in zehn Jahren noch Bargeld?

Das ist eine sehr aktuelle Frage angesichts der gegenwärtigen Faszination mit Kryptowährungen wie Bitcoin. Diese Kryptowährungen bieten jetzt neue Alternativen zu Zahlungssystemen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sie »Bargeldwährungen « komplett verdrängen werden, aber neue Finanztechnologien – oder Fintech – werden Folgen für die verschiedensten Finanzdienstleistungen haben.

Sie machten Ihr Abitur am Humboldt- Gymnasium in Bad Homburg in Mathematik. War Ihnen das mathematische Abstrahieren in die Wiege gelegt?

Genau genommen habe ich zunächst Literatur und Mathematik gemacht. Ich glaube, dass man für einen wohlgerundeten Ansatz als Ökonom Elemente der literarischen wie der mathematischen Vorstellungskraft braucht. Viele Ökonomen sehen sich selbst als Wissenschaftler – wie Physiker – und abstraktes Denken ist für unseren Beruf auch wichtig. Eine Säule der Volkswirtschaft ist aber auch die Bewertung menschlichen Verhaltens, und da sind Kenntnisse aus Disziplinen wie Literatur und Psychologie gefragt. So lässt sich die Entstehung der »Verhaltensökonomie« erklären, die sich auf Psychologie und Soziologie stützt.

Zunächst studierten Sie an der Goethe- Universität Frankfurt Volkswirtschaft. Welche Erinnerung haben Sie an diese Studienzeit?

Ich habe natürlich äußerst schöne Erinnerungen an diese Zeit. Für mich war das wie eine Heimkehr, denn davor hatte ich drei Jahre lang in Frankreich studiert. Ich war froh, wieder in meine Heimatstadt und meine Heimatregion zurückzukehren. In meiner Frankfurter Zeit habe ich viele Freundschaften geschlossen, die großenteils noch heute bestehen.

Gibt es eine besondere Verbindung zur Goethe-Universität oder ein Schlüsselerlebnis, das Ihre internationale Karriere begründete?

An der Goethe-Universität arbeitete ich an meiner Diplomarbeit über internationalen Handel. Ich war fasziniert von der Rolle und Geschichte des Internationalen Währungsfonds und interessierte mich immer mehr für das internationale Währungssystem. Damals befasste ich mich zum ersten Mal eingehend mit den Risiken globaler Finanzströme – und somit den Risiken für die globale Finanzstabilität.

Weitere Stationen Ihrer akademischen Ausbildung sind Paris, London und Massachusetts. Zuletzt arbeiteten Sie für die Federal Reserve Bank of New York. Was war der Antrieb für eine internationale Karriere?

Ich hatte immer schon eine internationale Perspektive und internationales Bewusstsein. Meine Zwanziger waren bestimmt von Reisen um die Welt, um andere Kulturen und Lebensweisen kennenzulernen. In den Wirtschaftswissenschaften habe ich mich stets für Fragen der internationalen Politik interessiert – mit einer eher global als landesspezifisch ausgerichteten Perspektive. Nach meinen Studienjahren war die New York Fed eine besonders interessante Erfahrung, mit einer starken Verbindung in alle Welt.

Mathematikern und Wirtschaftswissenschaftlern wird eine starke musikalische, künstlerische Ader nachgesagt. Trifft das auch auf Sie zu?

Ich spiele Saxofon, hauptsächlich klassische Musik aus dem Barock und der Romantik, aber ich höre auch moderne und elektronische Musik.

Was ist Ihr Lieblingsort in New York?

Die New York Public Library. Das ist ein majestätisches Architekturdenkmal. Und es gibt einen nostalgischen Grund dafür: Dort haben wir unsere Hochzeit gefeiert.

Ihr Lieblingsplatz in Frankfurt und/oder Bad Homburg?

Die Orte, an die ich am liebsten zurückdenke, sind in Kronberg, wo ich geboren wurde.

Was machen Sie als Ausgleich zu Ihrer anspruchsvollen Tätigkeit?

Ich versuche, Beruf und Privatleben in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten und körperlich fit zu bleiben. Sport aller Art ist mir wichtig, und Lesen. Und ich spiele gern mit unserer zwei Jahre alten Tochter! Wenn ich nicht für den IWF auf Reisen bin, verbringe ich viel Zeit mit meiner Familie. Am Wochenende sind wir oft beim Wandern oder auf Ausflügen. Meine Frau und ich gehen gern Skilaufen oder Snowboarden, und unsere Tochter hat bereits angekündigt, dass sie auch bald auf die Bretter steigen will.

Würden Sie sich als heimatverbunden beschreiben? Wo sind Sie zu Hause?

Ich fühle mich verbunden mit meinen Freunden und meiner Familie. Ich fühle mich dort zu Hause, wo meine Freunde und meine Familie sind.

Die Fragen stellte Heike Jüngst

Dr. Tobias Adrians ausführliche Antworten auf Wirtschaftsfragen im Webmagazin der Goethe-Universität: http://tinygu.de/Tobias-Adrian