Stefan Hantel

An die Goethe-Universität ist Stefan Hantel gekommen, um Kunstgeschichte zu studieren. Eigentlich. Stattdessen gerät er gleich in seinem ersten Semester in den Unistreik. Er malt Protestplakate, organisiert Partys, sorgt für die Musik, legt mit Erfolg Platten auf. Im Frankfurter Club »Lissania« bekommt Stefan Hantel seine Chance als DJ. Findet seinen eigenen Stil. Professionalisiert sich. Noch ein paarmal versucht er es mit einem Studium. Darmstadt. Offenbach. Berlin. Paris. Dort will er Grafikdesigner werden wie sein Vater. Die französische Musikszene interessiert ihn mehr. Nach einem Jahr ist klar: Stefan Hantel bleibt bei der Musik. Er liebt es, mit verschiedenen Stilen und Musikrichtungen zu experimentieren. Dabei geht Hantel geradezu wissenschaftlich vor. Verschwindet wochenlang in Bibliotheken, recherchiert, wühlt sich tief in die Materie ein. Bis heute ist das seine Arbeitsweise. Hinterfragen liegt ihm. Er pflegt einen akademisch-intellektuellen Sprachduktus: Stefan Hantel macht nicht einfach eine Party, ein Konzert, er »kuratiert « es.

Aufgewachsen ist der mittlerweile 50-Jährige im hessischen Maintal als Kind von 68er-Eltern. Antiautoritär erzogen in einem kreativen Haushalt ohne wirkliche Regeln – das prägt und macht ihn zu einem eigenwilligen Kopf. Die Schule ist eine Katastrophe, das Abitur schafft er trotzdem irgendwie. Es gab Lehrer, die sein Potenzial erkannten und förderten. Stefan Hantel kann – wenn man ihn nur lässt. Er hat gerne freie Hand. Und trifft im Laufe seiner Karriere immer wieder auf Menschen, die ihm das ermöglichen. Elisabeth Schweeger etwa. Die damalige Intendantin des Schauspiels Frankfurt. Sie holt Hantel mit seiner Idee des Bucovina Clubs ins Haus. Hantels Veranstaltungen sind der Renner, das Schauspiel avanciert damit zur hippen In-Location, er selbst wird bundesweit bekannt. Heute spielt er auf Bühnen der ganzen Welt.

Stefan Hantel ist in Frankfurt geblieben. Er lebt und arbeitet hier. Das Bahnhofsviertel ist sein erweitertes Wohnzimmer. Dem Musiker gilt die Stadt als idealer Schmelztiegel: international und kulturell eine Schnittstelle, klein, aber trotzdem eine Metropole. Dynamisch. Hier könne er noch etwas mitgestalten. Sagt Stefan Hantel, der leidenschaftliche Europäer.

Herr Hantel, als DJ Shantel sind Sie ein international renommierter DJ und Musikproduzent. Ihrem Publikum gelten Sie aber in erster Linie als Erfinder des Balkan-Pop. Stört Sie das?

Auf keinen Fall. Mit der Neuinterpretation des Bucovina-Sounds bin ich ja sehr erfolgreich geworden. Das ist eine zeitlose Musik, die immer noch gut ankommt: Balkanklänge gemixt mit Popmusik. Wenn ich diese Musik gemeinsam mit dem Bukovina Club Orkestar auf die Bühne bringe, gerät das Event zu einer gewaltigen Tanzparty. Als DJ bin ich weltweit unterwegs, kuratiere jährlich mehr als 250 Konzerte. Gerade komme ich aus Oslo. Tatsächlich aber produziere ich mit meinem Label vor allem verschiedene Bands aus Osteuropa, Russland, Israel, den USA und Lateinamerika.

Was war oder ist Ihr wichtigster Erfolg?

Disko Partizani. Das war und ist ein Riesending. Manchmal Fluch und Segen. Die Leute mögen das einfach und wollen es immer wieder hören, also spiele ich das dann auch. Persönlich aber hat sich mein Stil natürlich weiterentwickelt. Man kann nicht immer dasselbe machen.

Wohin entwickelt sich derzeit Ihr Musikstil?

Ich muss eine Musik machen, die eine Geschichte erzählt. Im Moment interessiert mich das, was man weitläufig als Weltmusik bezeichnet. Da gibt es viele sehr spannende Musikstile. In Israel. In Südamerika. Und es gibt vor allem ganz unglaublich gute und faszinierende Musiker. Ich selbst entwickle ja Musik am Computer. Diese Ideen den Bands zu vermitteln und gemeinsam daraus etwas Neues zu entwickeln, Genregrenzen zu überschreiten, darin liegt meine Begabung. Das macht unglaublich Spaß. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Ich recherchiere sehr lange und tief gehend für meine Projekte, lese viel, setze mich mit der Materie wissenschaftlich auseinander.

Wie kam es zu dieser steilen Karriere?

Steil war die nicht. Ich habe ja schon als Schüler angefangen aufzulegen. Als ich dann nach Frankfurt gezogen bin, war der Club Lissania im Frankfurter Bahnhofsviertel meine Spielwiese. Das Lissania war nach außen hin eine Sprachschule, aber eigentlich gab es da alles. Geldwechsel, Stundenhotel. Dort mixte ich Electro, Future Funk und Rare Grooves. Fand meinen eigenen Stil. Downbeat. Ich habe dort auch einiges mit Kruder und Dorfmeister zusammen gemacht. Die standen ja für diese Richtung. Techno allerdings fanden wir total daneben. Techno war Proll. Wir waren Avantgarde. Zu uns kamen die Tänzer aus dem Schauspiel, Künstler, Musiker, Kreative. Als das Samplen und andere digitale Technologien aufkamen, gab es plötzlich Plattenverträge und entsprechende Budgets, Musik zu machen. Richtig ernst genommen wurde ich aber erst mit Mitte dreißig. Mit den Bucovina- Club-Abenden im Schauspiel fing das an.

… mit den traditionellen Rhythmen des Balkan …

Schon als Jugendlicher wollte ich nach Czernowitz, die Heimat meiner Großeltern. Als ich einmal in Tel Aviv per Zufall mit der interkulturellen und multiethnischen Musik des Balkan in Berührung kam, stand fest, dass ich dorthin fahre. Das habe ich dann direkt gemacht. Vor Ort aber bestätigten sich die romantischen Erzählungen vor allem meiner Mutter nicht. Die kulturelle und pluralistische Vielfalt von Traditionen existiert in Czernowitz nicht mehr. Meine Musik ist deshalb nicht traditionell, sondern meine persönliche Interpretation der Bucovina. Sozusagen eine Neuerfindung des Mythos.

Sie sagten einmal, Sie hassten inzwischen den Osten, da viele osteuropäische Länder in den letzten Jahren stark nach rechts abgedriftet sind. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?

In Serbien bin ich am Rande eines Festivals in eine Massenschlägerei geraten, bei der sich die Menschen quasi totgeschlagen haben. In der Türkei wurde ich aus fadenscheinigen Gründen zwölf Stunden am Flughafen festgehalten. Das ist schwierig. Vor allem für die Musiker, mit denen ich zusammenarbeite, tut mir das sehr leid. Inzwischen aber machen sich leider auch in Deutschland wieder rechtsreaktionäre und rechtsnationalistische Strömungen breit. Deswegen müssen wir jetzt hier in Deutschland Zeichen setzen gegen rechte Gewalt und Rechtspopulisten. Wir müssen jetzt den Mund aufmachen. Das kann ich als Musiker, indem ich zum Beispiel bei »Rock gegen rechts« auftrete. Musik erzeugt Emotionen, ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Das ist wichtig in der aktuellen Situation. Zu spüren und zu zeigen: Wir sind mehr.

Sie sind ein sehr politischer Mensch. Zwischenzeitlich wollten Sie mal Oberbürgermeister von Frankfurt werden, zogen Ihre Kandidatur wieder zurück. Warum?

Ganz einfach: weil ich bemerkt habe, dass ich mit meiner Popularität viel mehr Menschen erreiche, als wenn ich in den Sachzwängen der Behördenstrukturen verschwinde. Ich will kein Grüßaugust sein. Wenn ich mich als Shantel öffentlich äußere, bewirkt das mehr denn als Oberbürgermeister.

Oberbürgermeister Peter Feldmann hat Ihnen einen Beratervertrag angeboten. Warum?

Peter hat gesehen, dass ich näher an den Menschen dran bin, als er es sein kann, ich die Leute mit ihren Sorgen und Nöten in den Stadtvierteln verstehe. Ich mache ihn auf Missstände aufmerksam: auf den Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt, darauf, dass viele identitätsstiftende Maßnahmen wie Straßenfeste oder kleine Anwohner-Cafés reglementiert oder abgebügelt werden. Die Soziotope trocknen so aus. Das ist eine fatale Entwicklung. Das kann eine Stadt auch gefährlich werden lassen. Wenn es keine öffentliche soziale Kontrolle auf belebten Straße gibt, entstehen mehr Kriminalität und Gewalt. Ich möchte eine menschliche Urbanität für Frankfurt, die alle einschließt. Vom Banker bis zur Elterninitiative.

In Paris studierten Sie Grafikdesign, in Frankfurt Kunstgeschichte und Soziologie. Was verbindet Sie mit der Goethe-Universität?

Ich verbinde mit der Goethe-Universität vor allem die Frankfurter Schule der kritischen Soziologie. Adorno, Habermas. Das hat meine Studentengeneration geprägt. Die heutigen Studierenden werden später einmal die Goethe-Uni als Uni der Wirtschaftswissenschaften und Jura erinnern. Alles hat seine Zeit, ob man das mag oder nicht. Für mich ist die Goethe-Universität aber auch eine Uni, die in der Wahrnehmung der Frankfurter nicht stattfindet. Ich würde mir wünschen, die Uni positioniert sich mehr nach außen. Schön wären Veranstaltungen auf dem Campus, die ein Muss für die Frankfurter sind.

Das Interview führte Heike Jüngst