Der Physiologe Prof. Dr. Ian Wilmut, Leiter der Abteilung Genexpression und Entwicklung des Roslin-Instituts in Roslin bei Edinbugh, Großbritannien, erhält den mit insgesamt 100.000 Euro dotierten Paul Ehrlich-und Ludwig
Damstaedter-Preis 2005 für seine bahnbrechenden Experimente, die zum Klonen eines
Säugetiers führten. Dies beschloss der wissenschaftliche Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung. In der Begründung heißt es: „Professor lan Wilmut und sein Forschungsteam haben
im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit einen Zellkern aus vollständig differenzierten
Zellen in zuvor entkernte, unbefruchtete Eizellen eines Schafs übertragen. Sie haben dadurch
eine totipotente Stammzelle gewonnen, die nach dem Einpflanzen in ein konditioniertes
weibliches Schaf einen Embryo hervorbrachte, der sich in ein normales Schaf entwickelte.
Diese wissenschaftlichen Versuche haben die Visionen in der Embryologie grundlegend
verändert. Neue Grenzen in der Tierzucht und in der Humanmedizin werden die Folge sein.
Es steht auch für Wilmut außer Zweifel, dass das reproduktive Klonen beim Menschen
verboten sein sollte." Die Auszeichnung, die am 14. März 2005 in der Frankfurter Paulskirche verliehen wurde, gehört zu den höchsten und international renommiertesten Preisen, die in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Medizin vergeben
werden.
Vorgeschichte
Die verzweigte Vorgeschichte der Dolly-Arbeit führt einige Jahrzehnte zurück, dem die ldee
der Kerntransplantation, eine Grundtechnik des Klonierens, entwickelte bereits 1938 der
deutsche Zoologe Hans Spemann (1869-1941, Medizin-Nobelpreis 1935), der durch seine
Versuche zu Embryonalentwicklung von Amphibien weltbekannt wurde. Doch erst 1951
gelang es Robert W. Briggs und Thomas J. King am lnstitut für Krebsforschung in
Philadelphia das „Spemann' sche Experiment", den Kern einer Eizelle durch den einer
Körperzelle zu ersetzen, erstmals durchzuführen. Zwar ließen sich die Eizellen mit dem
ausgetauschten Kern zur Teilung anregen, reiften jedoch nicht bis zum erwachsenen Tier
heran. Dies schaffte erst John B. Gurdon, damals an der Universität Oxford, heute in
Cambridge, im Jahr 1963 beim Krallenfrosch "Xenopus laevis" - allerdings nur, wenn die
Spenderkerne von sehr frühen Embryonalzellen stammten. Drei Jahre später klonierte er
erstmals Kaulquappen aus Darmwandzellen erwachsener Krallenfrösche. Für seine
wissenschaftlichen Leistungen auf diesem Gebiet wurde Gurdon zusammen mit Torbjom
Caspersson vom Karolinska-Institut in Stockholm 1977 mit dem Paul Ehrlich-Preis
ausgezeichnet. 1986 klonierte Sten W. Willardsen am lnstitut für Tierphysiologie in
Cambridge, einem Vorläufer des 1993 gegründeten Roslin-Instituts, dann das erste Säugetier.
Bis zu Geburt von Dolly war allen erfolgreichen Klonierungen von Säugern eines
gemeinsam: Die Spenderkerne stammten aus sehr frühen Embryonen. Dies hat einen
einfachen Grund: Zwar verfügen bis auf wenige Ausnahmen alle Zellen eines erwachsenen
Organismus über die komplette Erbinformation; doch die meisten Gene sind abgeschaltet,
denn die Zelle benutzt nur die Gene, die für die Spezialaufgabe des jeweiligen Gewebes im
Körper nötig sind. Einer derart ausdifferenzierten Zelle wieder die Totipotenz ihrer
embryonalen Vorläuferzelle zu verleihen, ist lan Wilmut und seinen Kollegen bei Dolly
gelungen.
Die Wissenschaftler entkernten eine Eizelle und transplantierten darin den Kern einer
Euterzelle, die aus einem trächtigen Schaf stammte. Das Plasma der entkernten Eizelle
programmierte dann das implantierte Genom so um, dass es wieder totipotent wurde, das
heißt, alle Gene waren wieder aktiv. Der sich im Reagenzglas entwickelnde Embryo wurde
nach sechs Tagen einer Leihmutter implantiert, die zu einer anderen Art als der Kernspender
gehörte. So wurde sichergestellt, dass das schließlich geborene Lamm schon äußerlich
erkennen ließ, dass es mit dem Tier, das es ausgetragen hatte, nicht verwandt war. Analysen
der Erbsubstanz, der DNA, bestätigten dieses Ergebnis.
Der für dieses Experiment betriebene Aufwand war beträchtlich: Über 400 Eizellen, von
hormonell stimulierten Schafen entnommen, wurden manuell entkernt, mit „Spenderkernen"
versehen und 277 so entstandene Embryonen in vorläufige Leihmütter eingesetzt. Nur 29
dieser Embryonen befanden sich eine Woche später im physiologisch erwarteten
Entwicklungsstadium und konnten in insgesamt 13 endgültige Leihmütter verpflanzt werden.
Am Ende wurde ein einziges gesundes Lamm geboren -Dolly. Sechs Jahre später, am 10.
April 2003, musste das Schaf wegen einer Lungenkrankheit, die eigentlich nur bei älteren
Tieren auftritt, eingeschläfert werden. Ob sein früher Tod mit seinem Ursprung als Klon-
Schaf zusammenhing, ist unklar.
Dolly war das Ergebnis eines erfolgreichen Experiments, das bestimmte experimentelle
Prämissen bestätigte und eine ungleich größere Zahl wissenschaftlicher Fragen neu aufwarf:
Welche Faktoren steuern die Zelldifferenzierung während der Embryonalentwicklung? Wie
kann diese Differenzierung unter bestimmten Umständen wieder aufgehoben werden? Diese
Fragen sind insbesondere für die Krebsforschung hochinteressant, da Tumorgewebe dadurch
gekennzeichnet ist, dass es von seinem ursprünglichen genetischen Programm abweicht und
teilweise embryonale Eigenschaften, zum Beispiel die Teilungsfähigkeit, zurückerlangt.
„Damit war Dolly für die Grundlagenforschung ein sehr bedeutender Durchbruch, vor allem
für die künftige Stammzellbiologie", so Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein, Leiter des lnstituts
für Klinische und Molekulare Virologie der Universität Erlangen-Nürnberg, und Mitglied des
Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung.