Der Biochemiker Dr. J. Craig Venter aus Rockville in Maryland, USA,
erhielt den Paul Ehrlich und Ludwig Darmstaedter-Preis 2002. Der mit 120.000 Mark dotierte
Preis wurde verliehen für „die Entdeckung und die Etablierung der automatisierten
Sequenzierung von cDNA-Bibliotheken und für die Sequenzierung von verschiedenen
Organismen - von kleinsten Mikroben bis zum Menschen". Dies beschloss der
wissenschaftliche Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung. Venters Beitrag zur Genomik hat
Auswirkungen auf nahezu jeden Aspekt in Biologie und Medizin.
Vor Craig Venters Entwicklungen waren Projekte zur Entdeckung von Genen und
Sequenzierung von Genomen langsam und mühselig. Venter hatte die Vision - kombiniert
mit großem Können auf den Gebieten der Sequenzierung und Bioinformatik - andere Wege
zu beschreiten: Bereits 1988 während seiner Tätigkeit bei den Forschungsinstituten der
amerikanischen Gesundheitsbehörden, den National Institutes of Health, in Bethesda,
Maryland, erkannte er als einer der ersten das Potenzial der automatisierten randomisierten
cDNA-Sequenzierung und nutzte es für die schnelle Genomanalyse. Die cDNA enthält im
Gegensatz zur genomischen DNA nur die genetische Information, die in mRNA
umgeschieben wird und als Matrize für die Proteinsynthese dient.
Schrotschuss-Sequenzierung des Genoms
Bei seiner neu entwickelten Methode verwendete Venter sequenzierte sehr kurze cDNA Abschnitte,
die er Expressed Sequence Tags (EST) nannte. Mithilfe dieser "Tags" kann jedes
einzelne Gen im Genom identifiziert werden. Darüber hinaus ermöglichen sie die Kartierung
von Genen auf Chromosomen (Bestimmung ihrer Position auf dem Chromosom) sowie die
Isolierung vollständiger cDNA-Klone. Diese enthalten die gesamte in cDNA umgeschriebene
mRNA eines Gens. Schon bald nutzte Craig Venter nicht nur einzelne ESTs, sondern alle
ESTs eines Organismus. Auf diese Weise gelang es ihm festzustellen, wo und welche ESTs
überlappen und wie diese in der richtigen Reihenfolge hintereinander angeordnet werden
müssen, um die komplette Sequenz eines Gens zu ermitteln. Diese Methode wurde unter der
Bezeichnung Schrotschuss-Sequenzierung des Genoms bekannt und wird heute von
Genomforschern auf der ganzen Welt angewendet.
Mitte der neunziger Jahre erforderte die zunehmend große Zahl an ESTs die
Weiterentwicklung von Computermethoden zu Analyse der großen Datenmengen. Craig
Venter und seine Kollegen entwickelten Verfahren und Programme zur Verarbeitung der
Daten. Er und sein Team wendeten die neu gewonnenen Kenntnisse erstmals beim Bakterien
Haemophilus influenzae an und veröffentlichten 1995 -als weltweit erste -die gesamte
Genomsequenz eines Organismus. Danach sequenzierten Venter und seine Kollegen die
Genome der wichtigsten Pathogene des Menschen, darunter die Erreger von Malaria,
Tuberkulose, Magengeschwüren, Hautinfektionen, Lungenentzündung und Lyme-Borreliose.
Seine Methode ist heute Standard in der Genomsequenzierung von Mikroorganismen. Venter
spielte ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Genomsequenzierung der ersten Pflanze
Arabidopsis thaliana.
Im März 2000 veröffentlichten Venter und seine Mitarbeiter - inzwischen bei Celera
Genomics Corporation, Rockville, Maryland - in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern
des Berkeley Drosophila Genomprojekts das komplette Genom -es enthält fast 14.000 Gene
- der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, seit Jahren eines der wichtigsten Tiermodelle in
der Forschung. Dies war ein Meilenstein, weil er den Nachweis erbrachte, dass sich die
Schrotschuss-Sequenzierung auch für Genome komplexer Organismen eignete. Kurz danach
gelang es Venter und seinen Mitarbeitern, die Sequenzierung des menschlichen Genoms mit
der Methode der zufälligen Schrotschuss-Sequenzierung zu vervollständigen. Dieses umfasst
rund drei Milliarden Bausteine, eine Leistung, die noch nicht einmal von den optimistischsten
Visionären fünf Jahre zuvor für möglich gehalten worden war.
Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms war parallel von der „Human Genome
Organization" (HUGO) vorangetrieben worden, einem internationalen Wissenschaftler-
Konsortium, das im Gegensatz zu Venters kommerziellen Unternehmen Celera Genomics mit
öffentlichen Forschungsgeldern gefördert wird und seine Datenbank öffentlich zugänglich
macht; auch Craig Venter` hat sie genutzt. Beide Gruppen publizierten ihre Ergebnisse
zeitgleich in verschiedenen Fachzeitschriften im Februar 2001. Doch die eigentliche Arbeit
beginnt für die Genforscher erst jetzt, denn die Bedeutung der meisten Gene und ihrer
Genprodukte ist bisher nicht bekannt. Auf der Basis der Sequenzdaten werden täglich neue
Informationen über Gene gewonnen, die für Erkenntnisse zur Entwicklung und Funktion
eines Organismus von Bedeutung sind. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf der
ganzen Welt versuchen derzeit, die Funktion der von den Genen kodierten Proteine
aufzuklären, um Krankheiten besser verstehen und maßgeschneiderte Medikamente für neue
Therapieansätze herstellen zu können.