​Prof. Dr. Hande Birkalan-Gedik

Dr. Hande Birkalan-Gedik

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Forschungsprojekt: Traveling Theories: Die Geschichte der Anthropologie in der Türkei (1850 - 1950)

Prof. Dr. Hande Birkalan-Gediks Forschungsschwerpunkte sind Kulturanthropologie, Folkloristik und Gender Studies. Im Anschluss an ihr Studium an der Bogaziçi Unviersity Istanbul absolvierte sie ein M.A./Ph.D.-Programm an der Indiana University Bloomington in den USA am Folklore Institute und Department of Anthropology. Sie unterrichtet Themen wie Migration, Gender, Nationalismus, Raum und Narrative, feministische Theorie und Methoden, Forschungsmethoden, anthropologische Theorie und die Geschichte der Folklore – unter anderem in den USA, Europa (vor allem in Deutschland und Österreich), Zentralasien, dem Kaukasus und dem Nahen Osten.

Zurzeit arbeitet Birkalan-Gedik in einer DFG-eigenen Stelle an dem Forschungsprojekt "Traveling Theories: Die Geschichte der Anthropologie in der Türkei (1850 - 1950)" , an der Goethe Universität Frankfurt, wo sie früher Gastprofessorin war. Sie hat Lehrveranstaltungen über den Islam und die Frauen; Geschlecht und Migration, Islam und Geschlecht im transnationalen Raum und Geschlechterregime in der Türkei; Vaterschaftsprogramme und Väter, Männlichkeit und Vaterschaft gehalten.

Sie ist Mitherausgeberin der Sammlung Gelenekten Gelecege Antropoloji (Anthropologie von der Vergangenheit bis in die Zukunft, 2005). Sie ist außerdem Herausgeberin der Publikation Sinirlar, Imajlar, Kültürler (Grenzen, Bilder, Kulturen, 2013), die einen Artikel von Birkalan-Gedik über die Türkei enthält, und Gastherausgeberin einer Sonderausgabe zum Thema Folkloristik der Zeitschrift Folklor/Edebiyat (Folklore/Literatur, 2000). Das aktuelleste Buch, Feminist Antropoloji: Türkiye'den ve Dünyadan Kültürlerarasi Perspektifler (Feministische Anthropologie: Interkulturelle Perspektiven aus der Türkei und der Welt), soll 2020 erscheinen.
  • Theorien und Methoden: kulturanthropologische Feldforschung, Feministische Theorien und Methoden. Nationalismus, Postkolonialismus. Performance Theory. Politische Anthropologie, transnationale Migration und Transnationalität, Migration und Integration.
  • Forschungsaufenthalte in: Türkei und Deutschland; Europa, USA, Zentralasien, Mittlerer Osten.
  • Spezialisierung in Kulturanthropologie und Folklore: Interaktionen der türkisch- und deutschsprachiger Sozialwissenschaft. Fachgeschichte der Kultur-Anthropologie und Volkskunde. World anthropologies. Ethnographien der modernen Türkei. Anthropologie der Stadt/Urbane Praktiken. Islam und Gender. Ethnizität und Frauen, Aleviten in Deutschland.
  • Genres: Gender und Kunst, oral history, Erinnerungskultur, Narrative- und Materialkultur.
DFG-Projekt: "Traveling Theories": Die Geschichte der Anthropologie in der Türkei (1850-1950)


Das Vorhaben befasst sich kritisch mit der Geschichte der Anthropologie in der Türkei zwischen 1850 und 1950. Die Anthropologie in der Türkei zeichnet sich durch einen Eklektizismus aus: Sie kombiniert evolutionäre, nationalistische und moderne Paradigmen und formt sie zu einer komplexen nicht westlichen anthropologischen Tradition.

Im Kontext dieses Vorhabens ist Anthropologie als Sammelbegriff zu verstehen, der neben der Disziplin Anthropologie auch die Disziplinen der Volkskunde und Ethnologie bezeichnet. Die sich herausbildende Landschaft der Anthropologie und ihre Besonderheiten werden in der Türkei geprägt durch Nationale Projekte, spezifische intellektuelle Konfigurationen und die politischen Konstellationen. Der Eklektizismus der Anthropologie in der Türkei geht unter anderem zurück auf den soziokulturellen Wandel, der sich im ausgehenden osmanischen Reich und in der frühen türkischen Republik in den politischen und kulturellen Eliten der Zeit vollzieht. Bislang ist die türkische Anthropologie im Rahmen der Geschichtsschreibung der anthropologischen Disziplinen aus zwei Gründen weitestgehend übersehen worden. Zum einen vermochte die westliche Theorie und Praxis, durch ihre Dominanz die „anderen“ Anthropologien zu vernachlässigen. Die Türkei wurde damals epistemologisch nur als „anthropologisches Feld“ betrachtet. Ethnographisches Wissen sei dort lediglich zu erheben gewesen. Aber die Türkei galt nicht als Ort eigenständiger anthropologischer Wissensproduktion. Zum anderen hatten türkische Anthropologen selber Anteil an dieser Unsichtbarkeit. Sie versäumten, die Einzigartigkeit ihrer disziplinären Entwicklung zu erkennen und sich in positiver Weise auf die daraus folgenden Besonderheiten zu beziehen.

Um diesen Facetten der Unsichtbarkeit türkischer Anthropologie Rechnung zu tragen, nimmt das Vorhaben die analytische Perspektive der „world anthropologies“ ein. Dieser Ansatz betont in Bezugnahme auf postkoloniale Theorien die ungleiche Verteilung von Macht als Bedingung für die ungleiche Entwicklung der Anthropologien in unterschiedlichen nationalen Kontexten. Vor diesem Hintergrund vermag das Projekt die Eigenständigkeit der Traditionen in Forschung und Lehre in der türkischen Anthropologie zur Geltung bringen. Eine zentrale Annahme ist hierbei, dass die türkische Anthropologie gerade durch „traveling theory“ (Said 1982) florierte. Hierbei verhandelte die türkische Anthropologie seit den 1850ern verschiedene europäische ethnologische Traditionen und modifizierte sie in kreativer Weise. Durch diese originären Perspektive auf die dynamische anthropologische Tradition in der Türkei trägt das Vorhaben zu einer dezentralisierten anthropologischen Geschichtsschreibung bei. Anhand von fünf prägenden Momenten in der Fachgeschichte der türkischen Anthropologie arbeitet das Vorhaben die Übergänge und Umbrüche in den Bedeutungen und Verwendungen zentraler Begriffe der Disziplin heraus, wie beispielsweise Rasse, Volk und Nation.

Abgeschlossene Projekte

Projektstitel: Andreas David Mordtmann und die Ethnologie des 19. Jahrhunderts in der Türkei: Umdeutung der Geschichte der Anthropologie vor der Spaltung in Volkskunde und Völkerkunde.
Finanziert durch: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Gastwissenschaftlerin im Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie.
Projektdauer: Wintersemester 2018/2019
Projektübersicht: Die Bezeichnungen Ethnologie, Kulturanthropologie und Volkskunde, die heute im deutschsprachigen Raum genutzt werden, sind das Ergebnis komplexer Aushandlungsprozesse. Wissenschaftler*innen verweisen auf das 18. und 19. Jahrhundert als kritische Epoche in der Geschichte der Disziplin (H.F. Vermeulen). Zu dieser Zeit wurden Begriffe wie „Mensch", „Rasse" und „Völker" zueinander in Beziehung gesetzt. Terminologien verwischt. Vor der Akademisierung der Anthropologie in der Türkei im Jahre 1925 haben zahlreiche Europäische Reisende bewirkt, dass die Ethnologie und das ethnographische Denken im Osmanischen Reich Einzug erhielten. Dazu zählte auch Andreas David Mordtmann der Ältere (1811-1879), der nach Istanbul reiste. Mordtmann war ein autodidaktischer Orientalist aus Hamburg und ein Schützling des gebildeten Staatsmannes Münif Pasa. Mordtmann lehrte Ethnologie und Ethnographie an der westlich-orientierten Fakultät für Politikwissenschaft „Mülkiye Mektebi" in Istanbul. Sein Student Osman Bey veröffentlichte seine Mitschriften, „Ilm-i Ahvâl-i Akvâm“ (Ethnologie), aus Mordtmanns Vorlesungen im Jahr 1884. Dies zeigt wie prägend sein Einfluss auf die türkische Ethnologie war. Die Veröffentlichung bezieht sich auf den Quelltext „Ilm-i Ahvâl-i Akvâm", die die Theorien und Grenzen in Verbindung zu Biographien, sowie sozialer und politischer Geschichte setzt. Der Quellentext untersucht außerdem das Wechselspiel zwischen Autor Osman Bey und seinem Lehrer Mordtmann, sowieso die Themenkomplexe Orientalismus, Volkskunde und Völkerkunde.
Wie sehr kann Mordtmann als Repräsentant der Deutschen Ethnologie seiner Zeit gesehen werden? Wie hat er seine Studierenden unterrichtet? Welche Darstellung finden Mordtmanns Begrifflichkeiten in „Ilm-i Ahvâl-i Akvâm“? Wie wurden andere fachliche Terminologien in der Türkei später verwendet?
Mordtmann war Zeuge des Verfalls des Osmanischen Reichs, als es dem (politischen und wirtschaftlichen) Druck des Westens mit den Tanzimat-Reformen (1839-1876) entgegnete. Seine Reisen und Theorien wirkten in zwei Richtungen: Mordtmann erzeugte Wissen über den “Orient", welches in Deutschland Anklang fand, und trug eine Perspektive der Ethnologie in die Osmanische Literatur. Das Projekt will die Bedeutung Mordtmanns erarbeiten und darüber hinaus neues Licht auf das wissenschaftliche Erbe der türkischen Ethnologie im 19. Jahrhundert werfen. Es zielt darauf ab, die bis dato vernachlässigte lange Geschichte des Deutsch-Türkischen wissenschaftlichen Austauschs neu zu beurteilen.

Projekttitel: Begegnung mit der Deutscher Volkskunde, Europäischen Ethnologie und Ethnologie: „Travelling Theory“ von `Volk´, `Kultur´ und `Rasse´ im Habitus der Türkischen Ethnologie (1850-1940).
Projektdauer: 2016-2017
Projektförderung: Stiftung zur Förderung der internationalen wissenschaftlichen Beziehungen der Goethe-Universität und Forschungsförderung durch den Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD)
Projektzusammenfassung: Das Projekt ist inspirieret von dem Begriff „traveling theory“ von Edward Said (Said 1984, 2012) und untersucht die Disziplinen Anthropologie, Ethnologie und Volkskunde in deren historischer Entwicklung im türkischen und deutschsprachigen Raum. Mit diesem Konzept wird es mir möglich den globalen Wissenstransfer in den Geisteswissenschaften zu beleuchten. Ich habe die beiden Fallbeispiele vergleichend untersucht und zahlreiche qualitative Expert*inneninterviews mit Anthropolog*innen und Ethnolog*innen in Deutschland und Österreich ausgeführt. Meine Forschungen zur Anthropologie, Ethnologie und Volkskunde im türkischen Sprachraum beruhen auf Literaturanalysen. Der Begriff „world anthropologies“ ermöglichte es mir, die hegemoniale Denkweise, der in diesem Bereich dominanten englischsprachigen Wissenschaft, deren akademischer Einrichtungen und hervorgebrachten Narrative, kritisch zu hinterfragen. Diese Art der wissenschaftlichen Dominanz negligiert die Eigenständigkeit nationaler Forschung in der Anthropologie. Durch die Verbindung „traveling theory“ mit dem theoretischen Ansatz der „world anthropologies“ war es mir möglich, das „globale“ Verständnis dieser Disziplin in all ihren Facetten zu reflektieren.

Projekttitel:Erzählung der transnationalen Vaterschaft: Drei Generation türkischer Väter mit Migrationshintergrund und ihre wechselnden Perspektiven und Erfahrungen in Deutschland
Projektdauer: 2014-2015
Projektförderung:TÜBITAK 2219 Stipendienprogram der Internationalen Post-Doktoranden-Forschung. University of Applied Sciences Frankfurt am Main - Research Fellow
Projektzusammenfassung: Seit den frühen 2000 Jahren gibt es in Deutschland eine anhaltende politische Debatte über die „neue Vaterschaft“. Die Studie ist eingebettet in die Debatte um „neue Vaterschaft“ und der Migration aus der Türkei nach Deutschland. Die Forschung konzentrierte sich auf die Erfahrungen von Vätern mit Migrationshintergrund, unter Beachtung einer intergenerationellen Perspektive wurden dabei die subjektiven Erfahrungen von Vätern aus der Türkei aus drei Generationen untersucht. Dies beinhaltete den Umgang der Männer mit den verschiedenen Ansprüchen der Vaterschaft ausgehend vom Deutschen Staat, verschiedenen NGOs und ihren Vaterschaftsprogrammen, deutscher Kultur und Gesellschaft, sowie von der entsendenden Gesellschaft und der Kultur der Türkei. Die Forschung stützte sich vor allem auf in die Tiefe gehenden Interviews mit Vätern und anderen Akteuren in den Vaterschaftsprogrammen, wie zum Beispiel deren Entwickler*innen, den umsetzenden Sozialarbeiter*innen und Forscher*innen. Darüber hinaus fanden die Methoden der Beobachtung und Teilnehmenden Beobachtung in ausgewählten Familien Anwendung. Insgesamt wurden 60 Interviews geführt, die sich in der Phase der weiteren detaillierten Analyse befinden.

Kürzlich erschienen
  • 2019. “A Chronology of Turkish Anthropological and Ethnological Sciences. Political Contexts and Disciplinary Movements." Link zur Encyclopédie internationale des histoires de l'anthropologie. Encyclopédie internationale des histoires de l'anthropologie
  • 2019. “A Century of Turkish Anthropological and Ethnological Sciences (c. 1850s-1950s)", in Bérose - Encyclopédie internationale des histoires de l'anthropologie, Paris." Encyclopédie internationale des histoires de l'anthropologie
  • 2019. “Über das Leben von Geflüchteten, oder Eine Notiz zur conditio humana." In Diaspora – Netzwerke globaler Gemeinschaften.  Pp:7-20. Caroline Y. Robertson-von Troha. Karlsruhe: Karslruher Institut für Technologie, ZAK und Ifa.
  • 2019. Limina / Muslim | Martyr | Masculine unipub.uni-graz.at "Muslim | Martyr | Masculine: Reading the AKPs “New" Nationalism  and the “Attempted Coup" on 15 July 2016 through Intersectional  Feminist Lenses." In: Limina. Jg.2. H. 1, S.109-137. Verlagsseite

Ältere Publikationen

  • 2018. “World Anthropologies: Turkey, Anthropology in." International Encyclopedia of Anthropology, v: 11, pp: 6620-6239. Wiley-Blackwell.Gen. Ed. Hilary Callan. Wiley Encyclopedia
  • 2018. The Role of Female Minstrels in the Transmission of Alevi Ritual Knowledge: Two Female Äftks from Kisas-Urfa, Turkey." In:   Transmission processes of religious knowledge and ritual practice in  Alevism between innovation and reconstruction. Johannes  Zimmermann/Janina Karolewski/Robert Langer (eds.), pp: 189-228.  Berlin: Peter Lang
  • 2018. “The Curious Travels of German Ethnology to Ottoman Turkey: Some  Preliminary Thoughts on Anthropology, Ethnology, and Folklore  (1850-ca.1950)." In: Fundstücke europäisch/ethnologischen Forschens:   Eine Festschrift für Helmut Eberhart. Burkhard Pöttler,  Katharina  Eisch-Angus, Johann Verhovsek (Hrsg.), pp:55 -68. Münster: Waxmann. Englisch | Türkisch
  • 2017 “Intersectionality and Difference: Women's Movement(s) and Feminist Theory in Post 1990s in Turkey."/“Kesisimsellik ve Farklilik: Türkiye'de 1990 Sonrasi Kadin Hareketi ve Feminist Teori." In: Women's Museums: Center of Social Memory and Place of Inclusion. Istanbul: ATV and Friedrich Ebert Stiftung.
  • 2011. “Anthropological Writings on Turkey: A Historical Overview." In: Urban Anthropology (39/3-4): 1-66.
  • 2009. “Türkiye'de Feminizmi ve Antropolojiyi Yeniden Düsünmek: Feminist Antropoloji Üzerine Bir Deneme." (Thinking About Feminism and Anthropology in Turkey: An Essay on Feminist Anthropology) Cogito Feminism Special Issue. (58): 285-338.

Kontakt

Prof. Dr. Hande Birkalan-Gedik
Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie
Johann Wolfgang Goethe Universität
Frankfurt am Main

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