Nachruf

Prof. Friedrich Kambartel

17.2.1935 - 25.4.2022

 

Am 25. April 2022 verstarb im Alter von 87 Jahren Friedrich Kambartel in Konstanz. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 war er Professor für Philosophie am Institut für Philosophie der Goethe-Universität. Zuvor lehrte Kambartel von 1966 bis 1993 an der Universität Konstanz, an deren Gründung als einer Reformuniversität er mitwirkte. In Konstanz hatte er als Gründungsdekan wesentlichen Anteil am Aufbau des Fach Philosophie. An die Goethe-Universität war Friedrich Kambartel als Nachfolger von Karl-Otto Apel berufen worden. Auch hier entfaltete er wichtige Aktivitäten im Interesse einer Reform des Studiums und der Struktur und Verankerung des Fachs Philosophie im Gespräch mit anderen Wissenschaften. Ein Resultat seiner hochschulpolitischen Aktivitäten in Frankfurt war die spätere Vereinigung der zuvor in getrennten Fachbereichen organisierten Fächer Philosophie, Geschichtswissenschaft und Ethnologie zum heutigen Fachbereich 8: "Philosophie und Geschichtswissenschaften", aus dem wichtige große Forschungsinitiativen wie der Sonderforschungsbereich 453 "Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel" und der Exzellenzcluster 243 "Die Herausbildung normativer Ordnungen" hervorgegangen sind.

Die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Arbeiten von Friedrich Kambartel lagen auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie und zielten auf eine zeitgenössische Theorie der Vernunft. In seinem Denken vermittelte Kambartel, der an der Universität seiner Heimatstadt Münster/W. neben Philosophie auch das Fach Mathematik sowie die Naturwissenschaften Chemie und Physik studiert hatte, den Beitrag der konstruktivistischen Wissenschaftstheorie der "Erlanger Schule" von Wilhelm Kamlah und Paul Lorenzen mit dem Gedanken einer Grundlegung der Wissenschaften in der Rationalität der Alltagspraxis. Kambartel gehörte zu jener zweiten Generation der "Erlanger Schule", die die Fragen der Wissenschaftstheorie mit Analysen der Wissenschaftsgeschichte, der Forschungspraxis in den zeitgenössischen Wíssenschaften selbst und Fragen der Analyse der Rationalität des menschlichen Handelns in unterschiedlichen Feldern unserer Praxis, auch der Praxis des politischen Handelns verbanden. In seinem Denken nahm Kambartel auf eine eigenständige Weise auch die Ansätze der Philosophie von Charles S. Peirce und Ludwig Wittgenstein, der Sprachphilosophie von John Austin und John Searle und der vom Frankfurter "Institut für Philosophie" maßgeblich ausgehenden Diskurstheorie von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas in seinen Beitrag zu einer systematischen Begründung von Philosophie heute auf.

Kambartels philosophische Überlegungen zielen auf eine umfassende Theorie der Vernunft, die er in der Lebenspraxis von uns Menschen verankert sieht und die er unter dem Begriff der "Kultur" zusammenfasst. Seine Vorschläge zur "Konstruktion der Wissenschaften" auf der Grundlage einer Philosophie, die er unter einem Primat der "praktischen Vernunft" entfaltete, führten Kambartel sowohl zu einer Kritik an einem im heutigen Wissenschaftssystem weit verbreiteten szientistischen Ideal von Wissenschaft als auch zu einer Kritik an einer abstrakten Rede der Philosophie von einer "Vernunft" unter Abstraktion von der Lebenspraxis.

Der Impuls der Philosophie von Friedrich Kambartel für die Debatten der Wissenschaftstheorie und für eine zeitgenössische Theorie der Vernunft  ist in der Forschung und Lehre am "Institut für Philosophie" der Goethe-Universität bis heute lebendig. So dankt das "Institut für Philosophie" seinem früheren Mitglied Friedrich Kambartel. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren, und zwar auch dadurch, dass wir die Einsichten seiner Philosophie auch in Zukunft präsent halten werden.

Für das Institut für Philosophie der Goethe-Universität:

Matthias Lutz-Bachmann,
Frankfurt am Main, den 8.Mai 2022