Gezeichnete Körper – Analyse und Kontextualisierung von prähistorischen Hautbildern auf andinen Mumien

Robin Gerst

Wann der Mensch begann, seinen Körper zu modifizieren, ist nicht bekannt. Eine weltweit verbreitete Formen der „Body Art“ ist das Einbringen von farbigen Pigmenten in die Haut, die im Heilungsprozess in der Haut eingekapselt werden und als Bilder im Gewebe verbleiben. Diese Praxis ist seit der zweiten Südseereise von James Cook - als Lehnwort aus dem Samoanischen - im Allgemeinen als „Tattoo/ Tätowierung/ Tatauierung“ bekannt, in den Epochen davor wurde es jedoch mit anderen Begriffen bezeichnet – in der Regel Abwandlungen von „Markieren“, „Zeichnen“, „Ritzen“ oder ähnlichem.

Archäologische ist die Erforschung von Hautbildern in den Kinderschuhen und das, obwohl es in unterschiedlichen archäologischen Kulturen der Welt belegt ist – ab 3300 v. Chr. tauchen in den Alpen und in Ägypten, um 2600 v. Chr. in den südwestlichen Steppen Asiens und in Chile mumifizierte, menschliche Körper auf, deren Haut mit Hautzeichen versehen ist. Dabei sticht eine Region nicht nur durch die Vielzahl von gut erhaltenen Mumien, sondern zugleich auch durch die vielen Befunde mit tätowierten menschlichen Überresten hervor: Die Andenländer mit ihren trockene, heißen Küstenwüsten und kalten Hochtälern. Die Kulturen hier praktizierten Bestattungsrituale unterschiedlicher Formen (Trocknen, Räuchern, ggf. Eviscerieren, einwickeln in Mumienbündel [Fardo]), die ein natürliche Vergehen behinderten. Zudem sorgen die Umweltbedingungen dieser Zone (Wärme, Trockenheit, abiotische Mikroklimata etc.) für eine exzellente Erhaltung von organischem Material, die neben Körpergewebe, Haut, Haaren und Fingernägeln auch sogar Federn exzellent konservieren.

Im 19ten und frühen 20sten Jahrhundert erwachte die archäologisch-ethnologische Sammelleidenschaft der europäischen Museen. Auch europäische Privatpersonen vor Ort und Forschungsreisende fingen an Artefakte, Knochen und „Exotika“ zu erwerben, nicht selten, um Sie später den Museen in den Heimatländern zu vermachen. So kamen die europäischen Museen zu ihren Mumiensammlungen aus Südamerika, deren Überreste auch präkolumbianische Hautzeichen tragen. Bei der Mehrheit der untersuchten Überreste handelt es sich um isolierte Gliedmaßen (Unterarme, Füße, Beine, in geringem Umfang auch Ganzkörper-Mumien). Nur wenige stammen dabei aus gesicherten, wissenschaftlichen Grabungen, sodass es meist keine kulturelle oder zeitliche Zuordnung und oft kein Fundort bekannt ist. Vielmehr sind sie größtenteils aus dubiosen Quellen
erworben worden.

Vielen Mumienteile scheinen dabei offenbar aufgrund einer gewissen „Exotik“ der Hautzeichen gesammelt worden zu sein, möglicherweise wurden auch nur einzelne Gliedmaßen (Arme, Schenkel) verkauft.

Im Fokus der Untersuchung steht die Erfassung der präkolumbianischen Hautzeichen der verschiedenen Kulturen auf dem Gebiet des ehemaligen Inka-Reichs, den heutigen Staaten Ecuador, Peru, Bolivien Chile sowie Argentinien.

Dabei werden die menschlichen Überresten aus diesen Regionen, die sich in verschiedenen europäischen Museen befinden, mitsamt Ihren Hautzeichen zum Teil erstmals beschrieben und die Ikonografie der verwendeten Figuren und Muster im Detail erfasst.
Mittels Infrarotfotografie können Hautzeichen auch auf ausgeblichenen oder nachgedunkeltem Gewebe sichtbar gemacht werden.
Ziel der Arbeit ist es, einen Katalog der verwendeten Tätowierungen mit ihren Varianten zu erstellen und mit den archäologischen und anthropologische Daten der menschlichen Überreste zu kompilieren. Neben der Form und Ausprägung der Hautzeichen sollen auch die Position und Ausrichtung auf dem Körper untersucht werden.

Eine Vielzahl der Hautbilder sind geometrischer Natur, in Form von geometrischen Zeichen, wie Rauten, Winkel, Dreiecke. Neben den Einzelformen tauchen komplexere Muster in Form von Mäandern und Voluten auf.


Lebewesen wie Fische, Vögel oder Katzenwesen tauchen in typischen, wiederkehrenden Formen, auf. Diese sind in der Regel jedoch stark abstrahiert und stilisiert. Darstellung dieser Figuren sind auch von anderen archäologischen Objektkategorien bekannt und tauchen auf diesen quasi identisch auf - so etwa auf Keramiken, Metallobjekten, Textil oder Holzgeräten. Daneben tauchen aber auch Mischwesen oder (noch?) nicht zuordenbare Figuren auf. Auffällig ist, dass sich die Figuren in ihrer Ausprägung auch an den geometrischen Darstellungsweisen orientieren.

Aus der Literatur sind aber auch menschliche Darstellungen in Fine-Line-Qualität bei einer mocheoiden Mumie aus Pacatnamu (Krutak 2007) oder die Darstellung von übernatürlichen Wesen wie Ser Ocular, Orca asesina aus dem Paracas-Komplex (Maita Agurto & Minaya Cabello 2013) bekannt.

In vielen Fällen stellt die Erfassung und Bestimmung der Hautzeichen Grundlagenforschung dar, da zwar viele einzelne Befunde bekannt, nicht aber systematisch aufgenommen und verglichen worden sind. Die menschlichen Überreste der europäischen Museen sind oftmals nur oberflächlich gesichtet, besonders mit der Infrarot-Technik konnten eine Vielzahl von bislang unbekannten Hautbildern gefunden werden.

Erste Resultate, wie der Vergleich mit geschlossenen und gut dokumentierten Grabungen aus z.B. Peru, machen deutlich, dass dieselben Zeichen, die eine Gruppe tätowierte, auch auf anderen archäologischen Medien, etwa Keramik oder auf Textilien, in derselben Form auftauchen. Es deutet sich an, dass die Hautbilder ebenso Teil und Indiz einer archäologischen Kultur sein könnten, wie dies bereits für sonstige permanente Modifikationen des Körpers (Osteologia cultural) erarbeitet wurde.

Daraus lassen sich Cluster erarbeiten, bei denen typische Hautbilder, Muster und Darstellungsformen bestimmten Kulturgruppen zugeordnet werden können. So soll es im Ansatz möglich werden, u.U. auch isolierte Überreste, ohne eine Angabe von Fundort und zugehöriger Kultur anhand der typischen Verzierungen in der Haut zu kontextualisieren – was in Ansätzen bereits gelungen ist.

In diesem Zusammenhang sollen die gefundenen Hautzeichen ,auch mit dem ikonografischen Korpus von anderen Artefaktkategorien, verglichen werden:

  • Wo finden sich parallelen in den Darstellungen?
  • Tauchen beispielsweise Zeichen sowohl auf der Haut, wie auch auf anderen Medien, seien es Keramiken, Textilien oder sonstiges auf?
  • Lassen sich hierüber kulturelle Zuordnungen von Artefakt und Mumie erschließen?

Die Keramik der Andenländer ist zudem reich an menschlichen Darstellungen – sowohl in gezeichneter, wie auch in plastischer Form. Nicht selten tauchen hier auch Hautverzierungen auf, die mit den gefundenen Hautbildern verglichen werden sollen – gibt es auch hier Parallelen, die eine kulturelle Zuordnung der kontextlosen Mumien(teile) ermöglichen?

Daneben soll diese Arbeit als breite Grundlage für die Erforschung von präkolumbianischen Hautzeichen in Südamerika dienen und versuchen, das Phänomen „Tätowierungen“ sowie dessen Bedeutung in den vorspanischen Kulturen zu untersuchen.

Das Phänomen Tätowierung fasziniert mich dabei persönlich, weil es eine antike Form der nonverbalen Kommunikation ist, deren Bedeutung in unterschiedlichen psychosozialen und kulturellen Zusammenhängen gesehen und interpretiert werden kann.

Literatur:

  • Allison, Marvin J., Lawrence Lindberg, Calogero Santoro, und Guillermo Focacci. „Tatuajes y pinturas corpol de los indigenas precolombinos de Peru y Chile“. Chungara No.7 (1981): 217–36.
  • Begerock, Anna-Maria, und Ursula Thiemer-Sachse. „Tattoos – eine Betrachtung unter Berücksichtigung besonderer Beispiele aus Altamerika“. Das Altertum 63 (2018): 109–38.
  • Borkenhagen, Ada, Aglaja Stirn, und Elmar Brähler, Hrsg. Body Modification: Manual für Ärzte, Psychologen und Berater; Tattoo, Piercing, Botox, Filler, ästhetische Chirurgie, Intimchirurgie, Genitalchirurgie, Implantate, Amputation, Bodybuilding, ästhetische Zahnheilkunde. Berlin: Med.-Wiss. Verl.-Ges, 2014.
  • Brilot, Madeleine. „Typologie technique du tatouage“. Anthropologica et Præhistorica 114 (2003): 67–80.
  • Deimel, Claus, und Alke Dohrmann, Hrsg.Archäologie des alten Peru: mit der Sammlung von Wilhelm und Erna Gretzer. Begleithefte zur Schausammlung der Völkerkunde / Niedersächsisches Landesmuseum Hannover. Hannover: Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, 1999.
  • Della Casa, Philippe, Constanze Witt, und European Association of Archaeologists, Hrsg. Tattoos and Body Modifications in Antiquity: Proceedings of the Sessions at the EAA Annual Meetings in The Hague and Oslo, 2010/11. Zurich Studies in Archaeology, Vol. 9. Zürich: Chronos-Verl, 2013.
  • Forment, Francina A. M., Madeleine Brilot, und Musées royaux d’art et d’histoire (Belgium), Hrsg. Tatu-tattoo! Anvers : Bruxelles: Fonds Mercator ; Musees royaux d’art et d’histoire, 2004.
  • Gillreath-Brown, Andrew, Aaron Deter-Wolf, Karen R. Adams, Valerie Lynch-Holm, Samantha Fulgham, Shannon Tushingham, William D. Lipe, und R.G. Matson. „Redefining the Age of Tattooing in Western North America: A 2000-Year-Old Artifact from Utah“. Journal of Archaeological Science: Reports 24 (April 2019): 1064–75.
  • Herrmann, Bernd, und Roelf-Diedrich Meyer, Hrsg. Südamerikanische Mumien aus vorspanischer Zeit: eine radiologische Untersuchung. Veröffentlichungen des Museums für Völkerkunde ; Abteilung Amerikanische Archäologie. Berlin: Staatliche Museen zu Berlin-Preußischer Kulturbesitz, 1993.
  • Krutak, Lars F. The tattooing arts of tribal women. London: Bennett & Bloom/Desert Hearts, 2007.
  • Krutak, Lars F., und Aaron Deter-Wolf, Hrsg. Ancient ink: the archaeology of tattooing. First edition. McLellan Endowed Series. Seattle, Washington: University of Washington Press, 2017.
  • Maita Agurto, Patricia Karina, und Enma Minaya Cabello. „El uso de reflectografía infrarroja en el registro de tatuajes en momias Paracas-Necrópolis.“ Arqueología y Sociedad 26 (2013): 117–30.
  • Ordoñez Alvarez, Maria. Unbundled. Leiden, 2019.
  • Vreeland, James M. „Mummies of Peru“. In Mummies, Disease and Ancient Cultures, herausgegeben von Thomas Aidan Cockburn, Eve Cockburn, und Theodore A. Reyman, 2. Aufl., 154–89. Cambridge University Press, 1998.