Kritik von Sascha Müller
Starres, aufgesetztes Grinsen und
unangenehm-erwartungsvolles Schweigen. In der Ewigkeit einiger Minuten
präsentiert sich die High Society im Spotlight, die Blicke starr auf das
Publikum gerichtet, die Aufmerksamkeit genießend. Kurz darauf leiert man hippe
Floskeln herunter: E-Lastenrad, nachhaltiges Fahrradschloss, um den Baum
gewickelt – „Wir sind's!“ Man stellt sich vor, jedoch nicht mit Namen, sondern
mit Konsumentscheidungen. Die Exposition, überheblich vorgetragen im Chor, ist
geprägt von Pausen und Wiederholungen. Das wirkt anfangs störend, aber genau
das möchte man auch sein. Schließlich geht es um ein oberflächliches Milieu, das
ständig nur von sich und seiner moralischen Überlegenheit spricht. Auf der
Bühne entfaltet sich bald ein dynamisches Szenario: Der Kochkreis trifft sich,
man möchte veganes Essen und Gin Tonic genießen, zum Genuss der Köstlichkeiten
soll es bezeichnenderweise nie kommen. Mal hat man sich im Tag geirrt, mal werden
die Gastgeber beim Sex gestört, schließlich platzt sogar eine Antiterroreinheit
hinein.
Luis Buñuels oscarprämierter Film aus den 70er-Jahren
wurde von PeterLicht und SE Struck gründlich entstaubt und von Claudia Bauer
neu inszeniert. Das Stück feierte am 12. März 2022 seine Uraufführung am
Schauspiel Frankfurt und entpuppt sich (nur) als bissiger Kommentar auf die
Doppelmoral einer neuen High Society. Ort des Geschehens ist ein Wohncontainer,
platziert auf einer Drehscheibe. Wie das scheinheilige Gehabe der Protagonisten
selbst, ist die Kulisse durchschaubar: Fenster und Türen öffnen und schließen
sich und geben das Geschehen im Inneren preis, ebenso wie die Liveübertragung
einiger Szenen, die an die Außenwand des Containers projiziert wird. Man
bemerkt schnell: Andreas Auerbachs Bühnenbild richtet sich nach dem Habitus
seiner Figuren. Die Charaktere sind bereits überhöhte Oberflächen, da erscheint
die Selfiecam-Ästhetik, die sich an der glänzenden Containerwand entfaltet, nur
konsequent. Gleiches gilt für die Tatsache, dass sich Kamerafrau Rebekka Waitz
und Souffleuse Christine Schneider sichtbar im Geschehen bewegen und dessen
Inszeniertheit betonen. Aktualität spiegelt die Ausstattung jedoch nicht wider,
denn die Requisiten erinnern an die Filmvorlage, die Kostüme (Vanessa Rust) eben
nicht an Fair-Fashion und Berlin-Mitte, sondern an längst vergangene Zeiten.
Lizzy (Anna Kubin), Raffi (Sebastian Kuschmann), Flori
(Katharina Linder), Moni (Lotte Schubert), Henri (Andreas Vögler) und Franky
(Mark Tumba) verwickeln sich schließlich zunehmend in Situationen, die zwischen
Traum und Wirklichkeit changieren. Die von der filmischen Vorlage ausgehenden
surrealen Elemente sorgen für kurze Erholungspausen von dem durchgehend
klamaukigen Humor, der die Inszenierung beherrscht. Die Charaktere wiederholen
fortlaufend ihre leeren Phrasen, was offensichtlich zum Programm gehört, aber
im Verlauf der 120 Minuten anstrengend wird. Man verliert sich zeitweise in der
hektischen Dauerbeschallung ironisch-witziger Kreuz-Und-Quer-Dialoge, wodurch das
Stück im Mittelteil zu gestreckt wirkt. Betont ironisches Gendern und dekadente
Floskeln bleiben bloßes Beiwerk und dröge Versuche, den Humorpegel hochzuhalten.
Eine substantielle Kritik an den Praktiken der Wohlstandsschicht bleibt jedoch
weitgehend aus. Erst als sich die Ereignisse zuspitzen, die Surrealität zunimmt
und die vierte Wand zum Einsturz gebracht wird, gewinnt das Stück wieder an
Substanz und erinnert daran, worum es eigentlich geht.
Kritik von Aleta Mathes
Claudia Bauer kehrt mit Der diskrete
Charme der Bourgeoisie nach ihrem Publikumserfolg Mephisto ans Schauspiel Frankfurt
zurück. Die renommierte Regisseurin bringt in Zusammenarbeit mit PeterLicht und
Se Struck den oscargekrönten Film von Luis Buñuel (1972) auf die Bühne.
Während Buñuel in seinem Film die französische
Bourgeoisie vorführt und kritisiert, wendet Bauer sich an die heutige
Gesellschaft und nimmt besonders das ökologische Hipstertum in die Mangel,
welches als Wir auf der Bühne agiert.
Die Handlungen bzw. der Versuch diese auszumachen sind
allerdings gleich. Drei Ehepaare versuchen, sich für ein gemeinsames Abendessen
zu treffen, doch immer wieder scheitert dieses Vorhaben. Mal irren sie sich im
Tag. Ein anderes Mal ergreifen die Gastgeber für eine Liaison die Flucht.
Geprägt ist das Szenario von Träumen, die der vermeintlichen Handlung eine
surreale Note verleihen und den Zuschauer schon bald in Verwirrung setzen,
sodass die Frage aufkommt: Was ist Realität und was bloß geträumt?
So surreal die Szenen sind, so eigensinnig startet
auch das Stück auf der Bühne. Die Schauspieler und Schauspielerinnen Anna
Kubin, Katharina Linder, Sebastian Kuschmann, Andreas Vögler, Mark Tumba und
Lotte Schubert, die eine großartige Arbeit leisten, erscheinen auf der Bühne
und es geschieht erstmal nichts. Die sechs stehen für mindestens drei Minuten
einfach nur da und grinsen das Publikum an.
Und das Publikum? Das reagiert gespalten, während
vereinzelte Lacher oder gar Applaus ertönt, blickt man allerdings auch in
einige ratlose und verwirrte Gesichter. Was wird jetzt von mir erwartet, fragt
sich manch einer oder ruft es gar auf die Bühne. Nach den drei Minuten startet
das Stück dann schließlich, ohne auf das anfängliche Geschehnis Bezug zu
nehmen. Lizzy (Anna Kubin) begrüßt ihre vier Freunde im Bademantel mit großem
Tamtam.
Und dann geht es direkt los mit den akuten
gesellschaftlichen Themen und den großen und kleinen Sorgen und Problemen.
Besonders die Mainstream-Themen, die jedermann in Frankfurt kennt, die sich
aber auch in jeder anderen Großstadt in Deutschland abspielen. Da wären zum
einen die super-hippen und ökologischen E-Bike-Lastenfahrräder, der Schrei
nach veganer Kost, ganz nach dem Motto, bloß keine Milch, oder die
Genderthematik. Diese Themen werden aufgegriffen und dabei wird gezeigt, dass
der vegane ökologisch perfekte Lifestyle eben doch von niemandem perfekt
ausgeführt werden kann. Denn es muss doch schließlich bei all den E-
Bike-Lastenfahrrädern möglich sein, mit seinem SUV aufs Land fahren zu
dürfen, frische Luft braucht ja immerhin jeder ab und zu und für die weite
Strecke sind diese Lastenfahrräder dann doch auch den Protagonisten zu
umständlich.
Aufgezeigt wird neben dem Streben nach einem hippen
und richtigen Lifestyle, die zum Teil dahinter liegende Toleranz und
Ich-Bezogenheit, die selbst in den ach so hippen Gesellschaftskreisen ihren
Platz finden. Denn nach außen scheint doch immer alles nahezu „SUPER“ oder
„bloß ein Missverständnis“, wie auf der Bühne durch die immer vorkommenden
Wiederholungen verdeutlicht wird.
Sprachlich ist das Stück vor allem eins - und zwar nicht
diskret. Es wird betont, wiederholt, die Worte geradezu obszön und affektiert
ausgesprochen. Es wird over the top gearbeitet, um die Übertreibung und
gesellschaftliche Darstellung zu veräußern.
Ein echter Hingucker ist neben den Frisuren und Kostümen
aus den 70ern das Bühnenbild von Andreas Auerbach und die Videoinszenierung.
Auf einer Drehbühne steht ein containerartiges Haus und durch
Live-Kamera-Aufnahmen lässt sich für das Publikum das Geschehen im Inneren des
Hauses auf die Hauswand projizieren.
Fragen werfen neben dem Beginn und den surrealen
Handlungssträngen Szenen auf, wie das vermehrte Beschießen der investigativen
Kinderreporter*innen oder das Ausziehen und Einsalben mit Essen, welches die
Protagonisten gegen Ende hin vornehmen.