Alexander Zschokke, Ernst Kantorowicz Büste

Einige Werke der Kunstsammlung der Universität geben Rätsel auf. So auch die Büste des Mediävisten Ernst Kantorowicz. Kantorowicz, 1895 in Posen geboren, war zwischen 1930 und 1934 Professor am Historischen Seminar der Frankfurter Universität. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wurde er von nationalsozialistisch gesinnten Studenten attackiert und hatte die Direktion unverzüglich um seine Entlassung gebeten. 1938 emigrierte er über England in die USA. Kantorowicz erfuhr nicht nur in der Wissenschaft große Aufmerksamkeit. Sein Erstlingswerk über Friedrich II., das 1927 erschien, machte den gerade mal 32-jährigen Sohn aus gutbürgerlicher Familie über Nacht berühmt.

 

Die Recherche nach dem Entstehungskontext der Büste führt uns zu der Person, die den jungen Kantorowicz wohl am stärksten geprägt hatte: Seit Anfang der zwanziger Jahre gehörte Kantorowicz dem sogenannten George-Kreis an. Dass Stefan Georges Geschichtsbild auf Kantorowicz frühe Geschichtschreibung wirkte, steht außer Frage und wurde Kantorowicz oft vorgeworfen. Die Briefe des Historikers an den Dichter verraten eine tiefe Verbundenheit. 1924 als Kantorowicz mit der Materialsuche für die Friedrich-Biographie in Süditalien begann, schrieb er dem „Meister“ aus Neapel: „Doch es war während dieser Wochen kaum ein Tag und kaum eine Stunde, in der ich nicht gedacht hätte von diesem oder jenen Schönen, das ich gerade sah, dem Meister erzählen zu müssen, einfach deshalb, weil ich - ich weiß das ja von meinen früheren Reisen – ohne den Meister an den schönsten Dingen vorbeigegangen wäre, ohne sie zu sehen. So ist immer etwas Scham über die frühere Blindheit dem Glücksgefühl beigemischt, jetzt an allem Schönen teilzuhaben und es wirklich aufnehmen zu können.“ George erwiderte die Zuneigung und nahm großen Anteil an der Entstehung des Buches. Durchgehend unterrichtete Kantorowicz ihn über die Fortschritte seiner Arbeit und übersandte George fertige Textteile. Bereits vor Erscheinen des Buches ließ George im Berliner Atelier des Bildhauers Alexander Zschokke aus dem Manuskript vorlesen.

Damit kommen wir zur Herkunft der Büste, die als eine Arbeit Zschokkes gilt. Nur einige Monate nach Kantorowicz Tod im September 1963 bot der Künstler sie der Stadt Frankfurt zum Kauf an. Der Frankfurter Kunsthistoriker Harald Keller, den die Universität mit der Beurteilung der Plastik beauftragt hatte, hielt die Büste nicht nur für „ein ausgezeichnetes Jugendbildnis unseres verstorbenen Kollegen Kantorowicz, sondern auch für eine der besten Leistungen auf dem Gebiete der Porträtplastik […] der zwanziger Jahre.“ 7000 DM gab die Alma Mater aus, um die Büste anlässlich der Gedenkfeier für Kantorowicz im Juli 1964 in den eigenen Räumen präsentieren zu können.

Die Zuschreibung der Bronze sollte jedoch bezweifelt werden. Ludwig Thormahlen, Kunsthistoriker, Bildhauer und ebenfalls Mitglied des George-Kreis, führt uns auf eine neue Spur. Seinen „Erinnerungen an George“ zufolge war es nicht Zschokke sondern dessen Berner Freud Max Fueter der Kantorowicz 1926, während eines längeren Aufenthalts in Berlin, modellierte. Die Erinnerungen eines Historikerkollegen, Gerhard Ladner, der Kantorowicz Ende der 20er kennengelernt hatte, hauchen dem Bronze-Bildnis Leben ein: „Der erste persönliche Eindruck war fremdartig. Er schien ein Dandy in Kleidung und Auftreten,[…] manieriert in Stimme und fast singender Sprechweise […]. Seine ganze Erscheinung war in faszinierender Weise exotisch, besonders in dem Milieu, in dem ich ihn zuerst sah, nämlich in den Räumen der Monumenta Historica Germania in Berlin.[…] Seine Gestalt war mittelgroß, sehr aufrecht und gestrafft und von großer Lebendigkeit der Bewegung. Er war von fast bedrückender Liebenswürdigkeit. Beim ersten Wort war es klar, das sein Charakter ‚weltmännisch‘, nicht ‚professoral‘ war.“

Michaela Filla