Gerhard Marcks, „Empedokles“

Gerhard Marcks Statue „Empedokles“ stand seit ihrer Enthüllung am 11. November 1954 und bis 27. August 2013 in der Eingangshalle des Jügelhauses (Abbildung). Der Architekt und Designer Ferdinand Kramer hatte das Gebäude, durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, in einem modernen Geist erneuert. An die Stelle des verhältnismäßig engen, zweieinhalb Meter breiten Portals  ließ er einen sieben Meter breiten Durchgang setzen. Die Öffnung der Universität nach 1945 für alle sozialen Schichten wurde somit, durch die Vergrößerung des Eingangs, auch architektonisch umgesetzt. Für die neue Halle hatte Kramer einen „Denker“ bei Marcks in Auftrag gegeben. Der Bildhauer gehörte zu den gefragtesten Künstlern der Nachkriegszeit. Noch heute prägen seine Skulpturen den öffentlichen Raum zahlreicher deutscher Städte.  

 

In einem Brief an den damaligen Rektor (Präsident) Oskar Gans erklärt Marcks seine Entscheidung einen Philosophen darzustellen: „Die Philosophie ist die Mutter aller Weisheit und auch aller Wissenschaft. Die wahre Philosophie, die wahre Kunst, beschäftigt sich mit dem Göttlichen, das im Menschlichen zum Ausdruck kommt. Sie will unabhängig sein von allem Zeitgebundenen, allen menschlichen Einrichtungen und Konventionen. Dafür büßt sie allerdings Aktivität ein. Der Künstler hat den Philosophen darzustellen sich bemüht in einem Denkakt begriffen, der etwas anderes ist als Grübelei. Die untätigen Hände sind im Tuch verborgen, das Gesicht nach oben gewandt, der Eingebung hingegeben, dem Irdischen fern. Auf klassische Schönheit hat er dabei verzichtet, nicht der Mensch selbst ist es, sondern die göttliche Stimme, der er lauscht.“

Besser lässt sich die Skulptur nicht beschreiben. Der aus Kalkstein (Karbonzeit, Herkunft: Belgien) modelierte, 170 x 70 x 80 große und rund 1,5 Tonnen schwere‚ Empedokles‘ gehört zum Hauptwerk des Künstlers. Die stark reduzierte Figürlichkeit, ja blockhaft gefasste Körperlichkeit, stieß nicht, stößt auch heute nicht, bei jedem Betrachter auf Begeisterung. Aber wie Oskar Gans in seiner Rede anlässlich der Rektoratsübergabe bereits feststellte: „Es mag gefallen oder missfallen, begeisterte Zustimmung oder nachdenkliche Ablehnung finden. Da es ein wahres Kunstwerk ist, wird es niemanden gleichgültig lassen.“ Marcks selbst gesteht: „Man bemüht sich sein Leben lang um die Form – schließlich tut man nur hinweg was lästig war. Übrig bleibt das Bild. Aber wird es auch andere ansprechen? Ist es gut, so wirkt es langsam auf den, der zu betrachten, zu fragen versteht.“  

Einer der größten Betrachter und kritisch(st)en Fragesteller, Friedrich Nietzsche, sah in dem Vorsokratiker Empedokles eine Grenzfigur: „Er schwebt zwischen Arzt und Zauberer, zwischen Dichter und Rhetor, zwischen Gott und Mensch, Wissenschaftsmensch u. Künstler, zwischen Staatsmann und Priester [...]: er ist die buntgefärbteste Gestalt der älteren Philosophie: mit ihm scheidet das Zeitalter des Mythos, der Tragödie, des Orgiasmus, aber zugleich erscheint in ihm der neuere Grieche, als demokratischer Staatsmann, Redner , Aufklärer, Allegoriker, wissenschaftlicher Mensch. In ihm ringen die beiden Zeitalter.“ Auch wenn man Marcks Nietzsches Vorstellung eines Empedokles‘ als Grenzfigur nicht unterschieben darf, ist es schon bemerkenswert, dass sich in seiner Darstellung, die Form des Profils in der des Hinterkopfes spiegelt. Die Assoziation eines Januskopfes bleibt nicht aus.  

Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Bild aber auch die Wesenheit eines jeden Menschen, in dessen Charakter und Verhalten sich widersprechende Seiten zeigen, die eigentlich nicht miteinander vereinbar sind. Carl Jakob Burkhardt, der Marcks 1959 in seinem Atelier besuchte, schrieb dem Künstler jedenfalls: „Sie haben wie wenige das Wesenhafte, den Grundcharakter der Kreatur dargestellt, das ist nur als Ergebnis größter Konzentration möglich, einer Fähigkeit der Sammlung, die so stark in Ihrem Blick zum Ausdruck kommt.“ Es scheint als ob Marcks mit seiner Figur des Empedokles dem Akt der Konzentration ein Denkmal setzen wollte.     

Der „Empedokles“ steht seit 27. August 2013 in der Eingangshalle des IG Farben-Gebäudes (Campus Westend).

Michaela Filla