Giovanni Battista Piranesi, Veduten

Insgesamt 135 Blätter umfasst Giovanni Battista Piranesis Vedute di Roma, eine fortlaufende Serie von Radierungen, die römische Sehenswürdigkeiten ins Bild setzt. Mit kurzen Erläuterungen versehen, wurden sie an Romreisende verkauft, denn schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts kündigte sich eine Entwicklung an, die heutzutage mit dem Begriff ‛Bildungstourismus’ überschrieben wird. Die zwischen Piranesis Ankunft in Rom 1740 und seinem Todesjahr 1778 hergestellten Veduten (von italienisch ‚veduta‘: Ansicht, Aussicht) sind von Piranesis Sohn, Francesco, in einer zweibändigen Ausgabe veröffentlicht worden. Sieben Blätter dieser Serie sind im Eigentum der Universität.

 

Die Veduta degli avanzi de Foro di Nerva präsentiert die Überreste des Nerva Forums. Unter Kaiser Domitian begonnen, wurde es unter Kaiser Nerva im Jahre 97 n. Chr. als drittes der vier römischen Kaiserforen vollendet. Prominent nimmt die Darstellung des ruinösen Fragments der Säulenhalle die linke Bildhälfte ein. Piranesi zeigt, wie selbstverständlich die Bewohner Roms mit den Überresten antiker Architektur umgingen. Die Ruine ist in ein neugebautes Wohnhaus integriert. So ergeben sich kuriose Ansichten: Im obersten Geschoß ist das ganzfigurige Relief der Pallas-Athene über dem mächtigen Gebälk der Säulenhalle zu sehen, das mit einem figuralen Fries geschmückt ist. Auf einer Achse unterhalb des Athene-Reliefs blickt eine Bewohnerin des Hauses aus dem Fenster. Wiederum unter ihr ist ein weiterer Hausbewohner zu erkennen, der gerade die Tür geöffnet hat und auf den Platz hinausschaut. Auf diesem herrscht geschäftiges Treiben. Ein Hund scheint auf sein Herrchen zu warten, das gerade im Begriff ist, das Wohnhaus aus der Ecktür zu verlassen. Nahezu mittig im Vordergrund sitzt ein Mann vor einem Säulenstumpf, der anscheinend mit einer Familie – Vater, Mutter und Kind – in ein Gespräch vertieft ist. Am rechten Bildrand ist eine Gruppe von Pferden mit ihren Besitzern zu erkennen. Möglicherweise warten sie vor der Werkstatt eines Hufschmieds. Rechts von diesem erstreckt sich ferner eine Straße weit und schnurgerade in den Hintergrund, die von Häusern mit rauchenden Schornsteinen gesäumt wird. Auch diese ist mit Menschen bevölkert, die umherspazieren oder sich unterhalten.

 

Die Vedute der Rovine delle Terme Antoniniane bietet eine Ansicht der sogenannten Antoninischen Thermen, die unter Kaiser Caracalla 212-216 n. Chr. errichtet worden sind. Sie zählten mit einer Grundfläche von über 300 mal 300 Metern neben den Diokletians- und Trajansthermen zu den größten Badeanlagen Roms. Piranesi schuf diese Vedute um 1765. Aus der Vogelperspektive sehen wir die ruinöse Thermenarchitektur, derer sich die Natur wieder bemächtigt hat. Der massige Baukörper erstreckt sich vom Bildmittel- bis in den Bildhintergrund. Da sein Dach eingestürzt ist, wird die verfallene Innenarchitektur sichtbar. Ein dichtes Geflecht von Rundbögen und Mauerresten wird dem Betrachterblick preisgegeben.Im Vordergrund sind Reste der Bebauung zu erkennen, die die Thermengebäude und Parkanlagen umfasste. Letztere können in der sich darbietenden kargen Landschaft nicht mehr erahnt werden. Wo einst eine Vielzahl von Römern ihr Bad nahm, beleben nun Spaziergänger und Schäfer samt Hunden und Herde die Ruinen des gewaltigen Bauwerks und machen zugleich seine Monumentalität deutlich. Wegen der winzigen Figuren, die zu Füßen der Thermen stehen, wirkt die Ruine umso mächtiger.

Piranesis Veduten zeigen trotz ihrer enormen Detailliertheit keine naturgetreuen Ansichten römischer Sehenswürdigkeiten und ihrer Umgebung, sondern präsentieren dem Betrachter eine inszenierte, poetisierte Architektur. Nicht selten modifizierte Piranesi die Ansichten, um einen bestimmten optischen Effekt zu erzielen. Mauern wurden weggelassen, Wände gestreckt oder Säulen erhöht. Großen Wert schien er dabei auch den Staffage-Figuren beigemessen zu haben, die sich vor den Architekturen, wie vor einer Kulisse bewegen. Oftmals sind Figuren aber schon im Mittelgrund derartig klein wiedergegeben, dass die Figuren im Vordergrund wahre Riesen sein müssten. Möglicherweise findet Piranesis Bühnenbildnerausbildung in dieser Gestaltung der Veduten ihren Niederschlag.Giovanni Battista Piranesi wurde 1720 in Mogliano bei Venedig geboren und starb 1778 in Rom. Neben den Vedute die Roma sind vor allem seine 16 Blätter umfassende Darstellung der Carceri weithin bekannt. Letztere zeigen Innenansichten von fiktiven Gefängnissen, die weitab jeglicher räumlicher Logik ein labyrinthisches Gewirr von Treppen und Gängen präsentieren. 

Ferdinand Sander