Kramer-Möbel

„...bitte nach Ihnen.“ Die Möblierungsstrategie Ferdinand Kramers

Ein Set von grauen Büro-Stahlmöbeln aus einem von Kramer für das Philosophicum entworfenen Programm von Kombinationsmöbeln. Dazwischen Replikate seiner Entwürfe aus den 20er Jahren; dazu ein Werksentwurf der Bürostuhlfirma Eron aus den 50er Jahren, der „Reichspoststuhl RP 28“ der Firma Drabert von 1925. Dabei auch ein Kufensessel derselben Firma sowie der Sperrholzklappsessel „Rex“ des slowenischen Designers Niko Kralj, das Regalsystem der Firma Ronniger, ein Nachbau des Kramerschen Vorkriegs-Schirmständers, von Kramer entworfene Kleiderhaken und Abfallkörbe. Schließlich Waschbecken, Spiegel, Wandaschenbecher wieder anonymer Herkunft.

Das ist die typische Ausstattung aller Räume des 1959/60 erbauten Philosophicums, die je nach Bedarf im Detail und in der Zusammenstellung variieren konnte: für einen Gestalter, der wie kein Zweiter im Nachkriegsdeutschland eine komplette Universität vom Klingelknopf bis zum Audimax, Pflanzenhaus und Kernreaktor gleichsam in absolutistischer Regie entwerfen und realisieren konnte ein verblüffend unscharfes, ja regelrecht polemisches Bild. Denn normalerweise führt solch eine Ausgangssituation zum Triumph des Gestaltungswillens, den sich kein Baumeister als Ausweis seiner Sendung entgehen lassen würde.

 
     Neuentwurf des Kramer-Schreibtisches
     aus dem „kd-Programm“
 

Das „kd-Programm“, das Kramer für die Firma Otto Kind als modulares System  vollständig zerlegbarer (kd: „knockdown“) Möbel in zahlreichen Formaten und beliebiger Kombinationsmöglichkeit entwarf, war notwendig geworden, da die bis dahin von Kramer verwendeten, wiederaufgelegten Replikate seiner 20er Jahre-Entwürfe, die einst für die städtischen Gebäude des Neuen Frankfurt entstanden, nicht mehr genügten. Bei Kramers Neuentwurf ergaben sich im Vergleich zu den Vorkriegsentwürfen lediglich dem Materialwechsel von Holz zu Metall und den neuen Gebrauchsanforderungen geschuldete Veränderungen: etwa im Umfang der Rahmenteile, bei den Griffformen oder bei der Verbesserung der Montierbarkeit. Die graue Farbe – im Gegensatz zu den schwarzen Linoleumeinlegeplatten und naturfarbenen Holzteilen vorher – verdankte sich augenärztlichen Gutachten, die für Büroarbeit bei diesem Farbton die größte Wahrnehmungsentlastung annahmen.

Mitnichten tobt sich hier also ein Original- und Kraftgenie aus; eher scheint evolutionäre Bedachtheit am Werk, die bei Bedarf verbessert aber nicht purer Neuheit wegen aktiv wird. Der Schein von Notwendigkeit bei vieler neuer Gestaltung, der es doch meist einzig um formales, selbstdarstellerisches Kalkül geht, wird bei Kramer durch die Unscheinbarkeit und Nichtgeschlossenheit des Sets konterkariert.

 

     Der „Kramer-Stuhl“

 

In noch verschärfter Weise wird dieses gegen den Personalismus im Gestalterzirkus gerichtete Vorgehen bei den anderen Elementen der von Kramer verbindlich gemachten Ausstattung deutlich. Der für das Rektorat gleichermaßen wie für die Seminarräume, die Pförtnerloge wie die Werkstatt angeschaffte, alleinige Sitzstuhl der Uni, den viele den „Kramer-Stuhl“ nennen, ist ein anonymer Werksentwurf der Firma Eron. Ebenso die Einsäulenkonstruktion des Drehstuhls „RP 28“, der bis 1967 in Millionenauflage produzierte „Reichspoststuhl“, auf dem schon alle „Fräuleins vom Amt“ gesessen haben - ein sitzmobiliarer Massenartikel schlechthin. Der Sperrholzklappsessel, ein leichtes, schnell wegzuräumendes und aufzustellendes Gebilde dagegen ist wieder ein Namensentwurf und gegenwärtig gesuchtes Sammlerstück. Die in allen Räumen installierten Regale, das bis heute für Großinstitutionen, Fabriken und Lagerstätten produzierte Regal-Einhängesystem ist, nach der Aussage Kramers, der Entwurf eines Straßburger Schlossers vom Ende des 19. Jahrhunderts gewesen.

Möblierung ist bei Kramer ein Entwurfs-Synonym für Mobilität, für Mobilisierung. Dinge werden aus Bereichen der anonymen, gleichsam alltagspraktisch geprüften Qualität in einen entweder verbesserten Zustand oder einen neuen Bewandniszusammenhang überführt. Dabei lösen sich Wertigkeiten, Hierarchien von Gestalt und Prägung auf. Solche Transformation bedingt, daß alte Entwürfe neu aufgelegt oder im Bereich der Notwendigkeit verbessert, daß anonyme, historische und aktuelle Entwürfe gleichberechtigt genutzt und solche von Kollegen, die optimal sind, integriert werden.

Auch das Verhältnis von privat und öffentlich wird durch die Kramersche Transformation tangiert: den Eron-Stuhl, den Sperrholzklappsessel, die Ronniger-Regale hat Kramer auch bei seinen privaten Aufträgen verwendet. Und umgekehrt etwa das dem häuslichen Wohnbereich entstammende Kramer-Sofa der 20er Jahre in den Bereich universitärer Öffentlichkeit überführt.

Das Ethos dieser scheinbar stillosen Gestaltung zielt auf Beiläufigkeit und damit auf Unaufdringlichkeit. Je weniger Stil, desto weniger wird der Raum besetzt und desto mehr ein gentlemanartiges Moment wirksam - keine gestalterische Entblößung sondern Distinguiertheit offenbart sich.

Selbst der Farbklang dieser Räume läßt an dezente Haltungen denken: schwarz der Linoleumboden und die Stuhlflächen, weiß die Wände, silbrig die Aluminiumrahmen der Fenster und die Beine der Stühle, hellgrau die Büromöbel, anthrazitfarben das Sofa, honiggelb die Klappsesselchen und die blauen Türen wie der Farbtupfer einer Krawatte.

Wer sagt, diese Möbel sprächen ihn nicht an, der trifft durchaus etwas Richtiges, denn diese Möbel reden nicht auf einen ein. Sie bleiben im Hintergrund, vorherbestimmen in keiner Weise das performative Potential des Raums. Kramer versucht, den offen-diskursiven Raum zu möblieren. Sprechen und bewegen sollen sich die Menschen im Raum frei, deshalb ist das Mitreden der Möblierung und jede Möbel-Stasis zu vermeiden. Gerade der radikale Bezug auf kommunikative Akte läßt die Ausstattung verstummen. Dieses Mobiliar ist rein dienend, es sagt nicht: ich bin stylish, ich bin teuer, ich bin akademisch. Es ist zeichendiffus, statuspassager; als Ensemble fast unstimmig und dissonant, aber eben nicht kakophonisch – denn das wäre schon wieder ein Stil. Es ist vielgestaltig, aber eben nicht wie eine Möbelfanfare des Pluralismus, wie ein gewollter Stilmix. Raum soll nicht besetzt sein bevor die Aktion der Menschen in ihm beginnt. Kramers „möbilisierter“ Raum sagt lediglich: „bitte nach Ihnen!“

Bernhard Uske