Studie: Der Lohn der Arbeit

Eine neue Studie belegt: Anerkennung schützt vor Burnout

Veröffentlicht am: Montag, 04. Juni 2012, 10:38 Uhr (025)


Rolf Haubl: „Besonders wichtig ist die soziale Anerkennung, die Menschen für ihren Arbeitseinsatz erhalten.“


Es klingt banal, zumal im wohlhabenden und hoch entwickelten Deutschland: Arbeitsplätze sollen keine Gesundheitsrisiken darstellen. Das forderte schon vor rund 25 Jahren die Weltgesundheitsorganisation WHO im Anschluss an die „erste internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung“ im kanadischen Ottawa. Und doch ist das auch heute noch, auch hier in Deutschland, alles andere als selbstverständlich. Mit drastischen Folgen: Wenn die Belastung am Arbeitsplatz zu groß wird, reagieren viele Menschen darauf mit Schlafstörungen und Beklemmungen, mit Gereiztheit, Schwindel, Depressionen. Nur dass in manchen Fällen selbst Psychopharmaka irgendwann nicht mehr helfen. Die Betroffenen fühlen sich überfordert und leiden an einer arbeitsbedingten Erschöpfung, und es besteht die Gefahr, dass sich daraus eine ernsthafte Erkrankung entwickelt – ein „Burnout-Syndrom“. Das Auftreten von Erschöpfungszuständen in der heutigen Arbeitswelt, ihre Auslöser und Risikofaktoren haben Frankfurter und Chemnitzer Forscher untersucht.

Sie kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Wenn Arbeitnehmer sich leistungsgerecht belohnt fühlen, ist das Risiko, dass es zu einer arbeitsbedingten Erschöpfung kommt, deutlich geringer. Wobei Belohnung weit mehr ist als das, was unterm Strich auf dem Gehaltszettel steht: „Belohnung bedeutet längst nicht nur angemessene Bezahlung“, betont der Frankfurter Sozialpsychologe Prof. Rolf Haubl. „Dazu gehören auch Aufstiegschancen und Fortbildungsmöglichkeiten. Und besonders wichtig ist die soziale Anerkennung, die Menschen für ihren Arbeitseinsatz erhalten.“ Haubl, der an der Goethe-Universität lehrt und forscht und zugleich stellvertretender Geschäftsführender Direktor des Sigmund-Freud-Instituts ist, hat diesen Zusammenhang gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern der Goethe-Universität, des Sigmund-Freud-Instituts und der Technischen Universität Chemnitz in einer kürzlich veröffentlichten Studie nachgewiesen.

Es wurden nicht nur erschöpfte Arbeitnehmer befragt

Für die vor kurzem abgeschlossene Studie wurden im vergangenen Jahr fast 900 Supervisoren der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. befragt. An der Studie nahmen also nicht die Arbeitnehmer teil, die sich erschöpft und ausgebrannt fühlten und die sich daher negativ über ihre berufliche Situation äußerten. Vielmehr wurden die Aussagen von Experten ausgewertet, die Arbeitnehmer beraten und begleiten und die mit der oftmals turbulenten heutigen Arbeitswelt bestens vertraut sind. Deren Einschätzungen sind besonders aussagekräftig, weil die Supervisoren einerseits als kritische Zeugen Veränderungsprozesse beobachten und realistische, ungeschönte Einblicke in das Innenleben von Unternehmen und Organisationen haben, weil sie andererseits aber auch zusammen mit Einzelpersonen und Teams nach Lösungen suchen.

Die Experten bestätigten: In profitorientierten Unternehmen ebenso wie in Non-Profit- Organisationen entsprechen die Arbeitsbedingungen oftmals nicht dem, was die Weltgesundheitsorganisation in Ottawa gefordert hat. Im Gegenteil ist es so, dass viele Beschäftigte ihre physische und zunehmend mehr ihre psychische Gesundheit riskieren. Das Zitat einer Supervisorin, mit der eines von dreißig Intensivinterviews geführt wurde, spricht da Bände: „Als ich da [d. h. in das Unternehmen, d. Red.] hinkam, hatte die Leitungskraft 600 Überstunden. Und alles, was unter 100 war, bedeutete irgendwie, die Leute arbeiten nicht richtig.“

Oft werden Arbeitnehmer nicht als Individuen wahrgenommen, die zum Unternehmenserfolg beitragen, sondern nur als Kostenfaktoren, die im Zweifelsfall zu wenig leisten und zu viel kosten. Und das trägt erheblich zu ihrer Erschöpfung bei. Zudem zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass Vorgesetzte häufig nicht den Schutz gewähren, den die Arbeitnehmer von ihnen erwarten. Nicht selten geben die Führungskräfte einfach nur den Kosten- und Erfolgsdruck dem sie selbst ausgesetzt sind an ihre Mitarbeiter weiter.

Ähnliches gilt für die Arbeitsbeziehungen zu Kollegen. „Kollegialität spielt eine ganz wichtige Rolle“, erläutert Rolf Haubl. „Unsere Untersuchung zeigt allerdings, dass sie manchmal schnell an ihre Grenzen stößt. Wenn ein hoher Konkurrenzdruck existiert, ist sich jeder selbst der Nächste. Fairness und Solidarität bleiben dann schnell auf der Strecke.“

Keine Entwarnung bei Erschöpfungszuständen

Diese Verhältnisse sind nicht neu. Schon 2008 – vor der Finanz- und Wirtschaftskrise – hatten Haubl und seine Forscherkollegen eine ähnlich umfangreiche Befragung durchgeführt. Knapp die Hälfte der jetzt befragten Supervisoren hatte auch an der damaligen Studie teilgenommen. Ebenso wie die jetzt neu hinzugekommenen Teilnehmer berichteten diese schon damals von einer ähnlich hohen Belastung der Beschäftigten, in Übereinstimmung mit einer ganzen Reihe vergleichbarer Studien. Die Situation der Arbeitnehmer werde sich in absehbarer Zeit wieder bessern. Rolf Haubl sagt jedoch: „Was vor Jahren noch als Ausnahmezustand gegolten haben mag, ist inzwischen Alltag geworden. Die Häufung von Erschöpfungszuständen erlaubt keine Entwarnung.“

„Die Arbeitsbedingungen nehmen immer weniger Rücksicht auf die Ressourcen, die die Beschäftigten zur Verfügung haben“, erläutert Haubl. „Das hat damit zu tun, dass wir in der Arbeitswelt eine sehr starke strukturelle Veränderung haben. Prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen zu. Junge Leute werden als Dauer- Praktikanten ausgebeutet, oder sie müssen sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, auch wenn sie gar nicht mehr so jung sind. Wieder andere sind und bleiben als Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen beschäftigt. Folglich beobachten wir eine Deprofessionalisierung – Fachkräfte werden immer häufiger durch billigere, angelernte Kräfte ersetzt. Insgesamt führt das zu einer steigenden Verunsicherung der Mitarbeiter.“

Angesichts eines Ausnahmezustands, der längst zur normalen Dauerbelastung geworden ist, drängt sich die Frage auf, ob die Arbeitnehmer diese Belastungen hinnehmen, oder ob sie sich dagegen wehren. „Wir haben festgestellt“, antwortet Haubl, „dass es eine weit verbreitete Demoralisierung gibt. Wobei wir Demoralisierung so verstehen, dass Widerstand aufgrund eines Gefühls der Ohnmacht eher selten ist.“ Werde Widerstand geleistet, dann eher unauffällig und verdeckt: Die Supervisoren beobachten bei den Beschäftigten eine Tendenz, sich zurückzuziehen und sich lieber bedeckt zu halten als tatsächlich so etwas wie einen Arbeitskampf in Gang zu setzen, zumal große Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes herrscht.

Zur Demoralisierung und zum Gefühl der Überforderung trägt auch bei, dass Arbeitnehmern immer häufiger zugemutet wird, einander widersprechende Anforderungen – wie etwa die nach Professionalität und gleichzeitiger Kostenersparnis – auszuhalten und abzufedern, ohne dass ihre Arbeitgeber beziehungsweise Vorgesetzten sie dabei unterstützen. „Das kann dazu führen, dass manche Menschen sehenden Auges die eigene Gesundheit auf Spiel setzen. Sie riskieren ein Burnout-Syndrom – nicht etwa um Karrierevorteile zu erlangen, sondern schlicht, während sie ihren Lebensunterhalt verdienen“, sagt Haubl.

Kampf um Anerkennung

Von Arbeitnehmern, die sich überfordert fühlen, wäre zu vermuten, dass sie darauf mit wachsender Indifferenz gegenüber ihrer Arbeit reagieren: In der Untersuchung, die die Wissenschaftler um Rolf Haubl jetzt vorgestellt haben, ist dies aber nicht bestätigt worden. Im Gegenteil: „Die befragten Supervisoren treffen in den Organisationen und Unternehmen überwiegend auf Beschäftigte, für die Arbeit – noch – eine Sinn stiftende Funktion hat. Deshalb leiden sie darunter, wenn sie aufgrund des ökonomischen Effizienzdrucks dazu gezwungen sind, Qualitätsstandards zu verletzen“, erläutert Günter G. Voss, der an der Technischen Universität Chemnitz eine Professur für Industrie- und Techniksoziologie innehat. Rolf Haubl ergänzt: „Es hat uns sehr überrascht – und auch berührt –, wie sehr Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Sinn stiftende Arbeit verteidigen. So jedenfalls haben es die Supervisoren wahrgenommen. Arbeitnehmer wollen ihre Aufgaben gut erledigen und wünschen sich, dass das von Vorgesetzten und Kollegen anerkannt wird. Doch diesen Bedürfnissen wird die heutige Arbeitswelt offensichtlich zu wenig gerecht. Viele Arbeitnehmer riskieren ihre Gesundheit, um Höchstleistungen zu bringen und um dafür die Anerkennung zu bekommen, die sie so dringend brauchen. Die Folge ist oftmals, dass die Beschäftigten schließlich ‚ausbrennen‘.“

Fazit der Studie ist, dass Arbeitgeber in die Entwicklung einer Organisationskultur investieren sollten, in der die Gesundheitsförderung der Beschäftigten einen hohen Stellenwert hat. Rolf Haubl sagt dazu: „Andere Studien legen nahe, dass sich diese Investition durchaus auch ökonomisch lohnt: Zum einen wird der Krankenstand geringer, weil weniger Arbeitnehmer an Burnout erkranken. Zum anderen steigt die Produktivität, weil der ‚Präsentismus‘ zurückgeht, weil sich also Arbeitnehmer nicht krank und erschöpft an ihren Arbeitsplatz schleppen, aus Angst, ihre Arbeit nicht rechtzeitig fertig zu bekommen und für faul gehalten zu werden.“ Vier Faktoren können durch die vom Haubl und Voss geleitete Untersuchung identifiziert werden: soziale Anerkennung, Leistungsgerechtigkeit, sowohl fachliche als auch menschliche Kompetenz der Führungskräfte und Kollegialität. Sind diese Bedingungen erfüllt, beugt dies Erschöpfungszuständen vor. „Wenn Arbeitsplätze tatsächlich keine Gesundheitsrisiken mehr darstellen sollen, wie es die Weltgesundheitsorganisation 1986 in der Charta von Ottawa verlangte, dann bedarf es eines dem entsprechenden nachhaltigen Einstellungswandels“, sagt Rolf Haubl. Zurückhaltend setzt er allerdings hinzu: „Dieser liegt heute vielerorts noch in weiter Ferne.“ Erste Ergebnisse finden sich unter www.dgsv.de; die Gesamtveröffentlichung in Buchform soll im Herbst dieses Jahres folgen.

Dieser Text ist in der Ausgabe 3-2012 des UniReport erschienen.