Schadet frühes Aufstehen der Gesundheit?

Das Chronomedizinische Institut erforscht die Wirkung der Diskrepanz zwischen innerer und äußerer Uhr

Veröffentlicht am: Mittwoch, 06. Juni 2012, 08:47 Uhr (026)


Prof. Horst-Werner Korf: „Wir leben in einer Diktatur der Uhr. Was diese Uhren messen, ist die äußere Zeit.“ (Foto: Spillner)

Studenten, die morgens nicht aus den Federn kommen, haben dank der Erkenntnisse über die innere Uhr zwar nun immer noch keine gültige Entschuldigung für verspätetes Erscheinen, aber doch eine Erklärung. Prof. Horst-Werner Korf, Direktor des Senckenbergischen Chronomedizinischen Instituts in Frankfurt, versteht sich als Missionar der Bedeutung der inneren Uhr. So war es ihm eine Freude, am Vorabend des Symposiums „The circidian system – from chronobiology to chronomedicine“ unter der Schirmherrschaft der Nationalen Akademie der Wissenschaftlichen Leopoldina deren Wunsch nachzukommen, die wissenschaftliche Arbeit des Instituts in einer öffentlichen Vorlesung mit einfachen Worten Nicht-Experten näherzubringen.

„Wenn wir alle so könnten, wie wir wollten, dann müssten wir einen 25-Stunden-Rhythmus haben, erklärte Korf. Die innere Uhr des Menschen, festgelegt in den Genen, ist auf einen 25-Stunden-Tag getaktet und tickt anders als die „äußere Zeit“ der Alltagsabläufe.

„Wir leben in einer Diktatur der Uhr. Was diese Uhren messen, ist die äußere Zeit“, erklärte Korf. Doch im Gehirn, ziemlich genau im Zentrum des Schädels, befindet sich eine innere Uhr aus tausenden von Nervenzellen. Und die bestimmt darüber, wie der Mensch „tickt“. Der genetisch festgelegte circadiane Rhythmus, die „Innenzeit“, wird täglich durch Umweltreize an den 24-stündigen Tag- und Nacht-Rhythmus angepasst. Wichtigster Zeitgeber ist der tägliche Hell-Dunkelwechsel, der von hochspezialisierten Lichtsinneszellen im Auge wahrgenommen und an den suprachiasmatischen Kern im Hirn übertragen wird. Über Hormone wie Cortisol und Melatonin werden die Signale an die Organe vermittelt. Dabei sind auch die Zellen in den peripheren Organen mit molekularen Uhrwerken ausgestattet.

Ist man nun Frühaufsteher, Mittagsvogel oder Nachteule? Zu dieser Fragestellung hat das Chronomedizinische Institut einen Fragebogen entwickelt und Probanden ausfüllen lassen. Entscheiden für die Feststellung des Chronotyps dabei ist die Aussage darüber, wann und wie lange die Probanden schlafen. Die Uhrzeit zum Zeitpunkt der Schlafmitte gibt Auskunft darüber, was für ein Typ man ist. Doch der Schlaf verschiebt sich, muss sich der Menschen in Alltags- und Arbeitsabläufe einpassen. Meist legt er sich früher zur Ruhe, wenn er arbeiten muss, und kann in der Urlaubszeit eher seiner inneren Uhr nachgeben. Der im Vergleich der Schlafmitten differierende Wert gibt als Faktor Auskunft darüber, wie weit die innere Uhr von der äußeren Uhr abweicht und wird als „Social Jetlag“ bezeichnet. Die Untersuchungen haben ergeben, dass das „Social Jetlag“ bei durchschnittlich einer Stunde und sechs Minuten liegt.

Diese Erkenntnis führt beim Spätaufsteher nicht nur zu einer gewissen Entspannung – hat er doch nun die Erklärung für seine Morgenmüdigkeit gefunden. Sie ist auf vielfältige Weise relevant. Die innere Uhr regelt die Stoffwechselprozesse im Körper. Einfaches Beispiel: Der Sekt zum Frühstück hat eine stärkere Wirkung Schadet frühes Aufstehen der Gesundheit? Das Chronomedinizische Institut erforscht die Wirkung der Diskrepanz zwischen innerer und äußerer Uhr auf den Organismus als der zum Abendessen. Für die Medizin heißt das, dass die Empfänglichkeit für medikamentöse und physikalische Therapien je nach Chronotyp schwankt. Ganz abgesehen davon, kann der Zwang, gegen die innere Uhr leben zu müssen, womöglich psychisch und körperlich krank machen. Im Chronomedizinischen Institut wird der Einfluss der biologischen Uhr bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten untersucht. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung, der Chronobiologie, werden in der patientenorientierten Chronomedizin umgesetzt. Bislang ist nur wenig erforscht, wie sich der Chronotyp auf die Entstehung und Behandlung von Krankheiten auswirkt. So will das Chronomedizinische Institut zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit dem universitären Zentrum für Tumorerkrankungen in Frankfurt klären, ob eine Desregulation der Uhren- Gene Tumorwachstum fördert oder auslöst, ob das molekulare Uhrwerk in Tumoren anders als in Normalgewebe tickt und ob ein Leben gegen die innere Uhr ein erhöhtes Risiko bei der Tumorentstehung darstellt. Fernziel ist die Entwicklung und Etablierung einer individualisierten Therapie nach Uhr und Chronotyp.

Eine nach diesem Vortrag mögliche Folgerung morgenmuffeliger Studenten, frühes Aufstehen schade der Gesundheit, wäre aber nicht unbedingt der folgerichtige Rückschluss.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3-2012 des UniReport erschienen.