Gute Gründe für vorsichtigen Optimismus

Fragen an Ali-Ridha Chennoufi, Philosophie-Professor aus Tunesien

Veröffentlicht am: Freitag, 08. Juni 2012, 10:55 Uhr (028)


Ali-Ridha Chennoufi, Professor für Politische Philosophie an der Universität Tunis, war im April Gastwissenschaftler am Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität in Bad Homburg. In einem vielbeachteten öffentlichen Vortrag gab der tunesische Gelehrte, der in den 80er Jahren einige Semester in Deutschland studiert hat, Einblicke in seine Analysen zum „Arabischen Frühling“ in Tunesien, Marokko und Libyen. Chennoufis Fellowship wurde aus Mitteln des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft gefördert. Bei seinem Aufenthalt kooperierte er mit dem Frankfurter Rechtsprofessor Klaus Günther, Mitglied des Direktoriums am Forschungskolleg und Co-Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Ali-Ridha Chennoufi und Klaus Günther, der ihn im Namen des Forschungskollegs nach Bad Homburg eingeladen hatte, arbeiten aktuell an der Konzeption eines Gastprofessorenprogramms für den wissenschaftlichen Austausch zwischen Tunesien und Deutschland.

Herr Professor Chennoufi, in der deutschen wie in der europäischen Öffentlichkeit wird die Entwicklung des „Arabischen Frühlings“ mittlerweile eher skeptisch beurteilt. Zeitungsartikel tragen Überschriften wie „Arabellion: Düstere Perspektiven“. Teilen Sie diese Auffassung?

Nein, ich teile diese Auffassung nicht, ich kann sie aber verstehen. Denn es gibt ja Gründe, skeptisch zu sein. Meiner Meinung nach sollte man jedoch nicht bei den negativen Phänomenen stehenbleiben. Die drei Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko und Libyen befinden sich in Übergangsprozessen. Aber schon die Tatsache, dass es dort kontroverse Diskussionen geben kann und auch die Weltöffentlichkeit davon erfährt, ist ein Fortschritt. Jetzt sollten wir nach vorne schauen. La lutte continue. Der Kampf geht weiter.

Ein Grund für die Skepsis im Westen ist der Erfolg islamistischer Parteien bei den bisherigen Wahlen. In Tunesien und Marokko haben sie die relativ meisten Stimmen gewonnen, in Libyen werden ihnen gute Chancen eingeräumt.

Wir müssen hier jedes Land einzeln betrachten. In meinem Vortrag habe ich das getan. An dieser Stelle möchte ich mich auf Tunesien beschränken. Hier hat die islamistische Partei zwar die Wahl gewonnen. Wenn man sich die Ergebnisse genauer anschaut, ergibt sich allerdings ein verblüffender Befund: Rund 1,5 Millionen Stimmen sind praktisch verlorengegangen, weil sie sich auf circa 1500 Listen verteilt haben. Und mit derselben Stimmenanzahl – 1,5 Millionen – hat die islamistische Partei gewonnen, die nur mit einer Liste angetreten ist.

Es war also auch eine Frage der besseren Strategie.

Und es kommen noch weitere Aspekte hinzu: Viele Islamisten sind gefoltert worden. Ich habe großen Respekt vor diesen Menschen. Der aktuelle Premierminister hat zehn Jahre in Einzelhaft gesessen. Das ist furchtbar. Und wenn die Leute wählen, meinen sie, dass sie den ehemals Verfolgten etwas schuldig sind. Zudem haben viele gedacht, dass eine islamistische Partei das Problem der Arbeitslosigkeit auf Anhieb lösen wird. Das ist natürlich nicht der Fall. Und es gab in diesem Zusammenhang auch schon Demonstrationen gegen die islamistische Partei.

Wie schätzen Sie die Zusammensetzung und die Ziele der islamistischen Partei ein?

Die islamistische Partei in Tunesien ist nicht homogen. Die vorherrschende Tendenz, die der Premierminister repräsentiert, würde ich als moderat bezeichnen. Ein Beispiel: Noch vor wenigen Wochen hat er betont, dass Touristen natürlich willkommen seien und ihnen auch keinesfalls Alkohol verboten würde. Er ist sehr pragmatisch, weil er sehr klug ist. Tunesien ist ein Land, das auf den Tourismus angewiesen ist.

Wäre es nicht trotzdem wünschenswert, wenn sich die Parteien der Mitte zusammenschließen zusammenschließen würden, damit die Stimmen gebündelt werden und nicht verlorengehen?

Voilà! Das ist wirklich notwendig. Die Demokraten verstehen das jetzt auch. Es kann ja ruhig vier oder fünf Parteien der Mitte geben. Aber wir müssen für die Wahlen Koalitionen, Wahlbündnisse bilden. Daneben können wir ja weiterhin einzeln für die Demokratie kämpfen. Ich bin optimistisch für Tunesien. Wir werden den richtigen Weg finden. Aber ich bin kein Candide. Loin de là!

... „keineswegs“ ein etwas einfältiger Utopist wie die Romangestalt in der Satire von Voltaire ...

Ich meine, gute Gründe für einen vorsichtigen Optimismus zu haben. Trotz der weitreichenden Befugnisse, über die der tunesische Regierungschef aufgrund der derzeitigen Rechtslage verfügt, ist er dennoch keineswegs ein Despot, da in Tunesien derzeit ein Klima großer Freiheit herrscht. Dadurch sind alle politischen Kräfte und Akteure der Zivilgesellschaft, insbesondere die Gewerkschaft sowie die Medien, in der Lage, sein gesamtes Tun und Lassen zu kontrollieren. Die Befreiungsdynamik hat keineswegs an Schwung verloren.

Was kann der Westen tun, um diese Entwicklung zu unterstützen?

Ich war jetzt auf Einladung des Auswärtigen Amtes in Berlin. Wir waren zehn Tunesier und zehn Ägypter, und wir haben auch über mögliche Projekte gesprochen, mit denen die Zivilgesellschaft gefördert werden könnte. Ich habe den Entwurf für ein deutsch-tunesisches Gastprofessorenprogramm vorgestellt, eine ständige Gastprofessur an der Universität Tunis mit wechselnder Besetzung zu den Themen Philosophie, Recht und Politik.

Wie weit sind die Planungen fortgeschritten?

Ich betreibe das Projekt zusammen mit Klaus Günther, mit dem ich schon seit einigen Jahren fachlich kooperiere und der auch schon in Tunis rechtsphilosophische Vorlesungen gehalten hat. Im Moment bemühen wir uns um Gespräche wegen einer potenziellen Förderung. Unser Konzept sieht vor, dass pro Jahr drei bis vier deutsche Wissenschaftler diese Gastprofessur bekleiden und in Tunis jeweils eine Vorlesung halten und ein vertiefendes Seminar anbieten. Uns interessiert die deutsche und westliche Perspektive auf Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie. Und – ganz wichtig: Diese Vorlesungen sollen in einem Sammelband erscheinen – und zwar in arabischer Übersetzung. Im Gegensatz zu meiner Generation sprechen viele junge Studenten kein Französisch. Wenn diese Studenten in eine Buchhandlung gehen, finden sie dort den Koran. Daneben sollen aber auch Bücher wie unsere liegen.

Die Fragen stellte Bernd Frye.


Weitere Informationen:


Dieses Interview ist in der Ausgabe 3-2012 des UniReport erschienen.