„Vielfalt braucht einen langen Atem“

Ein Gespräch zum vielbeachteten Diversitätskonzept der Goethe-Universität

Veröffentlicht am: Freitag, 08. Juni 2012, 11:43 Uhr (030)


Dr. Anja Wolde (Mitte), Leiterin des Gleichstellungsbüros, und Saskia-Fee Bender (l.), Koordinatorin des Diversitätskonzeptes, im Gespräch mit dem UniReport


Frau Dr. Wolde, Frau Bender, was ist eigentlich das Neue an dem Begriff der Diversität?

Wolde: Diversität bedeutet ja erst einmal Vielfalt, Heterogenität. Ziel einer Institution sollte es sein, Vielfalt herzustellen bzw. mit der vorhandenen Vielfalt an Beschäftigten und Studierenden so umzugehen, dass alle gleiche Chancen auf Bildung, Arbeit und Einkommen haben. Was den Begriff Diversität wohl von der Verwendung des Begriffs der Chancengleichheit unterscheidet ist, dass er weniger von einer Defizit- und Problemorientierung ausgeht. Vielfalt birgt viele Potenziale – das Miteinander vieler verschiedener Fähigkeiten erbringt etwas Neues auch für eine Institution.

Bender: Das ist ein Ansatz, der ursprünglich aus den USA, aus der Bürgerrechtsbewegung kommt und dann von Unternehmen aufgegriffen wurde: Gemischte Teams, in denen Menschen einen unterschiedlichen Hintergrund haben, arbeiten demnach produktiver als homogene Teams.

Ist das an einer Bildungseinrichtung wie einer Universität anders?

Bender: Bei uns kommt es nicht primär auf den Profit von Diversität an. Wir unterstreichen vor allem den Aspekt der Chancengleichheit. Eine Person im Rollstuhl beispielsweise benötigt nun einmal an bestimmten Stellen im Alltag Barrierefreiheit. Wir sprechen lieber von Diversity Policies, nicht von Diversity Management. Der Diskurs der Chancengleichheit und der des Ökonomischen schließen aber einander nicht völlig aus.

Warum hat der Diversitäts-Diskurs gerade jetzt Konjunktur?

Wolde: Das erste Stichwort wäre der demographische Wandel, der einen Fachkräftemangel erzeugen wird. Das zweite Stichwort wäre Globalisierung, also die zunehmende ethnische und kulturelle Heterogenität in der Gesellschaft. Auch die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt wäre zu nennen: Da kommt es dann darauf an, sich immer wieder auf neue Kontexte einzustellen.

Welche Zielgruppen schließt Ihr Diversitäts- Konzept ein?

Bender: Es richtet sich grundsätzlich an alle. Wir haben den Schwerpunkt aber zuerst einmal auf Studierende gelegt, da uns das Ergebnis unserer Analyse gezeigt hat, dass der Bedarf dort sehr hoch ist. Aber in der vorgesehenen Fortschreibung des Konzeptes werden auch die Mitarbeiter eine Berücksichtigung finden.

Wolde: Wir haben uns im Vorfeld gefragt: Was gibt es hier überhaupt schon für Aktivitäten, auch wenn diese den Begriff Diversität nicht verwenden? Wir haben unter diesem Aspekt fast 150 Initiativen an der Goethe-Universität erfassen können! Diese richten sich vor allen an Studierende. Gerade weil vieles schon vorhanden ist, lassen sich Synergieeffekte nutzen.

Wie erklären Sie sich die Vorreiterrolle, die die Goethe-Universität beim Thema Diversität innehat?

Wolde: Ich würde das unter anderem auf die große Tradition der Sozialwissenschaften zurückführen, die einer kritischen und aufgeweckten Universität den Weg gebahnt haben. Wir können aber auch auf Erfahrungen zurückgreifen, die wir in der Gleichstellungsstelle sammeln konnten. Ferner haben wir auch eng mit der Stadt zusammengearbeitet, mit dem Integrationsdezernat und dem Amt für kulturelle Angelegenheiten. Das Integrations- und Diversitätskonzept der Stadt ist vorbildhaft für viele andere Kommunen.

Bender: Die institutionelle Verankerung an der Goethe-Universität durch eine eigens geschaffene Stelle für Diversität ist sicherlich auch eine Erfolgsbedingung.

Wo sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?

Wolde: Ein wichtiger Punkt ist grundsätzlich die Sensibilisierung der Lehrenden für die Wertschätzung von Diversität in der Bildung. Wir bieten zusammen mit dem Interdisziplinären Kolleg Hochschuldidaktik Seminare für Lehrende an, schulen Tutoren im Rahmen des Programms „Starker Start ins Studium“; eine dritte Gruppe ist die der Beratenden. Wir wollen aber auch selber sensibel sein für neue „Baustellen“ und künftig weiterhin mit möglichst vielen Statusgruppen der Universität zusammenarbeiten. Vielfalt braucht einen langen Atem. Wir sind ja auch schon seit 30 Jahren mit Fragen der Gleichstellung von Frauen befasst, da ist ja auch noch einiges zu tun.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Wolde: Der Biowissenschaftler und Vizepräsident der Goethe-Universität, Prof. Enrico Schleiff, sagte mir kürzlich, dass zirka 80 Prozent seiner Doktoranden weiblich sind. Nach der Promotion dagegen schrumpft der Frauenanteil unter den Mitarbeitern radikal zusammen. Das kann und darf nicht sein. Das bedeutet nämlich, dass ein großer Teil der guten Frauen aus dem Wissenschaftssystem ausscheidet. Wenn man nur auf Homogenität setzt, erzeugt man langfristig Mittelmaß.

Sollte Diversität in einer Bildungseinrichtung institutionalisiert sein?

Wolde: Die Beschäftigung mit Diversität setzt in der Tat voraus, dass Bildungseinrichtungen differenzieren und ihre eigenen Kategorien und Stereotypen hinterfragen. Inklusion gefällt mir persönlich als Begriff daher besser als Integration, weil er die Offenheit einer Institution für neue Zielgruppen von der Institution her denkt. Die „Universität des dritten Lebensalters“ an der Goethe-Universität wäre übrigens hier positiv zu nennen. Das Studieren im Rentenalter sollte als Chance betrachtet werden, an Bildung im Sinne des lebenslangen Lernens zu partizipieren.

Bender: Es wäre in diesem Zusammenhang auch interessant zu fragen, wie es sich für die Älteren anfühlt, mit Jüngeren zu lernen.

Vielen Dank für den Hinweis, wir werden dem in einer der nächsten Ausgaben des UniReports einmal nachgehen!

Dieses Interview ist in der Ausgabe 3-2012 des UniReports erschienen.