Das Institut im Profil
Das wissenschaftliche Profil des Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam ist einer selbstreflexiven, überkonfessionellen Islamischen Theologie verpflichtet. Im Bewusstsein der methodisch-theoretischen Pluralität der Wissenschaften wie auch der lebensweltlichen Vielfalt komplexer Gesellschaften versteht diese sich als eine bekenntnisorientierte Wissenschaft, die sich an den Diskursen über allgemeine, akademisch wie gesamtgesellschaftlich relevante Fragen mit eigenen Perspektiven und unter Offenlegung der eigenen Voraussetzungen beteiligt. Dieses Leitbild wurde im Zuge des Aufbaus des Instituts in vielen Diskussionen unter seinen Mitgliedern entwickelt.
Aufbau des Instituts
Das Institut geht auf die Stiftungsgastprofessur für Islamische Religion am Fachbereich Evangelische Theologie zurück, die 2002 von der türkischen Religionsbehörde Diyanet gestiftet und 2005 um eine und 2009 um eine weitere Stiftungsprofessur erweitert worden ist. Am 17. Juni 2009 wurden diese Stiftungsprofessuren am Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften angesiedelt und dem neu gegründeten Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam zugeordnet. Bereits im Jahre 2002 wurde als oberstes Ziel die Förderung des intertheologisch-akademischen Diskurses und des wissenschaftlichen Nachwuchses definiert. Die Zielsetzung, das wechselseitige Verständnis der Weltreligionen zu fördern, erfordert in Lehre und Forschung eine wissenschaftliche Orientierung, die sich zunächst auf die wissenschaftliche Erschließung des Islams im Rahmen eines pluralistischen Wissenschaftsdiskurses konzentriert, um anschließend, anders als in der Orientalistik oder Islamwissenschaft, Reflexionsprozesse über die Rückbezüge der wissenschaftlichen Erkenntnis auf Konstituierungsprozesse der muslimischen Subjektivität anstoßen zu können. Vor dem Hintergrund dieser vorrangig diskursiv-theologischen Ausrichtung versteht sich das Institut als eine Einrichtung, die der pluralistischen Wissenschaftstradition innerhalb des Islams aus einer reflektierenden und überkonfessionellen Perspektive heraus verpflichtet ist.
Am 29. Januar 2010 hat der Wissenschaftsrat Empfehlungen für den Auf- und Ausbau der Islamischen Studien beziehungsweise der Islamischen Theologie innerhalb des staatlichen Hochschulsystems herausgegeben, die im Kern die oben skizzierten Zielsetzungen des Instituts bestätigt haben. Die Empfehlungen konzentrieren sich unter anderem auf die Frage, wie der religiösen Pluralisierung in Deutschland auf einem anerkannten wissenschaftlichen Niveau in universitärer Forschung und Lehre Rechnung getragen werden kann, wobei auch der hiesige Islam und seine Theologie Berücksichtigung finden sollen. Entsprechend der Empfehlung des Wissenschaftsrats hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2010 die Förderung von Zentren für islamisch-theologische Studien an mehreren Standorten beschlossen. Kern dieser Unterstützung sind Forschungsprofessuren und die Einrichtung wissenschaftlicher Nachwuchsgruppen. Die Zentren sollen laut den Vorgaben des BMBF international anerkannte Orte islamisch-theologischer Forschung werden und den wissenschaftlichen Nachwuchs in Islamischer Theologie für die Schulen und Hochschulen fördern. Das Ziel ist es, islamische ReligionslehrerInnen für den bekenntnisorientierten Schulunterricht auszubilden und ein wissenschaftlich fundiertes theologisches Studium im staatlichen Hochschulsystem zu ermöglichen. Nun sind an vier Standorten (Frankfurt/Gießen, Münster/Osnabrück, Erlangen-Nürnberg und Tübingen) Zentren für Islamisch-theologische Studien entstanden, die das Fach unterschiedlich benennen, den Fächerkanon unterschiedlich gliedern und ihre wissenschaftlichen Profile verschieden akzentuieren.
In diesem Rahmen wurde 2012 das Zentrum für Islamische Studien Frankfurt/Gießen durch Unterstützung des BMBF sowie des Landes Hessen in Kooperation der Goethe-Universität Frankfurt mit der Justus-Liebig-Universität Gießen gegründet. Es vereint die drei Professuren des Instituts für Studien der Kultur und Religion des Islam an der Goethe-Universität (Professuren für Koranexegese, Ideengeschichte des Islam sowie Kultur und Gesellschaft des Islam in Geschichte und Gegenwart) mit der Professur für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Islamische Religionspädagogik und Fachdidaktik des Islamischen Religionsunterrichts in Frankfurt sowie der Professur für Islamische Theologie und ihre Didaktik in Gießen, und es koordiniert deren Lehr- und Forschungsaktivitäten. Darüber hinaus bietet das Zentrum einen Rahmen für die Zusammenarbeit mit benachbarten Disziplinen wie den Christlichen Theologien, der Judaistik, der Religionswissenschaft und weiteren Kultur- und Sozialwissenschaften sowie den Islamischen Theologietraditionen in der islamischen Welt.
Leitbild: Islamische Theologie als Wissenschaft
Da die Offenbarung des Korans einen sprachlichen Charakter hat und der Koran deswegen die Manifestation der kommunikativen Intention Gottes darstellt, stehen die arabische Sprache sowie deren Verständnis und Deutung im Zentrum der islamisch-theologischen Disziplinen. So war es von Anfang an Ziel der muslimischen Gelehrten, die Intention Gottes in den Koranversen aufzudecken und demgemäß Rechtsbestimmungen für die sich entwickelnde muslimische Gemeinde zu formulieren. Die Analyse der Sprache diente diesen Gelehrten als eine objektive Grundlage zur Konsensfindung, und eine Handlungsnorm hatte nur dann Geltung, wenn sie zuerst für die Gelehrten und dann für alle Teilnehmer einer Gesellschaft rational nachvollziehbar und somit konsensfähig war. In der Systematischen Theologie (dem sogenannten kalām), die den Koran als Grundlage ihrer Argumentation betrachtete, ihn rational durchdrang und gegenüber Andersgläubigen im Rahmen der im 8. Jahrhundert einsetzenden intellektuellen Auseinandersetzung zu verteidigen suchte, spielte die Logik eine wichtige Rolle. So entstanden viele muslimische Wissenschaftsdisziplinen aus einer intensiven Beschäftigung der Muslime mit dem Koran unter verschiedensten Gesichtspunkten.
Diese wissenschaftlichen Zugänge unterlagen ihrerseits kontextuellen Bedingungen, da sie von Gelehrten in spezifischen Kontexten und lebensweltlichen Zusammenhängen entwickelt wurden. Eine genaue Auseinandersetzung mit den historischen und gegenwärtigen Kontexten muslimischen Denkens ist für eine reflektierende Betrachtung des Islams daher unabdingbar. Die Berücksichtigung der Kontextualität in der gegenwärtigen Islamischen Theologe sollte darüber hinaus auf weiteren Ebenen stattfinden, da neben den kontextuellen Bedingungen der Wissenstraditionen die gegenwärtigen Kontexte und die Positionalität der forschenden Subjekte der Islamischen Theologie selbst ebenso zu reflektieren sind wie die inhaltliche Positionierung zur Frage der Kontextualität innerhalb der islamischen Wissensfelder.
In einem weiteren Sinne kann die Islamische Theologie im Hinblick auf ihre theologischen Kerngehalte, insbesondere in ihren Annahmen über das Wahre und Unbedingte zu Debatten um Normativitäts- und Wahrheitsansprüche beitragen, die zentraler Bestandteil einer sich ihrer eigenen normativen Grundlagen bewussten pluralistischen Öffentlichkeit sind.