Interview: „Kritische Selbstbeobachtung ist in der Wissenschaft kontinuierlich nötig“

Fragen an Prof. Dr. Peter Strohschneider anlässlich der 1. Dagmar Westberg-Vorlesung an der Goethe-Universität

Veröffentlicht am: Dienstag, 20. November 2012, 15:00 Uhr (055)

Peter Strohschneider ist Professor für Germanistische Mediävistik an der LMU München und designierter Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Er spricht an der Goethe-Universität zum Thema „Möglichkeitssinn. Geisteswissenschaften und Gesellschaft“. Die Vorlesungen finden jeweils am Donnerstag – 22.11., 29.11. und 6.12. – auf dem Campus Westend, Hörsaalzentrum, HZ 9, 18 Uhr statt.

Herr Professor Strohschneider, ist das Ihr erster Lehrauftrag an der Goethe-Universität?

Strohschneider: Ja. Allerdings habe ich vor kurzem mit einem Frankfurter Kollegen im Forschungskolleg Humanwissenschaften der Universität und der Werner Reimers-Stiftung in Bad Homburg ein Kolloquium veranstaltet. Und selbstverständlich kenne ich die Universität ein wenig aus meiner Zeit als Vorsitzender des Wissenschaftsrates und aus der Exzellenzinitiative.

Welchen Ruf hat die Goethe-Universität?

Strohschneider: Die Universität Frankfurt ist im Moment gewiss eine der besonders interessanten, sich dynamisch entwickelnden Universitäten in Deutschland.

Obgleich sie nicht zu den elf deutschen Universitäten zählt, die den Elite-Titel tragen?

Strohschneider: Ja, trotz des Nichterfolgs, der aus meiner Sicht keine Niederlage ist. Allein schon der Exzellenzcluster zur Herausbildung Normativer Ordnungen erzeugt etwa in den historisch-hermeneutischen Wissenschaften große Ausstrahlungskraft. Hier gehört die Goethe-Universität inzwischen zu dem Kreis der führenden deutschen Einrichtungen, neben etwa den beiden Berliner Universitäten, Göttingen, Freiburg, Heidelberg, München oder Tübingen.

Sie sind der erste Professor, der auf die neue Westberg-Stiftungsprofessur berufen wurde. Zeigt die Initiative wider so mancher Annahmen nicht, dass auch die Geisteswissenschaften eine gesellschaftliche Wertschätzung haben?

Strohschneider: Ich teile nicht die Meinung, dass die Geisteswissenschaften generell mit dem Rücken zur Wand stehen. Das zeigt ja gerade das Beispiel Goethe-Universität. Auch was die Forschungsförderung anbelangt, und hier insbesondere  die  Exzellenzinitiative von Bund und Ländern, so haben die Geisteswissenschaften weit überdurchschnittlich abgeschnitten. Überhaupt liegen die eigentlichen Probleme der Geisteswissenschaften weniger in der Forschung als in der Überlast der grundständigen Lehre.

Die Goethe-Universität mag bei der Exzellenzinitiative mit den Geisteswissenschaften überaus erfolgreich gewesen sein, doch bundesweit sind hier solch große Verbundprojekte doch eher die Ausnahme.

Strohschneider: Ich würde sagen: Es gibt offenkundig sehr erfolgreiche geisteswissenschaftliche Großverbünde, etwa in Frankfurt, in Berlin, in Münster oder Konstanz. Es ist aber ganz falsch,  bloße Fördervolumina schon als Indikator für die Wertschätzung einer bestimmten Disziplin zu nehmen.

Bei der Exzellenzinitiative war jedoch der Individualforscher, der klassischer Weise ein  Geisteswissenschaftler ist, nicht gerade gefragt.

Strohschneider: Die Exzellenzinitiative ist zweifellos ein Programm, das sich von anderen  Förderprogrammen deutlich unterscheidet. Man muss aber dieses sehr spezielle Programm stets komplementär zu allen weiteren Förderverfahren sehen. Und mit den Graduiertenschulen gab es auch bei der Exzellenzinitiative ein Format, bei dem die Geisteswissenschaften höchst erfolgreich waren.

Dennoch führte gerade die Exzellenzinitiative zur großen Debatte über die Förderformate und die Frage nach den Chancen der Geisteswissenschaften.

Strohschneider: Das war vor allem zu Beginn der Exzellenzinitiative und nach den ersten Entscheidungen 2006 so. Die Aufregung hat sich jedoch schon 2007 und auch bei den Entscheidungen in diesem Jahr gelegt. Davon abgesehen: Ich befinde mich zur Zeit, also wenige Wochen vor der Übernahme des Amts als DFG-Präsident, in einer Phase, in der viele meinen, und ganz zu Recht, sie sollten mir den einen oder anderen wichtigen Hinweis mit auf den Weg geben. Und da fällt mir auf, dass mich sehr viele Naturwissenschaftler auf die herausragende Bedeutung der Einzelförderung hinweisen. Was ich damit sagen will: In allen Wissenschaftsbereichen  gibt es ein breites Spektrum von Förderformaten und Organisationsformen, auch in den Geisteswissenschaften. Und das ist richtig so: Es geht um eine funktionale Differenzierung dieser Strukturen gemäß den Bedürfnissen der Forschung, nicht um eine Bedeutungs-Hierarchisierung.

Wird das auch Ihre Haltung als künftiger DFG-Präsident sein?

Strohschneider: Das ist keine Frage alleine meines künftigen Amtes, sondern seit langem meine feste wissenschaftspolitische Überzeugung.

Sie selbst haben gleich unmittelbar nach Ihrer Wahl im Sommer gesagt, die DFG müsse ihre Kriterien und Verfahren ständig selbstkritisch überdenken.

Strohschneider: Kritische Selbstbeobachtung ist in der Wissenschaft und in allen ihren Organisationen kontinuierlich nötig - und auch in anderen Gesellschaftsbereichen schadet sie übrigens selten.

Steht die größte deutsche Förderorganisation heute nicht mehr denn je unter Legitimationsdruck durch die verschiedensten Wissenschaften und ihre Kulturen?

Strohschneider: Jedenfalls kommt ihr, vor allem auch angesichts der strukturellen Unterfinanzierung der Universitäten, eine wachsende Verantwortung zu.

Heißt das, als DFG-Präsident werden Sie gemeinsam mit den Universitäten gegen die öffentliche Unterfinanzierung der Universitäten vorgehen?

Strohschneider: Wann immer es in Deutschland um Forschungsförderung geht, geht es auch um Forschungsfinanzierung. Und zentral sind hier das Problem der strukturellen Unterfinanzierung der Universitäten in der Lehre wie in der Forschung sowie das Finanzierungsungleichgewicht zwischen hochschulischer und außeruniversitärer Forschung.

Ist die so typisch deutsche Trennung zwischen außeruniversitärer und universitärer Forschung also ein Fehler, der behoben werden muss?

Strohschneider: Die so genannte Versäulung der Wissenschaft ist ja in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, das Spektrum der Kooperationen zwischen außeruniversitären und universitären Einrichtungen ist breiter geworden. Wie intensiv derlei Kooperationen sind, zeigen  Verknüpfungen von Universitäten und außeruniversitären Instituten etwa in Karlsruhe, in Göttingen oder neuerdings jetzt in Berlin. Teilweise handelt es sich um Wirkungen der Exzellenzinitiative, aber es hat auch das wissenschaftspolitische Gewicht außeruniversitärer Einrichtungen wie der Helmholtz-Gemeinschaft und der Leibniz-Gemeinschaft zugenommen.

Ist also davon auszugehen, dass diese Dualität bald der Vergangenheit angehört?

Strohschneider: Institutionenpolitisch ist das durchaus denkbar. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Forscherinnen und Forscher in ihrer praktischen Arbeit sozusagen gar nicht merken, in welchem organisatorischen Gefüge sie sich momentan befinden – ob in einer Universität, in einer außeruniversitären Einrichtung oder unter einem gemeinsamen Dach. Die normative Zielvorstellung wäre eigentlich, dass die organisatorische Verfassung der Forschungseinrichtungen für den Forschungsprozess selbst immer unwichtiger wird.

Gründe für solche Zusammenschlüsse wären ja eine stärkere internationale Sichtbarkeit deutscher Forschung, die trotz Exzellenzinitiative nicht in gewünschter Form eingetreten ist. Zumindest hat es keine Universität im weltweiten Ranking auf Platz fünf geschafft.

Strohschneider: Generell ist sicherlich zu konstatieren, dass sich die Lage der deutschen Universitäten und auch der Forschungsförderung in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat. Dass etwa deutsche Nachwuchswissenschaftler in großer Zahl aus den Vereinigten Staaten wieder nach Deutschland zurückkehren wollen, das wäre doch 2005 so noch nicht denkbar gewesen. Die Annahme jedoch, dass man mit den Mitteln der Exzellenzinitiative in fünf Jahren Universitäten wie Harvard oder Stanford schaffen könne, die war doch von Beginn an nicht wirklich ernst zu nehmen.

Umso wichtiger ist es, dass die Mittel, die im Zuge der Exzellenzinitiative ins System kamen, dort nun auch bleiben, um eine bestimmte Nachhaltigkeit der Projekte sichern zu können.

Strohschneider: Das wird sicherlich eine Kernaufgabe künftiger Wissenschaftspolitik werden.

Die Exzellenzinitiative hat nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer hervorgebracht. Was raten Sie jenen Universitäten, die jetzt den Elite-Titel wieder abgeben mussten.

Strohschneider: Man kann sie nur ermuntern, aufzustehen und weiterzuarbeiten. Denn tatsächlich sind ja die Haushaltsschwierigkeiten dieser Universitäten in gewisser Hinsicht noch gravierender als die Reputationseinbuße, weil ja längst eingeplante Fördermillionen nun fehlen werden.

War es die richtige Entscheidung, eine Bundesliga zu etablieren, die nach drei Runden wieder abgesetzt wurde? Wäre es nicht logischer, die Exzellenzinitiative fortzuführen?

Strohschneider: Ich bin ja ein Befürworter der Exzellenzinitiative, nicht nur weil ich zu ihrem Start als Vorsitzender des Wissenschaftsrates involviert war, sondern weil sie zu einer Dynamisierung geführt hat, derer die deutsche Wissenschaftslandschaft dringend bedurfte. Ich glaube aber, dass man ein Wettbewerbsverfahren nicht beliebig lange derart hochtourig betreiben kann. Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, an dem man wieder ein wenig entschleunigen sollte. Es muss Gelegenheit sein, aus dem permanenten Anträge-Schreiben und Anträge-Begutachten auch wieder herauszukommen und sich intensiver Forschung zuzuwenden. Deshalb meine ich, dass man jetzt nicht einfach eine vierte und fünfte Runde der Exzellenzinitiative anschließen kann.

Zurück nach Frankfurt. Mit dem Exzellenzcluster Herausbildung Normativer Ordnungen ist es gelungen, an die Bedeutung der kritischen Theorie der Frankfurter Schule anzuknüpfen. Auch der aktuelle DFG-Förderatlas zeigt, dass die Universität gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften stark aufgestellt ist. Sollte sie dieses Profil noch mehr schärfen?

Strohschneider: Es würde mich freuen. Und es muss ja nicht zwingend auf Kosten anderer Bereiche der Universität gehen. In den Geisteswissenschaften spielt die Goethe-Universität jedenfalls eine besonders profilierte Rolle. Das hat mit ihrem kulturellen Ort und ihren politischen Traditionen zu tun, aber auch mit dem Exzellenzcluster und seiner Forschungsumgebung; ich nenne beispielhaft nur das Institut für Friedens- und Konfliktforschung. Es hat auch zu tun mit der neuen Qualität der Infrastruktur auf dem Campus Westend. Und es hat nicht zuletzt, ja vor allem andern mit einigen herausragenden Berufungen zu tun.

Worüber wollen Sie in Frankfurt sprechen?

Strohschneider: Ich werde über die historisch-hermeneutischen Wissenschaften sprechen. Und über ihre Aufgabe, den gegenwärtigen Wirklichkeiten ihre Alternativen bewusst und verfügbar zu machen: ihre normativen, intellektuellen, historischen, kulturellen und ästhetischen Alternativen. Es geht mithin um den Möglichkeitsreichtum unserer Gesellschaft und also letztlich darum, wie sie eine freie Gesellschaft sein kann.

Die Fragen stellte Christine Burtscheidt, Persönliche Referentin des Präsidenten der Goethe-Universität.