Postdoc-Programme

Am Institut sind durch die Förderung des BMBF zwei Nachwuchsgruppen für Islamische Studien mit dem folgenden Arbeitstitel gegründet worden: Dialektik der Wissens- und Methodenbegriffe in den Islamischen Studien: Tradition - Modifikation – Innovation.

Vorüberlegungen

Der Islam als religiöses Zeichensystem individueller und kollektiver Identitäten ist wie jedes diskursive System auf Überlieferung angelegt. Über die Tradition, welche ein Reservoir an Vorstellungen über das Selbst und Mechanismen der Kontingenzbewältigung bereitstellt, wird eine individuelle und kollektive Vorstellung des „Sich-Selbst-Gleichseins“, d.h. Identität erzeugt. Hierin liegt eine wichtige soziale Bedeutung von Religion. Doch der konservierende Aspekt von Religion kann nur dann seine Wirkung entfalten, wenn Religion als Zeichensystem immer wieder neue Antworten auf ein im Wandel begriffenes Umfeld bereithält, indem durch De- und Rekonstruktion und Neudeutung der Tradition Innovationen geschaffen werden. Hierbei spielt der jeweilige Wissens- und Methodenbegriff eine wichtige Rolle, denn dadurch wird die Tradition immer wieder neu gedeutet.

Der Begriff Wissen (ʿilm) hat sich für den muslimischen Kulturkreis als zentral und konstitutiv erwiesen. Dies ist nicht nur für die klassische Zeit so gewesen, sondern auch die späteren Jahrhunderte sind hier gefolgt. Umso erstaunlicher ist es, dass von einer systematischen Erschließung oder begriffsgeschichtlichen, die Grenzen spezifischer Disziplinen übersteigender Analyse dieses Begriffs innerhalb des islamischen Denkens nicht die Rede sein kann, auch wenn das moderne muslimische Denken epistemologische Fragen, angefangen von den im 19. Jahrhundert entstandenen »Erneuerungsbewegungen« bis heute immer wieder ins Zentrum rückt. Ausgehend von den im Koran und Sunna verwendeten Begriffsbestimmungen haben sich die Wissenskonzeptionen der muslimischen Tradition, begünstigt durch den Kontakt mit den neuen Kulturräumen, ausdifferenziert und pluralisiert. Hierauf deuten die nun aufkommende Verwendung des Begriffs ›Wissen‹ im Plural (ʿulūm) und der zunehmende Grad von Spezialisierung und Professionalisierung, der die Ausprägung der islamischen Wissenschaften mit ihren spezifischen Methoden ermöglicht hat

In dieser historischen Konzipierung sind Tradition und Innovation nicht voneinander getrennt zu betrachten, auch wenn ihr Zusammenhang oftmals verwischt wird. Innovation und De- und Rekonstruktion sowie Neudeutung mögen im islamischen Diskurs zwar immer wieder stattgefunden haben, mussten aber auf die Tradition zurückgeführt werden, wenn sie erfolgreich in bestehende Konzepte von Identität integriert werden wollten. So wurden und werden aus der Außenperspektive oftmals sichtbare Modifikationen und Innovationen, in der Binnenperspektive vielmehr als Wiederherstellung der wahren Tradition gerechtfertigt. Solche Innovationen können ihrerseits Bestandteil von Tradition werden. Tradition wohnt damit auch ein kreatives Element inne. Durch die ganze islamische Geschichte hat es diese Trias gegeben. Diese reicht von der Schaffung von Traditionen z.B. der Normierung der Vorstellungen der frühislamischen Geschichte in den entsprechenden Geschichtswerken, bis hin zur Relektüre der Tradition in Bezug auf gegenwärtige Herausforderungen des Islam in Europa.

Frankfurter Postdoc-Gruppen

Ziel der Frankfurter Nachwuchsgruppen Islamische Studien ist es, aus historischer und zeitgenössischer Perspektive nach den Prozessen und Mechanismen zu fragen, die Tradition schaffen, Traditionen vergessen lassen oder wieder in Erinnerung rufen, um jeweils aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Die Nachwuchsgruppe steht damit für eine selbstreflexive Auseinandersetzung, darin dem Anspruch des Studiengangs folgend, die eigene Tradition durch kritische Reflexion kreativ zur Problemlösung in neuen Kontexten zu nutzen.

Auch die Empfehlungen des Wissenschaftsrates sprechen davon, dass Theologien „keine ihnen exklusiv eigenen Forschungsmethoden oder Erkenntnisweisen“ kennen, sondern dem „Methodenkanon der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften verpflichtet“ sind. In diesem Sinne plädiert der Wissenschaftsrat für eingehende Kooperationen der neu zu gründenden Islamischen Studien mit etablierten christlichen Theologien, den islamwissenschaftlichen Fächern sowie den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Derartige interdisziplinäre Transferleistungen stellen jedoch keinen Automatismus dar. Vielmehr sind hier seitens der Islamischen Theologie erhebliche Vorleistungen zu erbringen, deren Kernbestandteile die Rekonstruktion und Bewusstmachung der Konstituierungsprozesse der bereits in der islamischen Tradition angelegten Anschlussdiskurse und ihre Aktualisierung im Kontext eines pluralistischen Wissenschaftsverständnisses umfassen.

Vor diesem Hintergrund sind zwei Postdoc-Gruppen entstanden, die sich der Dialektik der Wissens- und Methodenkonzepte in den Islamischen Studien in der Trias „Tradition - Modifikation - Innovation“ widmen.
Angestrebt ist die enge Zusammenarbeit der Teilnehmenden der beiden Postdoc-Gruppen, unter anderem, um Verwendungsweisen bestimmter Begrifflichkeiten, die in den unterschiedlichen Disziplinen als operative Konzepte fungieren, auf Ähnlichkeiten und Differenzen hin zu untersuchen, und so die Bedingungen komparativer Studien auch im Rahmen einer begriffsgeschichtlichen Analyse bestimmen zu können.