Projekleitung/Antragsstellung: Jun. Prof. Dr. Birgit Brandt und Prof. Dr. Rose Vogel

Projektdurchfürhung/Stipendiatin: Kerstin Tiedemann


Zielsetzung des Projektes

Schon bevor Kinder in die Schule kommen, sammeln sie vielfältige mathematische Erfahrungen – insbesondere auch im Familienalltag: Zutaten abmessen beim Kochen und Backen, Tisch decken für die Familie, verschiedenste Dinge sortieren und ordnen, Hausnummern und Telefonnummern notieren, Würfelaugen abzählen, Ziffern lesen bei Kartenspielen u.v.m.

In der aktuellen Bildungsdiskussion lässt sich hingegen eine Verengung der Diskussion auf institutionelle Bildungsprozesse feststellen (vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen, 2002) – Familien werden bestenfalls unter der defizitären Perspektive „bildungsfern“ als Risikofaktor für die institutionelle Bildung in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion wahrgenommen. Von der Wissenschaft wird auch im Bereich der frühkindlichen Bildung die Familie als Ort für entscheidende Entwicklungsprozesse nur unzureichend in den Blick genommen. Dabei sind Erkenntnisse über die Bildungserwerbsprozesse in diesem Lebensbereich dringend notwendige Voraussetzungen für ‚gute‘ Entscheidungen im Bereich der institutionellen Bildung (vgl. Grundmann et al., 2007).

Diese Fokussierung auf institutionelle Kontexte und ein Defizit an Forschung im Bereich familialer Erwerbsprozesse lässt sich so auch für die (deutschsprachige) mathematikdidaktische Forschung feststellen. Das Projekt „Sprache und ihre fundamentale Bedeutung für frühe mathematische Lernprozesse – untersucht im Kontext familialer Spiel- und Alltagssituationen“ setzt genau in diesem Forschungsdesiderat an. Untersucht wird die familiale Unterstützung früher mathematischer Lernprozesse in Vorlese- und Spielsituationen. Mit Methoden der Interpretativen Forschung und in interaktionistischer Perspektive wird dabei der Frage nachgegangen: Wie wird die Unterstützung mathematischer Lernprozesse in Mutter-Kind-Diskursen realisiert? Lassen sich die Unterstützungen hinsichtlich ihrer Ausrichtung unterscheiden und sind diese Ausrichtungen charakterisierend für bestimmte Mutter-Kind-Paare?

Forschungsmethode und Design der Studie

Dieser Forschungsfrage wird in einer longitudinal angelegten Videostudie nachgegangen. Empirische Grundlage der Studie sind Videoaufnahmen von Vorlese- und Spielsituationen von insgesamt zehn Mutter-Kind-Paaren. Zeitlich umfasst die Studie fünf Termine von jeweils 60 Minuten Länge. Die ersten vier Termine verteilten sich im letzten Vorschuljahres des Kindes, der letzte Termin fand einige Wochen nach der Einschulung statt.

Erhebungsplan



Den teilnehmenden Mutter-Kind-Paaren wurde zu jedem Erhebungstermin eine Auswahl handelsüblicher Bilderbücher und Spiele zur Verfügung gestellt. Auswahlkriterium für die Bilderbücher und Spiele war, dass aus Sicht der Forscherinnen im Umgang mit diesen potentiell mathematische Diskurse realisiert werden können. Konkret für didaktische Zwecke entwickeltes Material wurde nicht eingesetzt. Den Teilnehmenden war zudem freigestellt, eigene Materialien zusätzlich einzubringen.

Das Projekt wurde von Januar 2008 bis Dezember 2010 im Rahmen der Graduiertenförderung der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main durch ein Stipendium gefördert.Alle beteiligten Kinder sind im August 2009 eingeschult worden. Die ersten vier Termine verteilten sich im letzten Vorschuljahres des Kindes, der letzte Termin fand einige Wochen nach der Einschulung statt.

Das Projekt ist inzwischen abgeschlossen. Als Projektbericht liegt die Dissertationsschrift von Dr. Kerstin Tiedemann vor (Tiedemann 2012).


Literatur:

Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen beim BMFSFJ (2002):Die bildungspolitische Bedeutung der Familie. Folgerungen aus der PISA-Studie. Schriftenreihe des BMFSFJ, Bd, 24. Stuttgart: Kohlhammer.

Grundmann, M.; Dravenau, D., Bittlingsmeyer, U & Edelstein, W. (2007): Bildung als Privileg und Fluch – zum Zusammenhang zwischen lebensweltlichen und institutionalisierten Bildungsprozessen. In R. Becker & W. Lauterbach (Hrsg.): Bildung als Privileg – Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit (S. 47-74) Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.

Ausgewählte Publikationen:

Brandt, B. & Tiedemann, K. (2011): Alltagspädagogik in mathematischen Spielsituationen mit Vorschulkindern. In B. Brandt, R. Vogel & G. Krummheuer (Hrsg.): Die Projekte erStMaL und MaKreKi. Mathematikdidaktische Forschung am „Center for Individual Development and Adaptive Education“ (IDeA).Reihe Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, Band 10. (S. 91-134). Münster: Waxmann.

Tiedemann, Kerstin (2012): Mathematik in der Familie. Zur familialen Unterstützung früher mathematischer Lernprozesse in Vorlese- und Spielsituationen. Reihe Empirische Studien zur Didaktik der Mathematik, Band 13. Münster: Waxmann (Dissertationsschrift)

Tiedemann, Kerstin (2010): Support in mathematischen Mutter-Kind-Diskursen: Funktionale Betrachtung einer Interaktionsroutine. In B. Brandt, M. Fetzer & M. Schütte (Hrsg.): Auf den Spuren interpretativer Unterrichtsforschung. Reihe Empirische Forschung in der Mathematikdidaktik, Band 5 (S. 149-175). Münster: Waxmann.

Tiedemann, K. & Brandt, B. (2010): Parents’ Support in Mathematical Discourses. In U. Gellert, E. Jablonka & C. Morgan (Eds.): Proceedings of the 6th International Conference on Mathematics Proceedings of the 6th International Conference on Mathematics Education and Society (p. 457-468). Berlin, Deutschland (20.-25.03.2010).
(http://www.ewi-psy.fu-berlin.de/en/v/mes6/documents/proceedings/15072010.pdf)