Archäologisch-naturwissenschaftliche Untersuchungen zum römischen Glas aus dem Rheinland

Jennifer Komp M.A.

Das Material Glas stellt die archäologische Forschung immer noch vor zahl­reiche ungelöste Rätsel. Selbst die Frage, wann und wo in der Welt erstmals Glas hergestellt und verarbeitet wurde, kann bis heute nicht präzise beantwor­tet werden. Da es bereits in vorgeschichtlicher Zeit benutzt wurde, existieren keine zeitgenössischen Aufzeichnungen über seine Entdeckung. Der älteste diesbezügliche Hinweis ist eine Sage, die der römische Gelehrte C. Plinius Secundus in seiner Enzyklopädie Naturalis historiae (36,191) aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. überliefert: Demnach sollen vor langer Zeit an der Küste Phöniziens, bei der Mündung des Flusses Belos, einige Natronhändler gelandet seien und Stücke ihrer Ladung als Herdstellen verwendet haben, weil sie dort keine geeigneten Steine finden konnten. Durch die Hitze des Feuers seien schließlich Natron und Sand verschmolzen, so daß eine neue durchsichtige Flüssigkeit entstand.

(Bilder durch Anklicken vergrößerbar)


Abb. 1: Fensterglas von der Saalburg.

Aus heutiger Sicht erscheint diese Sage äußerst unwahrscheinlich. Der Ursprung des Glases ist vermutlich viel mehr im Töpferhandwerk zu suchen. Als natürliche Glasur kommt es auf Keramik in Mesopotamien und Ägypten bereits seit dem 5. Jahrtausend v.Chr. vor. Als sogenannte Fayence seit der 2. Hälfte des 4. Jahrtausends v.Chr. Als eigenständiger - vom Ton gelöster - Werkstoff tritt es archäologisch nachweisbar zum erstenmal in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends v.Chr. auf. Zunächst wurden aus dem neuen Werkstoff nur Perlen und andere Schmuckstücke gefertigt, erst ab der Mitte des 2. Jahrtausends auch Gefäße.

In der Bronzezeit sind Mesopotamien, Ägypten und die Levante die bedeutensten Zentren der Glas­ver­ar­bei­tung. Spätestens im 7.-6. Jh. v.Chr. verbreitet sich die Kunst, Gefäße aus Glas herzustellen allmählich im größeren Umfang nach Westen. Dennoch sind die Anfänge des römischen Glases bis heute schwer faßbar. Vermutlich wurde Glas zunächst vor allem aus Ägypten und der Levante nach Rom importiert. Das, was man heute gewöhnlich unter römischem Glas versteht, ist vor allem das geblasene Glas der Antike. Die Erfindung des Glasblasens, die im 1. Jahrhundert v.Chr. gemacht worden sein muß, bewirkte im Laufe der folgenden 100 Jahre den Wandel des Glases vom reinen Luxusartikel zum Alltagsgegenstand. An vielen Orten in Italien und den römischen Provinzen entstanden nun Glashütten.

(Bilder durch Anklicken vergrößerbar)


Abb. 2: Fensterglas
aus der villa rustica
"Im Holderstauden"

bei Ober-Erlenbach.

Umstritten ist in der Glasforschung jedoch die Frage, ob diese Hütten selbst „primäres Rohglas“ (= Glas, das aus Rohstoffen erschmolzen wird) herstellten oder Glasbarren aus einigen wenigen darauf spezialisierten Zentren im Nahen Osten importierten. Eine Klärung dieser Frage ist auf rein archäologischem Wege schwer zu treffen. Das äußere Erscheinungsbild römischer Gläser ist im Großen und Ganzen im gesamten Reichsgebiet relativ einheitlich. Dif­fe­ren­zie­rungen bestimmter Typen lassen sich bestenfalls für größere regionale Bereiche feststellen. Meist können anhand des äußeren Erscheinungsbildes der Gläser nur Produkte des östlichen Mittelmeerraumes von solchen des westlichen Mediteranaeums oder der Nordwest-Provinzen unterschieden werden. Glastypologien bieten somit nur einen groben Anhaltspunkt für die Herkunft eines Glases. Auch die Datierung römischer Gläser anhand ihres Erscheinungsbildes ist weitaus weniger genau als dies z.B. bei Keramik der Fall ist. Die Laufzeiten einzelner Typen betragen i.d.R. mindestens 100 Jahre ohne das innerhalb dieser Zeitspanne nennenswerte Unterschiede in der Aus­prä­gung des Profils oder der Verzierung ausgemacht werden könnten.

Es dürfte daher nicht verwundern, daß man seit langem bemüht ist einen Weg zu finden, antike Gläser mit Hilfe der Naturwissenschaften zu datieren und insbesondere die Produktionsstätten genauer einzugrenzen. Tatsächlich gelungen ist dies für das römische Glas bis heute jedoch nicht. Alle bisherigen Versuche Glas anhand der Haupt- und Nebenelemente regional und zeitlich zu bestimmen sind fehlgeschlagen, da diese in allen römischen Gläsern relativ einheitlich sind. Heute ist man jedoch dazu übergegangen chronologisch-technische Veränderungen oder lokaltypische Zusammensetzungen des Glases an den enthaltenen Spurenelementen ablesen zu wollen. Die Untersuchung bestimmter Spurenelementverhältnisse in un­ter­schied­lichen Glasgruppen steckt jedoch noch in den Anfängen und soll daher auch ein Teilziel meiner Arbeit sein.

Die Überprüfung soll an ausgewählten Glasgruppen erfolgen, die als typisch für das Rheinland zu erachten sind, vor allem aber an römischem Fensterglas.

Fensterglas wird in der Forschung allgemein als Glas minderwertiger Qualität betrachtet. Eine lokale Herstellung des Rohglases zur Flachglasverarbeitung wird daher i.d.R. stärker akzeptiert als eine solche für die Hohlglasproduktion. Sollte dies tatsächlich zutreffen, müßte Fensterglas in vielen, regional recht eng begrenzten Gruppen auftreten, die sich chemisch eindeutig von einander differenzieren lassen. Meine ersten Analyse-Ergebnisse lassen allerdings Zweifel an der minderen Qualität des Fensterglases aufkommen. Zwei auf der Saalburg bei Bad Homburg v.d.H. gefundene Fensterglasfragmente stimmen in ihren Bestandteilen so deutlich mit denen des Glases zweier ebenfalls von der Saalburg stammenden Kettenhenkel-Gefäßen überein, daß anzunehmen ist, daß sowohl die Gefäße wie auch die Fenstergläser aus derselben Glasmasse bestehen.

(Bilder durch Anklicken vergrößerbar)


Abb. 3: Kettenhenkel von
der Saalburg.

Sollte sich somit naturwissenschaftlich keine Unterscheidung von lokalen Produktionsgruppen der Fenstergläser treffen lassen, bieten sie dennoch zahlreiche weitere Möglichkeiten für interessante Forschungsansätze. Da die Fenstergläser auch in der Archäologie bislang noch recht wenig beachtet wurden, könnte eine systematische Erfassung ihres Vorkommens in den beiden germanischen Provinzen zu einer Untersuchung chronologischer Veränderungen und der Auswertung der Bauzusammenhänge führen, in denen Fensterglas nachgewiesen werden kann. Dies könnte neue Erkenntnisse im Bezug auf Umfang und Bedeutung der Verglasung von Fensteröffnungen in der römischen Kaiserzeit hervorbringen. Ebenso könnte auf der Basis einer umfangreichen archäologisch-naturwissenschaftlichen Materialanalyse die Überprüfung der gängigen Theorien zu Herstellungstechnik der verschiedenen Fensterglastypen erfolgen und somit vielleicht eine endgültige Klärung dieser Frage erzielt werden.

Fenstergläser eignen sich darüber hinaus auch, um die Frage nach Recycling von Glas in römischer Zeit zu überprüfen. Bei der chemischen Analyse müßte sich ein solcher Recycling-Prozeß in der Anreicherung einiger Elemente wie z.B. des Chlor manifestieren. Je häufiger Glas eingeschmolzen wird, desto mehr verschiebt sich außerdem der Oxidationsstatus des enthaltenen Eisen hin zu 2-wertigem Eisen. Dies bedeutet, das öfter recyceltes Glas zunehmend bläulicher werden müßte. Dieser Effekt müßte dann im Laufe der Zeit mit einer stetig erhöhten Zugabe von Mangan ausgeglichen worden sein. Dies ließe sich anhand einer Reihenuntersuchung ebenso überprüfen wie der Rückgang von Natriumoxid, das sich bei wiederholten Einschmelzvorgängen zunehmend verflüchtigt.

Bei einen stattgefundenen Recyclingprozeß dürfte eine Differenzierung von Herstellungsorten ver­schie­dener Gläser anhand der chemischen Zusammensetzung nahezu unmöglich sein. In diesem Fall ließe sich aber vielleicht die Häufigkeit bzw. der Anteil an Recyclingmaterial in verschiedenen Gläsern unterscheiden. Somit könnte die Frage untersucht werden, ob die Recycling-Quote beim (vermeintlich minderwertigen) Fensterglas höher als bei Gefäßen.

Das Dissertationsvorhaben „Archäologisch-naturwissenschaftliche Untersuchungen zum römischen Glas aus dem Rheinland“ bietet somit die Möglichkeit zahlreichen offenen Fragen zur Problematik dieses Materials in römischer Zeit.