Internationale Konferenz Frankfurt, 18.06.-20.06.15

Konsuma sthetik konferenz plakat final 001

Konsumästhetik

Organisation: Heinz Drügh und Annemarie Opp. Gefördert von der VW Stiftung.


Konsumästhetik – Formen des Umgangs mit käuflichen Dingen


Gefördert von:
Volkswagenstiftung

Laufzeit: Januar 2013 bis Dezember 2015

Beteiligte:
Prof. Dr. Heinz Drügh (Frankfurt/Main)
Prof. Dr. Moritz Baßler (Münster)
Prof. Dr. Birgit Richard (Frankfurt/Main)
Prof. Dr. Wolfgang Ullrich (Karlsruhe)

Der Forschungsverbund widmet sich der kritischen Analyse des Konsums als einer zentralen Praktik gegenwärtiger Gesellschaften. Konsum soll Gegenstand einer intensivierten Phänomenologie, das heißt einer differenzierenden Systematik seiner gegenwärtigen realen wie medial vermittelten Erscheinungsformen sein.

Es geht um eine wissenschaftliche Haltung gegenüber Konsumgütern und dem Umgang mit ihnen, die sich weder als vorentschiedene Kritik am konsumistischen Materialismus und seinen vermeintlichen Pathologien noch als marktliberale Affirmation des Konsums versteht. Stattdessen soll die differenzierte und neutrale Betrachtung dessen stehen, womit und wovon wir leben. Konsumgüter sind ubiquitär, sie dienen niemals bloß der unmittelbaren Reproduktion. Ihre Aneignung hat vielmehr grundsätzlichen Anteil an der Ausgestaltung menschlicher Identität. Konsumgütern eignet eine materielle Symbolik, die für Sozietäten als ebenso unhintergehbar wie prägend zu begreifen ist. Dabei unterscheiden sich die in diesem Projekt gebündelten Perspektiven grundsätzlich von Ansätzen des Marketing und der Marktforschung, da sie ausdrücklich nicht auf einen Markt bzw. auf ökonomische Interessen hin ausgerichtet sind.

Eine Hauptrolle spielt in diesem Zusammenhang die Ästhetik des käuflichen Dings. Konsumgüter kennzeichnet eine ausgeklügelte Oberflächengestaltung, die meist als Manipulation des Kunden verstanden worden ist. Warenästhetik galt in der Nachfolge Wolfgang Fritz Haugs insofern als pejorativer Begriff, sah man in ihr doch die Autonomie des Ästhetischen negiert . Im Zuge der kulturwissenschaftlichen Wende der Geisteswissenschaften hat sich indessen ein Blick auf das Ästhetische etabliert, der Kunst nicht nur in der Differenz zum Alltagsleben, sondern als Ort der Aufbewahrung, des Arrangements und der Reflexion materialisierten kulturellen Wissens begreift. Insbesondere die Popkultur seit den 1960er Jahren hat neue, spezifisch ästhetische Rezeptionsweisen hervorgebracht, die sich nicht mehr länger auf Produkte der Hochkultur, sondern ausdrücklich auf solche der Massenkultur beziehen. Überflussgesellschaften machen ästhetische Weltverhältnisse zum Gemeingut: Die ästhetisch-semiotische Besetzung von und Identifikation mit kulturindustriellen Gegenständen, von Verbrauchsgütern und Alltagsgegenständen über technische Geräte bis hin zu Mode, Filmen und Popsongs, prägt die Generationen seit Mitte des 20. Jahrhunderts in zunehmendem Maße. Sie fordert zu ihrer adäquaten Beschreibung eine ästhetische Theorie, die sich vom Autonomieideal löst und die neue Ästhetik als Teil von kulturpoetischen Strategien und kulturellen Praktiken begreift.

Fragt man nach der Konsumästhetik, so fragt man also nach einem Grundthema kapitalistisch-marktwirtschaftlich organisierter Gesellschaften, das Relevanz für ein Verständnis der Gegenwart besitzt, insbesondere für die Vermittlung von Ökonomie und Subjektivität. Soziologisch und historisch ist das Phänomen des Konsums bereits genauer untersucht worden. Seine ästhetischen Komponenten sind dabei auch in den Blick gerückt, allerdings eher benannt als systematisch analysiert worden. Um letzteres zu leisten, knüpft das Projekt einerseits an eine Tradition an, die sich ausgehend von Autoren wie Gabriel Tarde, Thorstein Veblen, Georg Simmel oder Werner Sombart mit unterschiedlichen Akzentuierungen den Stilen des Konsums gewidmet hat. In der Fortentwicklung dieser Ansätze und vor dem Hintergrund der neueren material culture und visual culture studies beansprucht dieses Projekt andererseits, die Interaktion zwischen Konsumgütern und Konsumenten mit einem Fokus auf den jeweiligen zeitgenössischen Praktiken zu betrachten.


Teilprojekte:

• Literatur, Popmusik und Werbung (Baßler)
• Liebesromane und Supermarktfilme (Drügh)
• Darstellung warenförmiger Objekte im Online-Video (Richard)
• populärkulturelle Medialisierungen in Amateurphotographie und Erfahrungsberichten in sozialen Internet-Plattformen (Ullrich)


DoktorandInnen:


Simon Bieling (Karlsruhe)
Eleni Blechinger (Frankfurt/Main)
Katja Gunkel (Frankfurt/Main)
Melanie Horn (Münster)
Annemarie Opp (Frankfurt/Main)
Antonia Wagner (Karlsruhe)


Projekt der Professur Drügh: Liebesromane und Supermarktfilme

Das Projekt widmet sich einer grundlegenden Ambivalenz in der Ästhetik der Warendarstellung: ihrem Schwanken zwischen der vielbeschworenen Überfülle der Waren in modernen Konsumwelten sowie ihrer auratisierenden Einzelwahrnehmung. Analysiert wird diese doppelte Ästhetik der Waren anhand zweier Phänomene beziehungsweise Darstellungsformen: a) der Liebe und ihrer Verbindung mit dem Konsum in Romanen und b) dem Supermarkt als ‚Kathedrale des Konsums’ insbesondere in filmischer Darstellung.

a) Liebe und Konsum (Annemarie Opp)

Liebe und Kapitalismus, Liebe und Geld, Liebe und Konsum: Diese vormals und insbesondere seit der Romantik und dem Einsetzen des Konzepts der romantischen Liebe als grundsätzlich unvereinbar gedachte Oppositionen − Liebe sollte als ein letztes Residuum menschlicher Existenz markiert werden, das noch nicht vom kapitalistischen Markt vereinnahmt ist − erweisen sich bei näherer Betrachtung, insbesondere seit der Entstehung der modernen Konsumgesellschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als unhaltbar. Darauf macht nicht zuletzt die Literatur aufmerksam: Der erste Kaufhausroman der Literaturgeschichte, Emile Zolas Au Bonheur des Dames, beschreibt nicht nur den Konsum in einem der ersten großen Department Stores Europas bis in die kleinsten Details, sondern beinhaltet signifikanterweise auch eine − gar glückende − Liebesgeschichte.
Die Verwobenheit des Gefühls der Liebe einerseits mit dem Konsum als einer grundlegenden Praktik andererseits wurde bislang vor allem von soziologischer Seite nachgewiesen – dies ist jedoch in der Literaturwissenschaft bisher nur auf ein geringes Echo gestoßen. Die Verflochtenheit von Liebe und Konsum muss dabei, so zeigen die soziologischen Studien Eva Illouz’ und Daniel Millers, nicht notwendigerweise primär der Gegenstand von Konsumkritik sein, sondern kann jenseits dessen als Ausgangspunkt für die Analyse moderner Subjektivität in einer ihrer charakteristischsten, wenngleich ambivalenten Zustandsformen begriffen werden.
Anhand literarischer Texte arbeitet das Projekt heraus, wie Liebesbeziehungen grundlegend von käuflichen Dingen und dem Umgang mit ihnen geprägt werden (Gabe, Geschenk, Sammlung, Gebrauch, Fetisch). Einsetzend mit der Verhandlung des Zusammenhangs um 1900 soll über die Popliteratur der 60er/70er Jahre der Bogen zur Gegenwart gespannt werden: Liebe wird in gegenwärtigen Romanen mit großer Selbstverständlichkeit und in denkbar breiter Nuancierung vor dem Hintergrund von Szenarien der Käuflichkeit dargestellt, sie formiert und manifestiert sich als materielle Kultur. Dabei greifen die zu untersuchenden Romane ebenso zentrale Problemlagen der Texte um 1900 auf wie sie sich auf Empfindsamkeit sowie Romantik und damit den Ursprung der romantischen Liebe beziehen.

b) Der Supermarkt – zentraler Ort der Moderne (Heinz Drügh)

Das Teilprojekt erforscht insbesondere die filmische aber auch die literarische Darstellung des Supermarkts. Ist dieser Ort nach der einflussreichen Bestimmung von Marc Augé das prototypische Beispiel für ein ‚Non-Lieu‘, einen Ort im urbanen und suburbanen Raum, der durch das Fehlen von Geschichte, Identität und Kommunikation gekennzeichnet ist, mithin das Gegenteil einer sozietätsgenerierenden Öffentlichkeit darstellt, so haben die Künste schon früh den ästhetischen Reiz dieses Ortes wahrgenommen – z.B. Zolas Kaufhausroman Au Bonheur des Dames, der die rauschhaft-akribische Wahrnehmung der Waren mit naturalistischen Deskriptionsverfahren engführt. Der Film nimmt sich ab den 1910er Jahren in erstaunlicher Vielzahl dem Warenhaus als einer Art Seinesgleichen an, als Exponenten einer Moderne, die von einer commodified visual mobility geprägt wird. Ladenpassagen, Flanerie, window shopping, Warenhäuser oder shopping malls markieren eine öffentliche Sphäre, die zentral durch Faktoren wie Visualität, Beweglichkeit und Käuflichkeit geprägt sind. Mit dem (Wieder-)Erstarken der Kulturkritik an der schier erschlagenden Menge käuflicher Dinge, wie sie der Supermarkt beherbergt, wird die Darstellung des Warenhauses einerseits mehr und mehr mit Zügen der komischen Groteske versehen (z.B. Chaplins Modern Times) bis hin zur Material- beziehungsweise Körperschlacht des kapitalismuskritischen Horrorfilms wie Romeros Dawn of the Dead. Andererseits finden sich auf der Rückseite des Überflusses und Überdrusses immer wieder auch per Singularisierung vollzogene Auratisierungen der Ware – beispielsweise der Volleyball der Marke Wilson in Robert Zemeckis‘ Cast Away. Es scheint, als habe sich die neueste Literatur vom filmischen Interesse am Sujet Supermarkt anstecken lassen. So ist dessen grotesk-komisch Darstellung in Olga Flors multiperspektivisch-katastrophischem Kollateralschaden mit David Wagners Proustischer Supermarkt-Erinnerungsarbeit Vier Äpfel zu konfrontieren, ebenso mit Albrecht Selges flanierendem Mall-Roman Wach oder mit Leif Randts Schimmernder Dunst über Coby County. Mall und Supermarkt sind demzufolge nicht vorbehaltlos als ‚Non-Lieus‘ zu verdammen, sondern durch die Analyse ihrer filmischen und romanhaften Medialisierungen als reiche Zeichenarsenale auf ihren semantischen, semiotischen und sozialen Sinn zu befragen.



Weitere Informationen:
www.konsumaesthetik.de