Presseerklärung vom 10. November 2010

Die Martin-Buber-Professur:Neue Impulse für den Dialog der Religionen und Kulturen

Prof. Christian Wiese übernimmt die traditionsreiche Professur für jüdische Religionsphilosophie

FRANKFURT. Die traditionsreiche Martin-Buber-Professur für jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität sucht an deutschen Universitäten ihres Gleichen; lediglich an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg gibt es einen ähnlich ausgerichteten Lehrstuhl. Seit Beginn des Wintersemesters lehrt und forscht nun der Religionswissenschaftler, Theologe und Judaist Prof. Christian Wiese am Fachbereich Evangelische Theologie; er wurde bereits im vergangenen Jahr auf die Martin-Buber-Professur berufen. Der international renommierte Forscher wird dem Dialog der Religionen und Kulturen, wie ihn die Stiftungsuniversität seit der Gründung pflegt, weitere Impulse geben.

„Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass wir mit Prof. Wiese einen exzellenten Wissenschaftler für unsere Universität gewinnen konnten, der bisher am Centre for German-Jewish Studies an der Universität Sussex wirkte und in den vergangenen Jahren vielfältige internationale Kontakte geknüpft hat“, freut sich Vizepräsident Prof. Matthias Lutz-Bachmann. Die Berufung wurde mit 100.000 Euro durch das Programm „Rückkehr deutscher Wissenschaftler aus dem Ausland“ der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.

Das Frankfurter Forschungsumfeld hat den 49-jährigen Wissenschaftler zur Rückkehr nach Deutschland bewogen: „Ausschlaggebend war für mich die Aussicht auf intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb des Fachbereichs evangelische Theologie, mit der Philosophie, mit den Islamischen Studien und vor allem mit der Judaistik und dem Fritz Bauer Institut für Holocaustforschung. Darüber hinaus sehe ich mit dem Jüdischen Museum und der Universitätsbibliothek mit ihrem Sondersammelgebiet Judaica vielfältige Anknüpfungspunkte für wissenschaftliche Kooperationen.“ Seine bisherigen Forschungsprojekte und umfangreichen Publikationen widmen sich Themen der deutsch-jüdischen und europäisch-jüdischen Geschichte seit der Aufklärung, der jüdischen Geistesgeschichte und Religionsphilosophie der Moderne und der amerikanisch-jüdischen Geschichte.

Darüber hinaus erforscht Wiese intensiv die geistigen Grundlagen des jüdischen Nationalismus und der Auseinandersetzungen zwischen Judentum und Christentum seit dem Mittelalter. „An einigen dieser Themen werde ich auch in den kommenden Jahren weiterarbeiten. Ein Beispiel: Ich plane Biografien zu wichtigen Vertretern des von Martin Buber beeinflussten ‚Prager Kreises‘, zu dem jüdische Studierende – unter ihnen auch Franz Kafka – gehörten und die mit ihrem Konzept des Kulturzionismus und des ‚hebräischen Humanismus‘ eine Erneuerung des Judentums im Europa anstrebten“, erläutert Wiese. Zurzeit beschäftigt er sich besonders mit dem umfangreichen Nachlass des Journalisten und Historikers Robert Weltsch (1891-1982), der auch enge Beziehung zu Martin Buber unterhielt. „Im Spiegel von Weltschs Leben lassen sich entscheidende historische Entwicklungen des deutschen Judentums und des deutsch-jüdischen Exils im 20. Jahrhundert schildern.“ Ein weiteres Projekt ist die Beteiligung an der Kritischen Gesamtausgabe des Werks des Philosophen Hans Jonas – in Frankfurt werden alleine vier der geplanten zwölf Bände ediert. In früheren Arbeiten hat Wiese sich bereits mit dem Verhältnis von jüdischer Religionsphilosophie und allgemeiner Philosophie im Spannungsfeld von Religion und Säkularismus beschäftigt: „Hans Jonas, der sich selbst nie als jüdischer Philosoph gesehen hat, hat dennoch eine Fülle von Anregungen für eine jüdische Religionsphilosophie gegeben“, so Wiese. Geplant sind weitere Projekte zum Verhältnis jüdischer und nichtjüdischer Elemente im Denken prominenter Philosophen des 20. Jahrhundert, zu denen auch die Frankfurter Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zählen.

Wiese, der nach seinem Studium in Tübingen, Jerusalem, Bonn und Heidelberg 1993 an der Goethe-Universität zum Thema „Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im Wilhelminischen Deutschland. Ein ‚Schrei ins Leere‘?“ promovierte, will zudem in der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern neue Akzente setzen; er plant unter anderem eine Summer School für Promovenden zum Thema „Jüdische Geschichte in Europa“, an der auch junge Wissenschaftler anderer Universitäten teilnehmen können. Außerdem wird er seine internationalen Forschungskooperationen mit europäischen, amerikanischen und israelischen Universitäten einbringen, um Drittmittelprojekte einzuwerben und um Nachwuchswissenschaftler in das internationale Forschernetz einzubeziehen. Wieses Lehrveranstaltungen an der Goethe-Universität sind für Studierende aus unterschiedlichen Disziplinen offen. „Das Frankfurter Konzept in den Theologien und der Religionswissenschaft kommt meinem interdisziplinären Verständnis sehr entgegen, die jüdische Religionsphilosophie kann hier einen wichtigen Part übernehmen“, sagt der Theologe. Nicht zuletzt überzeugte ihn bei seinem Wechsel von Sussex nach Frankfurt die stark auf Religionsdialog ausgerichtete Orientierung des Fachbereichs Evangelische Theologie, in deren Rahmen die Martin-Buber-Professur eine Tradition des Dialogischen verkörpert und – so Wiese – „dies entspricht meinem ausgeprägten Interesse am gegenwärtigen jüdisch-christlichen und jüdisch-islamischen Gespräch“.

Martin Buber (1878-1965), nach dem diese 1989 von Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gestiftete und zunächst auch finanzierte Professur für jüdische Philosophie benannt wurde, war der erste Lehrer für jüdische Theologie an der Frankfurter Universität. Von 1924 bis 1929 zunächst als Lehrbeauftragter wurde er 1930 zum Honorarprofessor für Religionswissenschaft ernannt, weil er Leiter eines interreligiösen Instituts werden sollte. Die Nationalsozialisten vereitelten 1933 die Weiterentwicklung des fortschrittlichen Projekts an der Frankfurter Universität, wo fast zehn Jahre unter dem Dach der Philosophischen Fakultät jüdische, katholische und protestantische Theologen und Religionswissenschaftler gemeinsam gelehrt und geforscht hatten.