Workshop: Anerkennung und Sozialismus

Das Programm ist jetzt online:

http://anerkennungsozialismus.neocities.org/


Call for Papers (Achtung: Verlängerte Einreichefrist!)

- see English version below -

Workshop an der Goethe-Universität Frankfurt, 18.7.2014 aus Anlass des 65. Geburtstags von Axel Honneth

Es ist eine der zentralen Thesen von Hegels Sozialphilosophie, dass die bürgerliche Gesellschaft – und das heißt nicht zuletzt auch: der Waren- und Arbeitsmarkt – nicht nur eine Sphäre eigennützig strategischen Handelns, sondern zugleich auch eine Sphäre zwischenmenschlicher Anerkennung ist: Vermittelt durch marktförmigen Austausch von Gütern erfahren die Einzelnen hier soziale Wertschätzung für ihre individuelle Leistung. Auch wenn schon bei Hegel unklar ist, wie sich dabei eine beschreibende Diagnose der bürgerlichen Gesellschaft zu einem eventuell unerfüllten normativen Anspruch an dieselbe verhält, hat eine ganze Tradition der Kritik diese These Hegels mit dem Verweis darauf zurückgewiesen, dass gerade eine bürgerliche, d.h. kapitalistische Produktions-, Zirkulations- und Konsumtionsweise systematisch Formen der Ungerechtigkeit und Ausbeutung produziert, die nicht nur die formelle Gleichheit der Gesellschaftsmitglieder faktisch untergraben, sondern auch soziale Pathologien wie Entfremdung oder Verdinglichung erzeugen, welche die Einzelnen in ihrer Teilnahme an sozialen Praktiken behindern.

Spätestens seit und besonders prägnant von Marx ist bezweifelt worden, dass gelingende Selbst- und Sozialverhältnisse unter kapitalistischen Bedingungen möglich sind. Deshalb stellt sich die naheliegende Frage, ob es eine sozialistische Gesellschaftsform geben kann und wie diese beschaffen sein müsste, die auf der einen Seite die Ungerechtigkeiten und ethischen Defizite vermeidet, die das Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft auf gleiche Anerkennung systematisch untergraben, die aber zugleich auf der anderen Seite nicht die normativen Anerkennungsgewinne und praktischen Koordinierungsleistungen unterschreitet, die die kapitalistische Marktordnung bislang immerhin ermöglicht hat. Dies betrifft zunächst die Frage der Gestalt sozialistischer Produktion (Arbeitsverhältnisse), Zirkulation (Tausch- und Marktverhältnisse) und Konsumtion (Bedürfnisentwicklung und -befriedigung), aber auch insgesamt die Gestalt und Struktur einer sozialistischen Sittlichkeit.

Der eintägige Workshop an der Goethe-Universität Frankfurt will sich dem Verhältnis von Sozialismus und Anerkennung sowohl philosophie- und sozialgeschichtlich, als auch systematisch nähern.

Abstracts können eingereicht werden zu folgenden oder benachbarten Themen:

  • Theorietraditionen: Gibt es Spuren von sozialistischer Programmatik bei Hegel? Gibt es eine Anerkennungstheorie bei Marx? Wie verhalten sich die Vorgänger und Nachfolger dieser beiden Theorietraditionen (Nationalökonomie, Frühsozialismus, Frankfurter Schule, analytischer Marxismus, Praxisphilosophie, Neu-Aristotelismus, Neo-Kantianismus, Neo-Pragmatismus) zu dieser Frage?

  • Gegenwartsdiagnosen: Wie kann der Zusammenhang von Ökonomie und normativer Anerkennungsordnung in der gegenwärtigen Gesellschaftsformation angemessen beschrieben werden? Welche Analysen des Neoliberalismus, der Vermarktlichung, der Privatisierung, der Kommerzialisierung, der Beschleunigung oder des „neuen Geist des Kapitalismus“ sind besonders gut geeignet um diesen Zusammenhang in den Blick zu nehmen?

  • Anerkennung, Gerechtigkeit und bürgerliche Gesellschaft: Kann die Anerkennungstheorie dazu dienen, der Kritik an Ungleichheit, Unfreiheit und Ausbeutung neue Dimensionen hinzuzufügen oder formuliert sie grundlegend andere Ideale? Gibt es eine spezifisch anerkennungstheoretische Kapitalismuskritik? Auf welchen normativen Prinzipien beruht diese? Handelt es sich dabei um Prinzipien einer „idealen“ oder „nicht-idealen“ Theorie?

  • Markt und Moral: Erzeugen oder untergraben Märkte Moral und wenn ja, welche Märkte welche Moral? Was sind die Bedingungen ethisch orientierten Markthandelns und welche systemischen Blockaden richten Märkte für moralisches Handeln auf? Erlauben neue Praktiken wie Filesharing oder die Produktion in den „commons“ neue Perspektiven? Lässt sich eine Realisierung des Anerkennungspotenzials der bürgerlichen Gesellschaften in markwirtschaftlichen oder marktsozialistischen Gesellschaften oder nur in Gesellschaften ohne Märkte vorstellen?

  • Arbeit und Freiheit: Welche Rolle spielen Anerkennungsverhältnisse für die Frage, ob Selbstverwirklichung in der oder jenseits von Arbeit stattfindet? Was bedeutet dies für die normativen Fragen nach der Wünschbarkeit von Vollbeschäftigung oder sozialer Grundsicherung, für das Verhältnis von reproduktiver und produktiver Arbeit, gesellschaftlicher Arbeit und privater Aneignung?

  • Sozialismus und Selbstverwirklichung: Kann die Anerkennungstheorie dazu dienen, eine emanzipatorische Gesellschaftsutopie zu formulieren? Wie verhält sich eine solche Utopie zu jüngeren Vorschlägen der Transformation des Kapitalismus? Oder stützt die Anerkennungstheorie „nur“ eine Methode der negativistischen Analyse und Kritik sozialer Pathologien wie Entfremdung, Verdinglichung oder Beschleunigung? Welche Ansätze bietet der Begriff der Anerkennung für eine nicht-paternalistische Theorie gesellschaftlicher Befreiung?

  • Konkrete Utopien: Welche Ansätze sozialistischer Anerkennungsverhältnisse lassen sich bereits in der bestehenden Gesellschaft finden? Was sind die philosophischen Gehalte von alternativen Formen der Wirtschaftsorganisation und des Zusammenlebens, wie neuen Demokratieformen, Kommunen, Kooperativen oder der Commons?

  • Fragen der politischen Organisation: Was ist die Erbschaft des radikalen Reformismus, der Revolution und der Subversion? Wie verhält sich das Ideal der Anerkennung in der bürgerlichen Gesellschaft zu Fragen politischen Handelns, zu Organisationsformen? Wie verhalten sich bürgerliche oder anti-bürgerliche Formen der Solidarität in Anerkennungsordnungen zu politischem Handeln?

Organisatorisches:

Der Call richtet sich an Doktorand_innen und Studierende in der Abschlussphase aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, sowie Wissenschaftler/innen kurz nach der Promotion. Deadline für die Einreichung von Abstracts von bis zu 300 Wörtern ist der 1.4.2014, die Auswahl erfolgt bis zum 1.5.2014. Als Vortragssprachen sind Deutsch und Englisch möglich. Die Vorträge sollen eine Länge von 30 Minuten nicht überschreiten. Das vollständige Papier zum Workshop muss bis zum 1.7.2014 eingereicht werden, damit es allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorher zur Verfügung gestellt werden kann.

Emailadresse für Einreichungen und Anfragen: anerkennungundsozialismus@gmail.com.

Veranstaltet vom Institut für Sozialforschung und dem Institut für Philosophie der Goethe Universität Frankfurt, mit freundlicher Unterstützung des Projekts Aktualität der Kritik (CactuS).


Recognition and Socialism

Workshop at Goethe University, Frankfurt, Germany, Juli 18, 2014 at the occasion of the 65th birthday of Axel Honneth

Call for Papers

It is one of the central claims of Hegel's social philosophy that modern civil societies –especially as far asmarkets of goods and laborplay a central role within them– are not only spheres of self-interested, strategic action, but also of intersubjective recognition. Hegel assumes that, throughtheir participation in themarket, individuals can experience that their achievements are socially valued. However it is unclear whether this is meantby Hegelas a description of actually existing societies or whether it makes explicit a normative demand that theydo not yetfulfill.

Furthermore, an entire tradition of social critique has rejectedHegel'sclaimof the compatibility of market societies and recognitionby pointing out that the modern, capitalist mode of production systematically produces forms of injustice and exploitation that not only undermine the formal equality of citizens, but also generate social pathologies like alienation and reification which impede their full participation in social practices of recognition. For this reason, it was denied, by Marx in particular, that therecanbe self- and other-relations that contribute to human flourishingwhile there iscapitalism.

From the point of view of this tradition, the questionthereforearises whethera theory of recognition supportsan ideal of asocialist form of society and howthis societymust be conceived of,if, on the one hand, it is to avoid the injustices and ethical deficits which systematically undermine the promise of equal recognition in capitalist civil societies, andif, on the other hand, itmust not fall back behind the gains in mutual recognition and practical coordination that have been historically achieved by the capitalist market order. This concerns foremost the question of socialist production (labor conditions), circulation (conditions of exchange and markets) and consumption (development and satisfaction of needs). But beyond these immediate questions, the issue of whether there could be a socialist ethical order (“Sittlichkeit”) needs to be discussed.

This workshop is to explore the relation between socialism and recognition both in a historical as well as in a systematical perspective.

We would be especially interested in abstracts for papers concerning the following topics:

  • Theoretical traditions: Are there traces of a socialist approach in Hegel? Is there a theory of recognition in Marx? How do the predecessors and heirs of these traditions (such as the political economists, the early socialists, the Frankfurt School, analytical Marxists, praxis philosophers, neo-Aristotelians and neo-.pragmatists) conceive of the relation between the two concepts?

  • Social diagnosis: What is the best description of the relation between economics and normative orders of recognition in regard to contemporary society? Which analyses of neoliberalism, privatization, marketization, commercialization, acceleration or of a “new spirit of capitalism” might be especially suited to get this relationship into view?

  • Recognition, justice and civil society: Can a theory of recognition be used to add new dimensions to the critique of inequality, unfreedom and exploitation – or does it represent entirely different ideals? Is there a critique of capitalism that is specific to theories of recognition? Upon what normative principles might such a theory draw? Is it a kind of “ideal” or “non-ideal” theory?

  • Markets and morality: Do markets support or undermine morality – and if so, which markets and which morality? What are the conditions of ethical action within markets and in which ways might markets inhibit such action? Are there new perspectives to be found in practices such as file sharing or “commons-based production”? Can the potential for mutual recognition which is contained within capitalist societies only be realized in market-based, in market-socialist or in market-free societies?

  • Work and freedom: What is the role of relationships of recognition for self-realization in work or beyond work? What does this mean for ideals like full employment or for conceptions of an unconditional basic income? Are there consequences for the relation between paid and unpaid labor, between social labor and private appropriation?

  • Socialism and self-realization: Can a theory of recognition be used to formulate an emancipatory idea of society? How would such an idea relate to recent proposal of a transformation of capitalism? Or is there only a negativist method of critique that can be supported by a theory of recognition? What role does the concept of recognition play for a non-paternalist theory of social liberation?

  • Concrete Utopias: Are there any starting points for socialist relationships of recognition already present in contemporary societies? What is the philosophical relevance of alternative forms of economic organization and of communal living, such as participatory democracy, communes, cooperatives or the commons?

  • Political organization: What is the legacy of “radical reformism”, of revolution and subversion? How is the ideal of recognition related to questions of political agency and of organization? How do civil or post-capitalist forms of solidarity within orders of recognition relate to political action?

This call for papers is directed at postgraduate students and early career researchers. Abstracts of up to 300 words must be submitted until April, 1st, 2014 to anerkennungundsozialismus@gmail.com. Acceptance will be confirmed between then and May, 1st.. Presentation sat the workshop can be given in German or English and should be no longer than 30 minutes. Participants are required to submit a full paper until July 1st which will be distributed among all attendees in advance.

Organized by the Institute for Social Research and the Institute of Philosophy of the Goethe University Frankfurt. Supported by the research project “Actuality of Critique” (CactuS).