Die Populärwissenschaftliche chemische Literatur in der Zeit von 1800 bis 1850

Parallel mit der Entwicklung der Chemie und der praktischen Anwendung ihrer Ergebnisse in den letzten zweihundert Jahren bemühten sich viele Autoren, chemische Kenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese populärwissenschaftliche Literatur, die sich deutlich von der Fachliteratur unterscheidet, kann teilweise in Inhalt und Form nur schwer von Lehrmaterialien etwa für Schulen abgegrenzt werden. Sie hat aber eine besondere Funktion: Die Vermittlung chemischen Wissens und das Aufzeigen von Bezügen zur Lebenswelt für eine möglichst breite Bevölkerungsschicht steht im Vordergrund.

Darüber hinaus treten aber oftmals weitere Funktionen in den Vordergrund, die über eine allgemeinverständliche Vermittlung von Chemie in Forschung und Technik hinausgehen. So kann die populärwissenschaftliche Literatur:

  • die Akzeptanz für bestimmte Felder chemischer Forschung einerseits und für die Anwendung chemischer Verfahren andererseits erhöhen/verringern,
  • die Notwendigkeit der Herstellung neuer Produkte vermitteln oder die Vorteile eines Produktionsverzichts aufzeigen,
  • die Vorteile/Nachteile chemischer Produkte besonders in ihrer Anwendung darstellen,
  • die Probleme, das Engagement und die Fähigkeiten der in der Chemie tätigen Menschen zeigen,
  • Interesse an einem Beruf, der mit Chemie zu tun hat, wecken
  • die Akzeptanz für die finanzielle Förderung chemischer Forschung beeinflussen oder Interesse wecken, finanziell in chemische Unternehmen zu investieren.

Es ist nicht einfach zu entscheiden, ob die aufgezeigten möglichen Funktionen populärwissenschaftlicher Literatur den Autoren selbst immer bewusst sind oder waren. Es besteht allerdings eine Abgrenzung zu Schriften, die ausschließlich zum Zweck der Werbung verfasst wurden und bei denen eine Wissensvermittlung nicht Ziel ist.

Berücksichtigt man die aufgezeigten Gesichtspunkte, so wird deutlich, dass die populärwissenschaftliche chemische Literatur nicht isoliert gesehen werden darf. Ihre Bedeutung geht über die einer reinen Information und der Wertung bereits vorhandener Technologien hinaus, sie leitet meinungsbildende Prozesse ein: Die Bedingungen zur Einführung neuer Technologien sind nur gegeben, wenn die Technologien, auf denen sie basieren, allgemein gebilligt werden. Ohne die Verbreitung von Literatur, die in ihrer Spannweite von den Briefen Justus von Liebigs bis zu Darstellungen von Schenzinger geht, wäre die Akzeptanz und auch die Faszination neuer chemischer Verfahren und Methoden geringer gewesen. Die umgekehrte Wirkung kann man den in den letzten Jahren erschienenen populärwissenschaftlichen Darstellungen zuordnen, die durch eine Sensibilisierung der Verbraucher eine kritische Einstellung gegenüber chemischen Neuentwicklungen und dem Einsatz toxischer Chemikalien bewirkt haben.

Auf der Basis der vorhergehenden Ausführungen erscheint es - besonders im Hinblick auf die Auswirkungen - interessant, die populärwissenschaftliche chemische Literatur von mehreren Gesichtspunkten aus zu untersuchen. Diese Gesichtspunkte sind:

Inhalte

  • Welche Inhalte wurden und werden für populärwissenschaftliche Darstellungen aus dem fachlichen Gesamtwerk ausgesucht?
  • Erfolgt die Auswahl systematisch und orientiert sie sich an den Zielgruppen?
  • Gibt es historisch gesehen einen Wandel in der Auswahl der Inhalte vor dem Hintergrund eines sich ständig vervielfachenden chemischen Wissens?
  • Wie wurden und werden technische Umsetzungen, lebensweltliche Bezüge, ethische Fragen und der soziale Kontext berücksichtigt?

Intentionen

  • Mit welchen Intentionen wurden und werden populärwissenschaftliche Schriften abgefaßt?
  • Stehen einseitige Darstellungen von Wissenschaft und Technik im Vordergrund oder wird eine differenzierte Darstellung gegeben?
  • Wie haben sich die Intentionen in den letzten zweihundert Jahren verändert?