Stand der Forschung:

Die bisherige archäologische Forschung (ein Überblick: Petersen 2010; Буйских 2013; Fornasier 2016) konzentrierte sich auf das eigentliche Kernstadtgebiet Olbias, das bereits im 6. Jh. v. Chr. siedlungstechnisch eine Fläche von 16,5 ha umfasst – ein Faktum, das nach Ansicht der Ausgräber (Vinogradov/Kryžickij 1995) auf eine Einwohnerzahl von mindestens 2.000 Personen verweist. In klassischer Zeit wächst die Siedlungsfläche dann, unter Berücksichtigung der heute z. T. unter Wasser liegenden Areale der Unterstadt, auf 44–47 ha an.

 
Olbia. Areal der ab klassischer Zeit besiedelten Unterstadt. Blick von der Oberstadt
nach Norden (Foto Fornasier, 2014).

Literarisch ist spätestens für die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. ein Fortifikationssystem erwähnt (Hdt. IV 78).
Wie in fast allen nordpontischen Städten nachweisbar, nutzten die Bewohner Olbias zunächst halb oder ganz in den Boden eingetiefte Wohnbauten (Grubenhäuser), deren temporäre und gleichzeitig ressourcensparende Konstruktion vorderhand alle dringenden Bedürfnisse einer ersten Unterbringung bediente und zeitgleich ein schrittweises Vordringen in den neu erschlossenen Raum ermöglichte (Fornasier 2009; Буйских 2013; Fornasier 2016).

Olbia. Kernstadt. Grubenhausstrukturen archaischer Zeit. Rekonstruktionszeichnung
(nach Vinogradov/Kryžickij 1995 Abb. 10).

Ab der Wende zum 5. Jh. v. Chr. ist die Wohnbebauung dann charakterisiert durch überwiegend einstöckige Häuser, die vielfach eine Unterkellerung aufweisen und offensichtlich blockartig angeordnet sind. Ihre Wände aus Lehmziegeln gründen auf Steinfundamenten, die Räume der größeren Komplexe sind um einen zentralen Hof gruppiert, die Dächer hatten vielfach eine Ziegelabdeckung. Die Fläche der einzelnen Hausanlagen ist sehr unterschiedlich und schwankt zwischen 25 m2 und 80 m2. Ein weit verzweigtes Straßensystem gliedert das Kernstadtareal, wobei die Hauptverkehrsachse mit einer Breite von bis zu 10 m Nord-Süd ausgerichtet ist. Von ihr zweigen Straßenzüge und Gassen mit einer variierenden Breite von 0,9–4,5 m ab (Крыжицкий u. a. 1999). Ein flächendeckendes, rechteckiges Planungssystem lässt sich für Olbias Kernstadt in klassischer Zeit jedoch nicht belegen. Insgesamt ist also dank der jahrzehntelangen Forschungen im intra muros gelegenen Siedlungsareal die städtebauliche Entwicklungsgeschichte der Kernstadt Olbias in vielen Bereichen überzeugend rekonstruiert.
Anders ist die Situation hingegen in der Vorstadt: bislang standen nur wenige wissenschaftliche Informationen zur Genese, Größe oder Gliederung zur Verfügung.

Olbia. Vorstadt- und Nekropolenareal. Blick vom Westtor der Kernstadt
nach Westen (Foto Fornasier, 2014).

Nach Schätzungen der bisherigen Forschung ist eine Fläche von bis zu 15 ha zu rekonstruieren, doch basieren diese Zahlen einzig auf Oberflächenbegehungen vor Ort sowie einigen durchgeführten Feldforschungen im Bereich der antiken Westnekropole, bei denen Vorstadtstrukturen zutage traten (Козуб 1979; Марченко 1982; Крыжицкий 1986; Виноградов 1989; Крыжицкий u. a. 1999). Hierbei handelt es sich erneut um Grubenhausstrukturen, deren Existenz durch das in ihnen freigelegte Fundgut bislang weitgehend auf das 5. Jh. v. Chr. eingegrenzt werden kann.